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© starburst/ pixabay.com

Unter dem Deckmantel der Forschung

Wie die Pharmaindustrie Patientenvertreter beeinflusst

Wenn Patienten in die Forschung zu Arzneimitteln einbezogen werden, ist das an sich eine gute Sache. Klar ist, dass die Industrie nicht uneigennützig dazu einlädt. Problematisch wird es, wenn Pharmaunternehmen dabei andere Interessen verfolgen. Wir berichten über einen aktuellen Fall.

Inzwischen gehört es in der Arzneimittelforschung zum guten Ton, dass Patienten und Patientinnen mitreden dürfen. Nicht nur als Teilnehmende an Studien, sondern auch schon in der Planungsphase von klinischen Studien zu Medikamenten. Sie sollen ihre Erfahrungen einbringen, etwa im Hinblick auf die konkreten Ziele einer Therapie. Das soll gewährleisten, dass Forscher gezielter Antworten auf solche Fragen suchen, die für die Kranken tatsächlich relevant sind.

Zu diesem Zweck richten pharmazeutische Unternehmen Beratungsgremien ein, die meist mit dem modischen Etikett „Patient Advisory Board“ versehen sind.

Eine schöne Sache ist das, wenn Bedürfnisse von Patienten in die Forschung einfließen (siehe Artikel „Nachgefragt“). Weniger schön ist es, wenn die beteiligten Firmen unter diesem Vorwand versuchen, die Patienten zu manipulieren. Ein solcher Fall ist uns kürzlich zugetragen worden.

Treuherziger Auftakt

Eigentlich fing alles ganz harmlos an: Ein Patientenverband erhielt von einem pharmazeutischen Unternehmer die Einladung, sich probehalber an einem Beratungsgremium zu beteiligen. Das Anliegen: Die Patientenvertreter sollten sich zur Gestaltung von laufenden Studien äußern. Das Treffen begann in angenehmer Atmosphäre: So konnten die Patientenvertreter Verbesserungsvorschläge zu den Informationen für die am Versuch beteiligten Personen einbringen. Die Firmenvertreter hörten sich die Vorschläge aufmerksam an und versprachen, diese zum Teil zu übernehmen.

Gespräch dreht sich

Ein ganz anderes Bild ergab sich aber beim Thema „aktuelle Forschung“. Hier war ein Meinungsaustausch vorgesehen. Der verlief allerdings nicht ganz so, wie die Patientenvertreter es sich gedacht hatten. Plötzlich sahen sie sich eindringlichen Fragen der Firmenvertreter ausgesetzt, die wissen wollten, wie sie zur „Frühen Nutzenbewertung“ von neuen Arzneimitteln stehen.

Vor allem ging es um diesen Punkt: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) besteht darauf, dass Pharmafirmen bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nachweisen müssen, dass diese entweder das Leben verlängern, oder die Krankheitsbeschwerden mindern, oder die Lebensqualität der Patienten verbessern. Solche Ziele von Studien nennt man patientenrelevante Endpunkte.

Die Firmenvertreter fragten suggestiv, ob diese Ziele nicht nachteilig für Patienten seien, denn entsprechende Studien würden unter Umständen recht lange dauern und für einen soliden Nachweis oft relativ viele Studienteilnehmer erfordern.

Würden die Patientenvertreter in den bereits laufenden Studien nicht auch die Messung anderer Endpunkte wie z.B. von Laborwerten – sogenannte Surrogate – akzeptieren? Denn damit lassen sich oft bereits nach kurzer Zeit Vorteile neuer Arzneimittel zeigen. Diese würden dann wesentlich schneller zur Verfügung stehen – das sei doch zum Beispiel bei potenziell tödlichen Erkrankungen ein deutlicher Vorteil. Soweit die Argumentation.

Was dahinter steckt

Hört sich doch überzeugend an, oder? Was die freundlichen Mitarbeiter den Patientenvertretern jedoch nicht verrieten: Inzwischen ist wissenschaftlich gesichert, dass günstige Ergebnisse bei Surrogat-Endpunkten keineswegs immer für einen tatsächlichen Patientennutzen stehen. Oftmals stellt sich später heraus, dass ein solches neues Produkt nicht besser ist, manchmal ist es sogar schädlich. Deshalb besteht der G-BA auf harten Fakten, wenn er ein Medikament als Fortschritt bewertet.

Noch deutlicher wurden die Firmenvertreter im informellen Teil der Veranstaltung. Beim Essen klagten sie, dass die Krankenkassen durch übertriebene Sparsamkeit und der G-BA durch überbordende Bürokratie die Pharmaindustrie daran hindere, Patienten mit innovativen Arzneimitteln zu helfen. Und sie betonten, dass die Zulassung doch wesentlich schneller gehen könnte, wenn es nach ihnen ginge. Auch sei es bedauerlich, dass der Gesetzgeber der pharmazeutischen Industrie verbiete, Patienten über rezeptpflichtige Arzneimittel zu informieren.

Das ist eine sehr gewinnorientierte Sicht auf die Dinge. Die Fakten besagen Anderes: Mehr als die Hälfte der Arzneimittel, die neu auf den Markt kommen, helfen Patienten nicht besser als die bereits verfügbaren.1 Und es ist keine Frage, dass eine schnellere Zulassung problematisch ist (GPSP 4/2016, S. 19). Schließlich ist Werbung bei Patienten für rezeptpflichtige Arzneimittel in Deutschland – anders als etwa in den USA – aus gutem Grund verboten (GPSP 5/2012, S. 14). Denn um nichts anderes als Werbung handelt es sich bei den vermeintlichen Informationen aus der Industrie, die sich an Patienten richten.

Weitreichende Einflussnahme

Insgesamt konnte bei der Veranstaltung der Eindruck entstehen, dass die anwesenden Patientenvertreter nicht nur gehört, sondern vor allem im Sinne der Industrie beeinflusst werden sollten. Das ist besonders dann bedeutsam, wenn der eingeladene Verband auch Patientenvertreter in den G-BA entsendet. Dort haben diese bei der frühen Nutzenbewertung – wie auch in anderen Fragen – zwar kein Stimmrecht, können aber gleichberechtigt mitdiskutieren (GPSP 2/2015, S. 6).

Was passiert, wenn es pharmazeu­tischen Unternehmern gelänge, Patientenvertreter auf ihre überwiegend kommerziell orien­tierte Position zu ziehen? Sie hätten in den Debatten um die vom Gesetzgeber vorgeschriebene „Frühe Nutzenbewertung“ wichtige und zudem unverdächtige Verbündete gewonnen.

Altbekanntes Prinzip

Die einladende Firma folgte mit ihrem Vorgehen einem altbekannten Muster, das aus dem Verhältnis von Pharmareferenten und Ärzten gut bekannt ist: Speziell ausgebildete Pharmamitarbeiter (Patient Relation Manager) pflegen die Verbindungen zu Patienten, sorgen dafür, dass diese ein sympathisches und fürsorgliches Bild des Herstellers vermittelt bekommen, und können dann ganz nebenbei und unauffällig die eigenen (Werbe-)Botschaften an den Mann oder die Frau bringen.

Fazit

Patientenbeteiligung bei der Planung von Arzneimittelstudien ist ein zweischneidiges Schwert. Sie ist einerseits wichtig, um die Sicht Betroffener in die Forschung einzubringen. Auf der anderen Seite sind „Advisory Boards“ aber ein Einfallstor für Manipulation. Patientenorganisationen sollten sich also gut überlegen, ob sie sich auf eine direkte „Beratung“ der Industrie einlassen wollen.

Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass es weitere und weniger riskante Möglichkeiten für Patienten gibt, sich bei der Gestaltung von Studien einzubringen: So bietet der G-BA den Herstellern bereits bei der Planung von Studien eine Beratung an, an der auch Patientenvertreter beteiligt sind.

Nutzenbewer­tung durch den G-BA
GPSP 6/2013, S. 10

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2018 / S.22