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© Mizianitka/ pixabay.com

Durchblick im Dickicht

Wie werden Nahrungsergänzungsmittel & Co. geregelt?

Sind meine Vitamintabletten eigentlich Arzneimittel oder Lebensmittel? Wofür dürfen Hersteller werben? Und wie werden Werbeversprechungen kontrolliert? Für Verbraucher ist das meist undurchsichtig. Evelyn Breitweg-Lehmann vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit führt uns durch das Dickicht der gesetzlichen Regelungen.

GPSP: Wenn ich in der Drogerie ins Regal mit Vitaminen und Mineralstoffen greife, habe ich oft Kapseln oder Tabletten in der Hand. Die sehen aus wie ein Arzneimittel – sind sie das denn auch?

Evelyn Breitweg-Lehmann: Manchmal sind es tatsächlich frei verkäufliche Arzneimittel. Deutlich häufiger handelt es sich jedoch um ein Nahrungsergänzungsmittel (NEM), manchmal auch um ein „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ – auch ergänzende bilanzierte Diät genannt. Die jeweilige Bezeichnung muss auf der Packung stehen.

Macht das denn in der Praxis einen Unterschied?

Ja, denn rechtlich gesehen erfüllen die Mittel sehr unterschiedliche Zwecke. Vereinfacht ausgedrückt: Arzneimittel sollen Krankheiten heilen, lindern oder vorbeugen. Nahrungsergänzungsmittel sind – wie der Name schon sagt – Lebensmittel, die die allgemeine Ernährung ergänzen sollen. Und die Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sind für Patienten gedacht, die ihren Nährstoffbedarf aufgrund einer Erkrankung nicht mit normalen Lebensmitteln decken können. Bei Menschen mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung ist zum Beispiel die Aufnahme von Vitaminen gestört, deshalb müssen sie davon größere Mengen zu sich nehmen. Für alle diese Produkte gelten unterschiedliche Regeln und Kontrollen.

Was heißt das konkret für Verbraucherinnen und Verbraucher?

Für Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke gilt das Lebensmittelrecht, genauso wie für eine Pizza. Das heißt, hier muss sich der Hersteller darum kümmern, dass seine Produkte sicher sind und dass er sich an die gültigen Regeln hält. Er haftet.

Wie kommt ein solches Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt?

Der Hersteller muss es beim BVL anzeigen, also bestimmte Unterlagen einreichen. Wir leiten diese dann an die Überwachungsbehörden der Bundesländer weiter.

Das ist also keine explizite Genehmigung wie bei Arzneimitteln.

Genau. Arzneimittel müssen zugelassen werden, dafür ist in Deutschland in der Regel das BfArM zuständig. Es prüft, ob das Arzneimittel wirksam und sicher ist. Erst dann darf es auf den Markt. Das ist bei Nahrungsergänzungsmitteln anders.

Was darf der Hersteller als Nahrungsergänzungsmittel vermarkten?

Für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln gilt eine EU-weite spezifische Regelung, welche Substanzen enthalten sein dürfen. Es gibt beispielsweise mehrere Formen von Vitamin D, aber in Nahrungsergänzungsmitteln dürfen nur zwei davon eingesetzt werden. Was bisher fehlt, ist eine einheitliche Vorschrift zu anderen Stoffen.

Hat das praktische Konsequenzen?

Ja, zum Beispiel kann es sein, dass in einigen EU-Ländern eine bestimmte Substanz als Nahrungsergänzungsmittel zulässig ist, in anderen jedoch nicht. Das betrifft etwa Melatonin, das in Deutschland als Arzneimittel eingestuft ist, aber in Italien als Lebensmittel. Oder Produkte mit Rotem Reis: Bei uns sind die ab einer Tagesdosis von 5 mg Monakolin K als Arzneimittel eingestuft, in anderen EU-Ländern dürfen sie aber bis 10 mg als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden.

Wie sieht es mit pflanzlichen Bestandteilen oder Pflanzenextrakten aus, den so genannten Botanicals?

Auch hier fehlt für die EU eine einheitliche Regelung. Klar ist, dass der Hersteller zum Beispiel keine giftigen Pflanzen verwenden darf. In Deutschland haben wir eine Stoffliste mit ca. 600 Pflanzen. Aus dieser kann man ablesen, ob sie in Lebensmitteln vorkommen dürfen. Aber ob und wie diese Pflanzen verarbeitet werden dürfen, also zum Beispiel, wie stark konzentriert ein Extrakt aus der an sich harmlosen Pfefferminze sein darf, ist bisher nicht genau geregelt.

Gibt es eigentlich Höchstmengen für bestimmte Stoffe?

In Deutschland haben wir für Vitamine und Mineralstoffe seit Anfang 2018 eine Empfehlung des Bundesinstituts für Risikobewertung.1 Die Hersteller sind aber nicht verpflichtet, sich daran zu halten. Sie müssen nur sicherstellen, dass das Nahrungsergänzungsmittel nicht so hoch dosiert ist, dass es gesundheitsschädlich ist oder als Arzneimittel gilt.

Da gibt es aber auch Grauzonen, oder? Ich denke zum Beispiel an Selen: Als Arzneimittel sind Dosierungen ab 50 Mikrogramm verschreibungspflichtig. Aber man kann ohne weiteres Nahrungsergänzungsmittel mit 200 Mikrogramm Selen kaufen.

Das liegt unter anderem daran, dass dafür zwei verschiedene Gremien zuständig sind. Das Gremium, das die Verschreibungspflicht prüft, ist zu dem Schluss gekommen, dass es aufgrund der Giftigkeit von Selen besser ist, wenn ab 50 Mikrogramm ein Arzt Selen als Arzneimittel verordnet. Anderseits enthalten manche Lebensmittel wie Paranüsse aus Südamerika natürlicherweise sehr hohe Mengen an Selen. Und deshalb können auch höhere Mengen in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sein.

Kann man sich eigentlich auf die Angaben zu den enthaltenen Mengen verlassen?

Bei einem Arzneimittel darf die Menge des Wirkstoffs nur um fünf Prozent von der Deklaration abweichen. Bei Nahrungsergänzungsmitteln sind je nach Substanz aber Abweichungen bis zu 50 Prozent erlaubt.

Viele Menschen kaufen Vitamine oder Mineralstoffe, weil sie sich davon mehr Gesundheit versprechen. Kann man da der Werbung trauen?

Welche Aussagen erlaubt sind, ist sehr unterschiedlich: Bei einem Arzneimittel darf zum Beispiel nur mit dem Anwendungsgebiet – also der Krankheit – geworben werden, für das das Mittel zugelassen ist. Dass es dabei auch tatsächlich hilft, muss der Hersteller gegenüber der Behörde mit Studien nachweisen.

Ist das bei den Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke anders?

Ja. Die dürfen nicht mit der Heilung oder Linderung einer Krankheit beworben werden. Zulässig ist nur die Aussage „zum Diätmanagement“ oder die früher vorgeschriebene Formulierung „zur diätetischen Behandlung“ bei einer bestimmten Erkrankung.

Das ist für medizinische oder juristische Laien aber ein sehr subtiler Unterschied und nicht leicht zu verstehen.

Das stimmt. Die Formulierungen auf den Produkten sind oft Resultat langer Auseinandersetzungen vor Gericht, bei denen sich Hersteller und Verbraucherschützer darum gestritten haben, was jetzt gerade noch zulässig ist oder eben nicht mehr.

Muss der Hersteller denn nachweisen, dass sein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke entsprechend seiner Werbung auch tatsächlich nützlich ist?

Für die Prüfung der Zulässigkeit sind die jeweiligen Länderbehörden zuständig. Die prüfen unter anderem, ob es sich bei dem Mittel vielleicht um ein verkapptes Arzneimittel handelt und ob tatsächlich die Eignung zur Ernährung bei einer bestimmten Erkrankung wissenschaftlich nachgewiesen ist.

Wird das immer einheitlich beurteilt?

Bei uns sind 16 Länderbehörden für die Beurteilung zuständig. Da gab es manchmal unterschiedliche Einstufungen. Deshalb hat das BVL Ende 2016 gemeinsam mit dem BfArM und in Abstimmung mit den Bundesländern ein Positionspapier mit den formalen, rechtlichen und wissenschaftlichen Anforderungen herausgegeben. Zum Beispiel muss der Nachweis der Eignung durch wissenschaftliche Studien belegt sein, die dem neuesten Stand entsprechen. Ähnliche Regeln existieren inzwischen auch auf EU-Ebene. Es ist aber immer eine Einzelfallprüfung. Außerdem tritt die EU-Verordnung zu den Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke erst 2019 in Kraft.

Wie sieht es bei Nahrungsergänzungsmitteln aus? Die dürfen ja mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben.

Ja. Diese sogenannten „health claims“ sind EU-weit geregelt und brauchen eine Erlaubnis. Für die Prüfung ist die EFSA, die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, zuständig. Die gesundheitsbezogenen Aussagen dürfen sich nicht auf bestimmte Krankheiten beziehen, sondern nur auf die normalen Körperfunktionen. Viele sind in der Vergangenheit abgelehnt worden und dürfen nicht verwendet werden. Und man darf nicht vergessen: Die zugelassenen „health claims“ besagen nur, dass der Hersteller mit bestimmten Aussagen über das Nahrungsergänzungsmittel werben darf. Das ist etwas anderes als die Wirksamkeitsprüfung bei Arzneimitteln. Aber das ist für Verbraucher wahrscheinlich nicht einfach zu unterscheiden.

Bei Mitteln aus Drogerie oder Supermarkt sind die lokalen Überwachungsbehörden zuständig und sollen stichprobenartig prüfen. Aber wie sieht das beim Vertrieb im Internet aus?

Theoretisch sind dafür auch die Länderbehörden zuständig. In der Praxis wäre das aber sehr unpraktisch, wenn in allen 16 Bundesländern Kontrolleure am Computer sitzen und die gleichen Angebote prüfen. Deshalb gibt es seit einiger Zeit im BVL im Auftrag der Bundesländer eine gemeinsame Zentralstelle „G@ZIELT“. Sie recherchiert im Internet unter anderem nach Lebensmitteln, bei denen die Gefahr von gesundheitlicher Schädigung oder Verbrauchertäuschung besteht, etwa wenn Nahrungsergänzungsmittel mit nicht zugelassenen „health claims“ werben. Bei der jüngsten EU-weiten Kontrollaktion haben wir sehr viele Angebote gefunden, die nicht den Vorschriften entsprechen.2

Was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, wenn ihnen windige Angebote im Internet auffallen oder eine übertriebene Werbung?

Ansprechpartner ist die zuständige Behörde für Lebensmittelüberwachung vor Ort. Die ist meist in der Kreisverwaltung angesiedelt oder auf kommunaler Ebene in den kreisfreien Städten.

Die Verbraucherzentrale fordert weitergehende EU-einheitliche Regelungen und mehr Kontrollen (siehe auch S. 27). Zudem sollten Nahrungsergänzungsmittel auf Sicherheit, Kennzeichnung und Werbeaussagen überprüft werden. Und es fehle ein öffentliches Verzeichnis der Mittel und eine Meldestelle für Nebenwirkungen. Ist das aus Ihrer Perspektive zielführend?

Das sind legitime Forderungen aus Sicht des Verbraucherschutzes, und damit wäre man auf der ganz sicheren Seite. Allerdings wäre es nach der bisherigen Rechtslage nicht möglich, diese Forderungen umzusetzen. Da müsste zuerst der Gesetzgeber aktiv werden.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

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Melatonin: GPSP 2/2013, S. 17
Roter Reis: GPSP 3/2016, S. 10
Verstöße: GPSP 3/2018, S. 26

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2018 / S.19