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Mehr Transparenz

Was für die einen Krankheit ist, ist für andere ein Geschäft

Immer wieder sind Patienten auch mit Geschäftemacherei im Gesundheitswesen konfrontiert: Hersteller von Medizinprodukten liefern schlechtes Material, Patente verteuern Arzneimittel und Diagnostik um ein Vielfaches, die Fortbildung in medizinischen Berufen wird von Pharmafirmen dominiert. Transparency International (TI) klärt Fachleute und die Öffentlichkeit darüber auf, wo unser Gesundheitssystem für Korruption anfällig ist. Mit Angela Spelsberg besprachen wir solche neuralgischen Punkte.

GPSP: Frau Spelsberg, wie kamen Sie überhaupt zu Transparency International?

Spelsberg: Ich hatte mich in der Nationalen Koalition Brustkrebs engagiert. Irgendwann habe ich erkannt, dass sich die finanzielle Unterstützung durch das Pharmaunternehmen Roche zu einer unangenehmen Veranstaltung entwickelte. Wir sollten als Patientenorganisation den strategischen Zielen des Konzerns dienen.

GPSP: Das Problem der Einflussnahme auf Patientenorganisationen hat sich ja sogar noch zugespitzt. Aber als Patient bemerkt man davon wenig.

Spelsberg: Die Einflussnahme wird über Jahre sehr geschickt aufgebaut.

GPSP: Wie ist das mit den Arzneimitteln, die Ärzte an ihre Patienten direkt weitergeben? Solche Präparate überreichen Pharmareferenten – also die Handelsvertreter von Arzneimittelanbietern –, wenn sie einen Arzt besuchen. Was sind die Folgen?

Spelsberg: Bei den geschenkten Musterpackungen handelt es sich in der Regel um teure Originalpräparate. Und es ist kein Geheimnis, dass Patienten gerne bei dem Präparat bleiben, das sie von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin bekommen haben.

GPSP: Wenn Patienten ein preisgünstigeres und wirkstoffgleiches anderes Präparat danach kritisch beäugen, wird dann das teure Original vom Arzt weiter verordnet?

Spelsberg: Das ist sozusagen die Idee des Anbieters. Welches Präparat zur Behandlung eingesetzt wird, hängt aber heute unter anderem von Rabattverträgen zwischen den Krankenkassen und Arzneimittelfirmen ab. Es ist also komplizierter geworden, über die Schiene „Pharmareferent übergibt Musterpackung“ Ärzte in ihrem Verordnungsverhalten zu beeinflussen…

GPSP:  …und Patienten in ihren Wünschen. Hat die Zahl der Pharmareferenten deshalb deutlich abgenommen?

Spelsberg: Das ist einer der Gründe. Wichtig ist aber: Die Einflussnahme auf die medizinische Versorgung findet auf sehr vielen Ebenen statt. Das betrifft außer den Ärzten auch die universitäre Forschung, Zulassungsverfahren, die Gesundheitspolitik, Krankenkassen und so weiter.

GPSP: Was wollen Sie damit sagen?

Spelsberg: Wir müssen von der Kritik an einzelnen Gruppen, die sich bestechen lassen oder nicht gegen Korruption wehren, wegkommen und das System Gesundheitsversorgung insgesamt betrachten. Denn da greift eins ins andere. Wenn es uns jedoch gelingt, durch Information und Aufklärung an zentralen Schaltstellen des Gesundheitssystems etwas zu ändern, profitieren davon nicht nur die Kranken und alle, die mehr für ihre Gesundheit tun wollen, sondern der soziale Wohlfahrtsstaat insgesamt.

GPSP: Wo sehen Sie eine solche Schaltstelle?

Spelsberg: Ich nehme mal als Beispiel die Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente. Da ist es bisher einigermaßen gut gelungen zu verhindern, dass Pharmafirmen in allen Medien für ihre Präparate werben dürfen, die es nur auf Rezept gibt. Die Industrie will das seit langem auf EU-Ebene in Brüssel durchsetzen, aber der Gegenwind war bisher zu groß.1

GPSP: Was könnte bei Werbefreiheit passieren?

Spelsberg: Wie in den USA würde das die Nachfrage nach neuen, meist hochpreisigen Präparaten anheizen. Patienten würden sicher auch Druck auf Ärzte ausüben – und eventuell die Praxis wechseln. Dabei sind gerade bei den so genannten Innovationen die unerwünschten Wirkungen noch nicht so gut bekannt wie bei länger bewährten, meist preisgünstigeren Mitteln.

GPSP: Sind Sie froh, dass die Werbung für verschreibungspflichtige Präparate verhindert wurde?

Spelsberg: Das auf EU-Ebene zu erreichen war wichtig. Aber Transparency beobachtet mit Sorge, wie Pharmafirmen über Krankheiten und deren Behandlung „informieren“. Denn diese „Informationen“ sind nicht objektiv, sondern zielen auf eine Steigerung des Umsatzes. Positives wird betont, Negatives ausgeklammert. Das können wir dem jeweiligen Hersteller nicht einmal vorwerfen, denn sein Interesse ist, seine Produkte zu verkaufen. Fragwürdig aber ist es, diese Werbung als „Information“ zu tarnen. Wer im Internet auf Herstellerseiten nachforscht, muss wissen, dass er dort keine verlässliche Entscheidungshilfe findet. Es wird überall vom informierten Patienten gesprochen, der eine autonome Entscheidung trifft. Aber wie kann er das, wenn die Grundlage seiner Entscheidung Werbeaussagen sind?

GPSP: Kommen wir zu einem anderen Punkt. Transparency möchte, dass nicht nur Ärzte in Krankenhäusern im Fall von Korruption strafrechtlich belangt werden können, sondern auch niedergelassene Ärzte. Weshalb?

Spelsberg: Es gibt immer wieder Versuche, Ärzte zu bestechen – etwa bei der Entscheidung, welches Fabrikat bei Ersatz einer Herzklappe oder Hüfte sie wählen, an welchen Fachkollegen oder welche Klinik sie überweisen. Im Fall von Bestechung werden Ärzte strafrechtlich nicht gleich behandelt: Im Krankenhaus angestellte Ärzte werden belangt, ihre niedergelassenen Kollegen normalerweise nicht. Der Bundesgerichtshof hat 2012 in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass hier eine Gesetzeslücke klafft.

GPSP: Es besteht also Handlungsbedarf. Und Sie bleiben dran?

Spelsberg: Ja. Juristisch ist die Sache allerdings kompliziert, weil die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen auch unternehmerisch tätig sind. Kassenärzte haben gleichzeitig einen öffentlichen Auftrag und sollten entsprechend verpflichtet werden. Wir wollen keinesfalls Ärzten und anderen Gesundheitsberuflern damit das Leben schwer machen, sondern wollen, dass ihre besondere Verantwortung zum Tragen kommt. Wir belegen nicht alle Ärzte mit dem Generalverdacht der Korruption, sondern sehen das Gesundheitssystem mit seinen riesigen finanziellen Ressourcen als besonders korruptionsanfällig.2

GPSP: Dazu bitte noch ein Beispiel.

Spelsberg: Ein gutes Beispiel sind Anwendungsbeobachtungen, die in der Regel von niedergelassenen Ärzten im Auftrag einer Firma durchgeführt werden. Diese Anwendungsbeobachtungen, die nach der Markteinführung eines Präparates stattfinden, haben einen schlechten Ruf, weil ihr Nutzen zweifelhaft ist und viele Patienten ohne ihr Wissen in solche „Studien“ eingeschleust werden.

GPSP: Aber Patienten müssen doch eigentlich aufgeklärt sein über die Studie, an der sie teilnehmen.

Spelsberg: Schon, aber nicht bei diesen Beobachtungsstudien. Die Patienten erfahren oft nicht einmal, dass der Arzt sie auf ein Medikament einstellt, für das gerade eine Anwendungsbeobachtung läuft. Er füllt dann einen Dokumentationsbogen aus und erhält pro Patient ein teilweise erhebliches Honorar vom pharmazeutischen Unternehmen. Das Ganze ist unseres Erachtens ein Trick: Der Arzt oder die Ärztin wird sich – wegen des Honorars – bemühen, möglichst viele Patienten für die Anwendungsbeobachtung zu gewinnen.

GPSP: Ziel ist also nur, die Verordnungszahlen zu steigern?

Spelsberg: Die Industrie ist verpflichtet, Anwendungsbeobachtungen den zuständigen Institutionen wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM), der kassenärztlich Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen anzuzeigen. Diese sollten daher wissen, wie viele Anwendungsbeobachtungen laufen, mit welchen Medikamenten oder Themen, wie hoch die Honorare sind. Transparency hat bei allen drei Institutionen die entsprechenden Daten für den Zeitraum 2008 bis 2010 angefragt, denn als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind sie auskunftspflichtig. Der Spitzenverband und die KBV haben unterschiedliche Teilauskünfte gegeben, das BfArM gar keine. Darum haben wir dann KBV und BfArM verklagt und vor dem Berliner Verwaltungsgericht im ersten Verfahren gegen die KBV Recht bekommen. In den daraufhin erhaltenen KBV-Daten, immerhin 10.000 Seiten über gemeldete Anwendungsbeobachtungen, fanden wir bislang keine Beweise dafür, dass mit den Anwendungsbeobachtungen tatsächlich wissenschaftliche Zwecke verfolgt werden. Gegen das BfArM läuft das Klageverfahren übrigens noch.

GPSP: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Transparency so erpicht auf die Daten, weil die zeigen, mit welcher Macht und welchen Tricks Arzneimittel in den Markt gedrückt werden.

Spelsberg: Vor allem geht es um Transparenz. Wir wollen überprüfen, ob die im Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen Meldungen erfolgen, wie sie erfolgen, und was mit den Meldungen geschieht. Tragen sie zum Erkenntnisgewinn bei? Werden die Ergebnisse veröffentlicht? Oder sind Anwendungsbeobachtungen reines Marketing?

GPSP: Aber ist es nicht wichtig nach der Markteinführung eines Medikaments zu beobachten, wie es sich im Alltag bewährt? Also wenn viele Menschen es anwenden, auch ältere Personen mit vielerlei Erkrankungen?

Spelsberg: Das ist richtig. Das ist ein Thema der „Pharmakovigilanz“, also der Überwachung von Medikamenten, die bereits am Markt sind. Aber dazu liefern Anwendungsbeobachtungen nach unseren bisherigen Erkenntnissen keinen Beitrag, obwohl ihre Befürworter gerne das Gegenteil behaupten. Wie schon gesagt, werden Anwendungsbeobachtungen kaum systematisch ausgewertet noch veröffentlicht.

GPSP: Es gibt auch richtige Arzneimittelstudien, die nicht veröffentlicht werden.

Spelsberg: Ja, dabei handelt es sich mehrheitlich um Studien mit negativem Ausgang. Und das sorgt dafür, dass in der Öffentlichkeit ein zu positives Bild von einer Arznei oder einer Therapie entsteht. Wir – wie auch andere Organisationen – fordern schon lange, dass Pharmafirmen alle Studiendaten zugänglich machen, die sie erhoben haben.3 Es ist dringend notwendig, dass unabhängige Forschergruppen diese Studien analysieren.

GPSP: Was habe ich als Patient oder Patientin davon?

Spelsberg: Es entsteht ein realistischeres Bild vom Nutzen und den Risiken eines Arzneimittels beziehungsweise von einer Therapie. Und falls Sie an einer Studie teilgenommen haben, wissen Sie, dass die Ergebnisse nicht in Firmenarchiven verschwinden, sondern der Allgemeinheit nützen. Ich rate übrigens, nur dann teilzunehmen, wenn ein Passus in der Einverständniserklärung garantiert, dass ein Jahr nach Studienende die vollständigen klinischen Daten (clinical study reports) – natürlich unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten – in einer Datenbank öffentlich zugänglich sind. Nur das ermöglicht eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung.

GPSP: Frau Spelsberg, vielen Dank, dass Sie mit GPSP so grundsätzliche und für Patienten so wichtige Fragen besprochen haben.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2014 / S.19