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MEZIS: Es geht auch anders

Ärzte wehren sich gegen Einflüsterungen

Die Anbieter von Arzneimitteln beeinflussen ärztliche Therapieentscheidungen, wo sie nur können. Die Ärzteorganisation „Mein Essen zahl ich selbst“ (MEZIS) wehrt sich dagegen. Wir fragten Eckhard Schreiber-Weber, Arzt und Vorstandsmitglied von MEZIS, worum es seiner Organisation geht.

GPSP: Ärzte haben doch genug Geld, um ihr Essen selbst zu bezahlen. Was soll der Name „Mein Essen zahl ich selbst“?

Dr. Eckhard Schreiber-Weber: Seit Jahrzehnten versucht die pharmazeutische Industrie, unter anderem über Einladungen mit kostenfreiem Essen, die Therapieentscheidungen von Ärzten zu beeinflussen. Ärzte, die sich bei MEZIS engagieren, wollen da nicht mitmachen.

Aber Pharmareferenten, die in eine Arztpraxis kommen, laden doch nicht ins Restaurant ein?

Doch durchaus. Das ist neben vielen kleinen und größeren Geschenken die klassische Schiene. In einem Lehrbuch für Pharmareferenten1 findet man beim Stichwort „reziproke Regel“, was dann passiert: Wird nämlich ein Arzt oder eine Ärztin von einer freundlichen Pharmareferentin in ein schönes Restaurant eingeladen, möchte er oder auch sie sich revanchieren. Die Referentin selbst zum Essen einladen geht nicht. Doch weil es ein netter Abend war, werden später – gar nicht unbedingt bewusst – mehr Präparate der Arzneimittelfirma verordnet, die sich als so großzügig erwiesen hat.

Wo gibt es sonst noch kostenfreies Essen für Ärzte?

Bei Fortbildungsveranstaltungen. Ich selbst habe früher an einem „Hausärztlichen Stammtisch“ teilgenommen, bei dem der Vertreter einer Arzneimittelfirma oder ein von ihr bezahlter Arzt über eine Erkrankung und deren Behandlung berichtet hat. Dabei ging es aber immer um die Vorstellung eines neuen, teuren Medikaments. Mit Stammtisch hatte das nichts zu tun.

Das heißt auch, dass die Zeche von dem einladenden Pharmaunternehmen gezahlt wurde.

Ja. Das war nicht anders als bei großen Fortbildungsveranstaltungen in guten Hotels. Die Referenten werden von den Firmen bezahlt und meine Kosten als Arzt sind minimal. Gleichzeitig gibt es Fortbildungspunkte, die jeder Arzt und jede Ärztin alljährlich sammeln muss.

Wenn von 130.000 niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen in Deutschland gerade mal 330 bei MEZIS sind, ist das nicht viel.

Einerseits. Anderseits wachsen wir seit unserer Gründung ständig. Für viele Mediziner ist es ein langer Weg, sich von ihrem üblichen Verordnungsverhalten – und den Einflüsterungen der Industrie – zu distanzieren. Andere melden sich ganz spontan bei uns, weil sie seit Langem ein Unbehagen haben.

Woher kommt das?

Sie bemerken zum Beispiel, dass Pharmareferenten ihnen eine Menge Zeit stehlen.

Warum stehlen?

Weil sie als reine Handelsvertreter in die Praxis kommen. Sie informieren schlecht und reden nicht über unerwünschte Wirkungen oder den Preis ihres „Top-Präparats“. Sie machen mit Geschenken gute Stimmung und wollen, dass wir ihre meist teuren Mittel verschreiben. Darum ist eines der MEZIS-Ziele, keine Pharmavertreter mehr zu empfangen.

Was machen MEZIS-Mitglieder sonst noch anders?

Sie nehmen keine Geschenke der Pharmaindustrie an. Auch Musterpräparate sind für uns tabu. Denn das sind meist teure Markenprodukte, die nicht besser wirken als preisgünstige Alternativen. Die geschenkten Präparate führen aber dazu, dass Patienten meinen, sie bräuchten genau diese Marke. Außerdem machen MEZIS-Ärzte keine Anwendungsbeobachtungen mit.

Was hat es damit auf sich?

Da bekommt der Arzt oder die Ärztin dafür Geld, dass sie ein bestimmtes Medikament verordnen und einen Fragebogen ausfüllen, in dem es beispielsweise um die Verträglichkeit und Wirksamkeit des Mittels geht. Der Dreh dabei ist, dass diese Fragebögen gar nicht sinnvoll ausgewertet werden. Der Arzt meint vielleicht, seine Meinung sei gefragt. Aber es geht nur darum, dass er oder sie Patienten auf das meist teure Präparat der Firma, die die Anwendungsbeobachtung organisiert, einstellt.

Und das bedeutet?

Während der Arzt ein Honorar erhält, angeblich für das Ausfüllen des Fragebogens, bekommt der oder die Kranke vielleicht nicht das beste Medikament. Und sehr wahrscheinlich nicht das günstigste.

Wie hoch ist das Honorar?

Das kann bei 100 €, aber auch bei 400 € pro Patient und Fragebogen liegen.

Wodurch werden Ärzte noch beeinflusst?

Durch ihre Praxissoftware. Der entnehmen Ärzte zum Beispiel, welches Präparat, welcher Wirkstoff bei einer bestimmten Diagnose in Frage kommt. Diese Software kauft der Arzt günstig ein, weil sie in der Regel von Pharmafirmen gesponsert wird. Das bedeutet, dass es Werbung gibt. Will ich einen Cholesterinsenker verordnen, öffnet sich beispielsweise am PC ein Fenster mit Fettsenkerreklame.

Früher war es doch sogar so, dass gleich das Präparat des Arzneimittelherstellers, der die Software gesponsert hatte, ins Rezept eingetragen wurde.2

Sowas ist jetzt verboten. Aber wenn ich einen Cholesterinsenker suche, geht zum Beispiel ein Fenster auf, das auf eine bestimmte Schulung zur Gewichtsabnahme hinweist oder auf eine Studie, die mich zu einem bestimmten Medikament hinführt. Aktuell warnt MEZIS Ärzte vor einer anderen subtilen Form der Einflussname, die ich für äußerst unethisch halte.3

Erzählen Sie!

Mit der Praxissoftware verwalten wir auch unsere Patientendateien. Das ersetzt die alten Karteikarten. Gebe ich zum Beispiel die Diagnose Lumbalgie ein, also Hexenschuss, öffnet sich ein Fenster, das mich darauf hinweist, dass der oder die Betreffende vielleicht auch eine Angststörung hat und dafür ein bestimmtes Präparat benötigt. Und nicht nur das! Da gibt es gleich einen Fragebogen, mit dem ich das angeblich testen kann, und eine internationale Studie, deren deutsche Zusammenfassung einen bestimmten Wirkstoff hervorhebt. Wen wundert‘s da noch, dass Fragebogen und Wirkstoff vom selben Arzneimittelkonzern stammen, in diesem Fall von Pfizer.

Warum lassen sich Ärzte das bieten?

Viele meinen, dass sie auf solche Marketingtricks nicht hereinfallen. Aber ob man sich subjektiv beeinflusst fühlt oder es faktisch ist, macht einen Unterschied. Dafür will MEZIS sensibilisieren. Wir setzen uns für werbefreie Software ein, die ist nur wenig teurer.

Was haben denn Kranke davon, wenn MEZIS versucht, Ärzte für diese subtilen Mechanismen der Einflussnahme zu sensibilisieren?

Patienten werden besser versorgt, wenn sie normalerweise bewährte Arzneimittel erhalten und ihr Arzt sich nicht von Pharmavertretern so genannte Scheininnovationen aufschwatzen lässt. Diese Präparate werden als „neues“ Präparat hochgejubelt, doch die Wirksubstanz ihres Vorläufers wurde nur leicht verändert. In der Regel bedeutet das keinen Vorteil für Patienten, denn die neue Substanzvariante ist nicht wirksamer, aber weniger gut erforscht, vielleicht risikoreicher und nahezu immer deutlich teurer. Hier wird viel Geld der Krankenkassen verschwendet, das die Versicherten mit ihren Beiträgen bezahlen müssen. Außerdem wissen wir: Nicht immer ist ein Medikament nötig! Ich bin gegen die zunehmende Medikalisierung der Therapie. Ernährungsberatung, Anleitung zur Raucherentwöhnung, gezielte Bewegungstherapie, aber auch Kneippsche Anwendungen und Psychotherapie sind oft das, was hilft.

Vielen Dank Herr Schreiber-Weber. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber die Annahme von Geldern und Geschenken durch Ärzte bald strenger regelt.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2012 / S.12