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© MaryAnnShmueli/ istockphoto.com

Neue Muskeln fürs Herz? Schön wär’s…

US-Forscher des jahrzehntelangen Betrugs überführt

Einen Betrug in diesem Ausmaß hat es in der Medizin nur selten gegeben: Über 30 wissenschaftliche Publikationen eines weltweit bekannten Forschers müssen auf Forderung seiner Heimat-Einrichtung, der berühmten Harvard Universität, zurückgezogen werden. Sie sollen gefälschte oder frei erfundene Ergebnisse enthalten. Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass niemand an dem Betrug zweifelt. Die spannende Frage ist, ob nun eine ganze Forschungsrichtung zusammenbricht aufgrund dieses offensichtlichen Desasters.

Worum geht es? Herzmuskelzellen, die nach einem Infarkt wegen des Sauerstoffmangels abgestorben sind, wachsen nicht nach. Sie werden vielmehr durch Bindegewebe ersetzt, das keine Muskelfunktion mehr ausübt. Daher ist bei diesen Patienten die Pumpleistung, und somit die Herzfunktion, dauerhaft geschwächt. Sie leiden unter Herzinsuffizienz.

Der Traum der medizinischen Wissenschaft war und ist es, Herz­muskelzellen nachwachsen zu lassen. Die Stammzellfor­schung bietet solche theore­ti­schen Möglichkeiten. Stamm­zellen kommen aus dem Knochen­mark und können sich grund­sätzlich zu jeder Art von Zellen entwickeln, theoretisch also auch zu Herzmuskelzellen.

Die Idee ist, Stammzellen aus dem Knochenmark in das Herz einzubringen. Dort sollen sie neue Herzmuskelzellen bilden, die dann die zerstörten Zellen ersetzen.

Nur Labormäuse…

Viele Forscher weltweit arbeiteten an der Umsetzung dieser Idee, aber bis zu den Forschungsergebnissen des nun beschuldigten Wissenschaftlers Piero Anversa hatte das nie geklappt. Seine Arbeiten schienen dann aber zu zeigen, dass es doch möglich ist. Die Studien schürten Hoffnungen auf sogenannte Regenerationseffekte im Herzen. Allerdings: Die Versuche waren an Labormäusen durchgeführt worden.

…und erfolglose klinische Studien

Ermutigt von dem vermeintlichen Durchbruch, begannen viele Forschergruppen, unter anderem auch in Deutschland, dies an Patienten zu erproben. Stammzellen wurden aus Knochenmark gewonnen und anschließend in die Herzen eingebracht – in der Hoffnung, dass sie sich dort zu Kardiomyozyten, also Herzmuskelzellen, entwickeln würden. Doch das erwies sich als Illusion: Es ist bis heute nicht gelungen.

Nicht ganz überraschend

Der aktuelle Vorwurf ist nicht völlig neu: Piero Anversa steht seit Jahrzehnten in der Kritik der weltweiten Wissenschaftsgemeinde, weil schon seine Labor­experimente von anderen Forschergruppen nicht erfolgreich wiederholt werden konnten.1 Eine solche Bestätigung von Experimenten durch andere Wissenschaftler ist die typische Art, wie neue Erkenntnisse endgültig anerkannt werden.

Doch Piero Anversa nahm die Kritik nicht an, er wehrte sich dagegen. Er verklagte sogar seinen damaligen Arbeitgeber, die Harvard Universität, wegen Rufschädigung, nachdem zwei hochrangige wissenschaftliche Zeitschriften auf Unstimmigkeiten in seinen Arbeiten hingewiesen und eine Rücknahme seiner Studien erreicht hatten.

Eventuell ging es dabei auch um patentrechtliche und damit finanzielle Interessen. Doch vergebens. Harvard akzeptierte inzwischen sogar eine Rückzahlung von zehn Millionen Dollar öffentlicher Forschungsgelder.2

Endgültiges Aus?

Grundsätzlich gilt als gesichert, dass es Stammzellen im Herzen gibt, die Blutgefäße und Stützgewebe bilden. Vielleicht können sie sogar aus dem Knochenmark einwandern. Solche Stammzellen entwickeln sich aber nur in vernachlässigbarem Ausmaß zu Herzmuskelzellen. Die Existenz eines Pools von Stammzellen im Herzen, die zugrunde gegangenes Muskelgewebe regenerieren, wird von den meisten Experten bestritten.

Die Jagd geht weiter

Obwohl sich die Skandale in der Stammzellforschung häufen: Beendet ist die Suche nach dem möglichen Allheilmittel nicht. Als Konsequenz aus dem Fall Piero Anversa wird sie aber vorsichtiger weitergehen. So hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde NIH vorerst eine große klinische Studie gestoppt, in der verschiedene Arten der Stammzelltherapie für Herzkranke miteinander verglichen werden sollten.

Die Herzzellforscher, die die Anversa-Story schon früh bezweifelten, haben andere Ideen und verfolgen sie mit anderen Methoden: So wird zum Einen versucht, im Labor kleine Gewebestückchen aus Herzmuskelzellen zu züchten, die an Stellen mit zerstörtem Gewebe im Herzen eingepflanzt werden können. Ein anderer Ansatz ist die Verpflanzung von so genannten pluripotenten Stammzellen. Dabei werden vorhandene Zellen genetisch so verändert, dass sie sich wieder zu verschiedenen Zelltypen entwickeln können, also grundsätzlich auch zu Herzmuskelzellen.  Ihr Vorteil: Sie ließen sich in großem Ausmaß vermehren. Doch ob solche Zellen jemals beim Menschen einen geschädigten Herzmuskel wieder herstellen können, steht in den Sternen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2019 / S.25