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Krebstherapie

Warum neue Medikamente so viel kosten und doch häufig so wenig helfen

Die Frage, ob eine Therapie zu teuer ist, und ob sie sich lohnt, ist heikel. Zumal, wenn es – wie bei Krebserkrankungen – um Leben und Tod geht. Wir werfen mit diesem Interview trotzdem die Frage nach der Beziehung von persönlichem Nutzen und den Kosten auf. Geld kann Leben retten oder das verbleibende lebenswerter machen, aber nur, wenn es an der richtigen Stelle ausgegeben wird.

GPSP: In der Krebstherapie explodieren die Kosten. Vor allem Medikamente, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, kosten pro Monat 4 000 Euro und mehr. Im Jahr sind das je nach Präparat 30 000 bis 100 000 Euro. Es gibt immer mehr kritische Stimmen, die den Nutzen dieser Ausgaben anzweifeln. Was sind die Gründe?

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig: Wir Onkologen sind von den meisten neu zugelassenen Mitteln eigentlich enttäuscht. In der Realität zeigt sich nämlich, dass Tumorkranke von ihnen oft wenig profitieren. Das heißt, Betroffene leben bestenfalls nur drei, vier Monate länger, und ihre Lebensqualität wird häufig nicht verbessert.

Wie kommt das? Es klingt doch vielversprechend, was diese sehr speziellen Stoffe können (siehe Kasten).

In der Tat verstehen wir dank der Grundlagenforschung immer besser die Faktoren, die Wachstum und Ausbreitung von Tumorzellen kontrollieren. Aber die Arzneimittel, die dieses Wissen praktisch umsetzen sollen, bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Aber sie wurden doch zugelassen. In den USA und in Europa.

Da liegt ein Problem. Für die Zulassung muss ja nur nachgewiesen sein, dass das Präparat überhaupt wirkt und die Nebenwirkungen, also seine Risiken, vertretbar sind. Ob ein Wirkstoff besser ist als bereits vorhandene, ist für seine Zulassung weitgehend uninteressant. Aber es gibt noch gravierendere Probleme.

Welche?

Oft haben an diesen Zulassungsstudien nur wenige Patienten teilgenommen. Und meist war ihr Durchschnittsalter geringer als bei unseren Patienten in der Klinik. Noch ein anderer Faktor verschönert sozusagen das Ergebnis von Zulassungsstudien: Die Teilnehmer haben einen guten Allgemeinzustand, also nicht etwa zusätzlich eine schwere Erkrankung der Leber oder der Niere. Das ist im Klinikalltag häufig ganz anders.

Und was bedeutet das?

Wenn jemand beispielsweise eine eingeschränkte Nierenfunk­tion hat, dann müssen wir damit rechnen, dass sein Knochenmark, aber auch andere Organe durch die Behandlung stärker geschädigt werden. Denn er kann Arzneimittel nicht so gut ausscheiden.

Sie fordern ja, dass mehr Studien nach der Zulassung gemacht werden, also unter Alltagsbedingungen. Ist die Vorauswahl der Studienteilnehmer der Grund?

Sie ist einer der Gründe, weshalb wir solche für die alltägliche Versorgung relevante Studien benötigen. Was wir aber dazu brauchen sind viele Patienten, die bereit sind mitzumachen und vorher gut über Sinn und Risiken informiert werden. Und wir brauchen eine öffentliche Förderung solcher Studien. Arzneimittelhersteller haben einen Interessenkonflikt.1 Sie brechen nicht selten Studien ab, wenn sich ein Vorteil zeigt. Zum Beispiel, wenn der Tumor nicht mehr so schnell wächst oder Laborwerte günstiger aussehen.

Sind das nicht doch ernstzunehmende Vorteile?

Das können sie sein, aber sie bedeuten nicht automatisch, dass unsere Patienten länger und besser leben. Wie auch andere kritisiere ich vor allem, dass Lebensqualität und Beschwerden in vielen Studien ausgeblendet wurden.2 Man muss sich doch fragen: Will ich zwei, drei Monate länger leben, wenn die Therapie und die gewonnenen Tage nur Mühsal sind oder größtenteils im Krankenhaus verbracht werden? Leider ist es so, dass Zulassungsstudien oft ein wenig nützliches Kriterium anlegen: das sogenannte progressionsfreie Intervall. Das ist die Zeitdauer, in der sich der Krebs nicht verschlimmert. Ist es länger als bei einer Therapie ohne Medikament, dann reicht das als Beleg für Wirksamkeit. Ob Patienten damit länger leben, ist damit keinesfalls belegt.

Also wird ein neues Medikament gar nicht mit bereits existierenden verglichen?

So ist es leider. Oder eben nicht mit dem besten, das bereits Standard der Behandlung ist. Für Onkologen ist das ärgerlich, für Patienten tragisch. Denn nur gute Vergleichsstudien helfen bei der Entscheidung: Welches Mittel ist für welchen Patienten in welcher Dosierung am hilfreichsten.

Man möchte meinen, solche Daten lägen vor. Warum sonst sind die neuen Präparate so teuer. Der Preis sollte doch den Vorteil abbilden?

Das ist nicht so. Verständlicherweise versuchen Herstellerfirmen durch hohe Preise ihre Forschungskosten wieder einzufahren.

Angesichts des Forschungsaufwands sind die neuen Wirkstoffe also nicht zu teuer?

Doch. Da werden teilweise utopische Preise verlangt. Ich nenne sie sogar obszön, denn uns fehlt dadurch das Geld für andere Möglichkeiten der Betreuung von Krebskranken. Vor zwanzig Jahren hat beispielsweise die Arzneimitteltherapie von Tumorerkrankungen in den USA im Monat durchschnittlich 500 US $ pro Patient gekostet, heute verschlingt sie 7 000 US$,3 und die Erfolgsrate hat sich in vielen Bereichen kaum verbessert. Am erfolgreichsten behandeln wir Patienten mit Hodentumor, Leukämie oder einem Lymphom. Das liegt weniger an den neuen Arzneimitteln, sondern an einer intelligenten Kombination von lange bekannten Chemotherapien.

Was schlagen Sie vor?

In Deutschland versuchen Firmen für Medikamente den höchstmöglichen Preis zu erzielen. Länder wie Frankreich oder Großbritannien verhandeln hart mit den Herstellern, um den Preis zu drücken. Sonst wird das Präparat dort von den Krankenkassen nicht oder nur teilweise erstattet. Wir brauchen Studien, die den Nutzen eines Arzneimittels unter Alltagsbedingungen vergleichen. Wir sollten das Geld nicht ausgeben, um Laborwerte zu verbessern, sondern damit Patienten beschwerdefrei und länger leben.

Herr Ludwig, vielen Dank für das Gespräch.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2009 / S.12