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Extrawurst für pflanzliche Mittel

Streit um Bewertungen von Health Claims

Die Werbung für Nahrungsergänzung mit pflanzlichen Bestandteilen ist derzeit wenig reguliert. Hintergrund ist eine lange schwelende Diskussion in der Europäischen Union um den Status der „Botanicals“. Eine aktuelle Initiative des Bundesrats hat aber nicht nur den ­Verbraucherschutz im Blick, sondern ist auch das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit der Hersteller von ­pflanzlichen Arzneimitteln.

Kapseln mit Ginkgo-Extrakt oder anderen pflanzlichen Bestandteilen: Sind die jetzt Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel? Von Verbraucher:innen ist das oft nicht einfach auseinanderzuhalten. Unter welchen Bedingungen die jeweiligen Mittel verkauft und beworben werden dürfen, unterscheidet sich jedoch grundsätzlich – und auch darin, welche Belege die Anbieter für die behaupteten Wirkungen beibringen müssen.

© Thomas Kunz

Problemfall Botanicals

Das gilt grundsätzlich auch für pflanzliche Mittel. Dort ist die rechtliche Situation aber besonders verzwickt: Nahrungsergänzungsmittel dürfen eigentlich nur mit gesundheitsbezogenen Angaben („Health Claims“) werben, wenn diese von der Europäischen Kommission genehmigt sind. Grundlage dafür sind Bewertungen der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Soweit die Theorie.

In der Praxis liegen die Bewertungen für die Health Claims für pflanzliche Nahrungsergänzung („Botanicals“) seit rund einem Jahrzehnt auf Eis. Hintergrund sind Diskussionen unter den EU-Mitgliedsstaaten, weil sie pflanzliche Mittel mit möglichen gesundheitsrelevanten Wirkungen sehr unterschiedlich einstufen. Aber auch die ersten negativen Bewertungen sowie ein nachfolgender Druck der entsprechenden Anbieter dürfte eine Rolle gespielt haben: Denn der Bewertungsprozess wurde von der Kommission auf Eis gelegt, nachdem 530 bis dahin durch die EFSA bewertete Health Claims für pflanzliche Stoffe wegen unzureichender Belege durchgefallen waren. Dass nichts mehr veröffentlicht wurde, ist ein Bruch geltenden europäischen Rechts, denn eine Übergangsregelung galt nur bis Januar 2010. Nur scheint das bislang kaum jemanden gekümmert zu haben.

Verwirrende Werbung

Solange diese Uneinigkeit nicht behoben ist und die Bewertungen wieder aufgenommen werden, dürfen Anbieter, die bereits Genehmigungsanträge gestellt haben, ihre Health Claims verwenden – solange sie keiner Aufsichtsbehörde als irreführend auffallen. Das betrifft rund 1.500 gesundheitsbezogene Aussagen.

Resultat ist ein Wildwuchs in der Werbung für Nahrungsergänzung, wie Verbraucherschutzorganisationen zu Recht beklagen.1 Druck kommt aber auch von anderer Seite: So hat der Bundesrat Mitte Februar 2021 die Bundesregierung gebeten, sich bei der Europäischen Kommission für eine zügige Wiederaufnahme der Bewertungen einzusetzen.2

Wer profitiert?

An sich ein löbliches Vorhaben für mehr Verbraucherschutz. Allerdings steckt noch etwas anderes dahinter. Wenn man sich ansieht, welches Bundesland den Antrag im Bundesrat eingebracht hat, wird auch erfolgreiche Lobbyarbeit sichtbar: Denn in Baden-Württemberg sind bedeutende Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln (Phytopharmaka) ansässig, die sich durch die ruhenden Health-Claims-Bewertungen für Botanicals benachteiligt sehen. Ihr Argument: Arzneimittelhersteller müssten mehr Wirksamkeitsbelege beibringen als Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln und das verzerre den Wettbewerb.

Zweierlei Maß

Was die Phyto-Hersteller jedoch nicht an die große Glocke hängen: Sie selbst profitieren davon, dass die Regeln für pflanzliche Arzneimittel viele Jahre deutlich laxer waren als für Medikamente mit definierten chemischen Wirkstoffen und es teilweise auch heute noch sind. So stufte die deutsche Zulassungsbehörde 2016 etwa Ginkgo bei Tinnitus oder Weißdorn bei Herzschwäche als unzureichend belegt ein. – Entsprechende Mittel, die zu diesem Zeitpunkt zugelassen waren, dürfen aber wegen „Bestandsschutz“ weiter mit diesen Anwendungsgebieten werben.

Land der Quacksalberei

Würde sich der Bundesrat wirklich für Verbraucherschutz interessieren, dann würde er sich nicht nur dafür stark machen, dass die Bewertung der Health Claims für Botanicals wieder aufgenommen wird, sondern dass auch das Arzneimittelgesetz geändert wird. Denn es gesteht – wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen – „Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen“ weitreichende Ausnahmen hinsichtlich der Wirksamkeitsbelege zu. Neben pflanzlichen Medikamenten gehören dazu auch homöopathische und anthroposophische Mittel. Wer sich anschaut, wo große einflussreiche Anbieter dieser Mittel ihren Sitz haben, ahnt auch, welches Bundesland sich sicherlich nicht für eine Änderung einsetzen wird. Vielleicht sollte Baden-Württemberg in diesem Zuge seinen eigenen Claim3 überdenken. Wie wäre es mit „Wir können alles. Außer Arzneimittel mit ordentlichen Wirksamkeitsbelegen.“

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2021 / S.08