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Anwendungsbeobachtungen: Boni für Ärzte?

Für bereits zugelassene Arzneimittel macht die Pharmaindustrie mit Hilfe von Ärzten und ihren Patienten Anwendungsbeobachtungen – kurz AWB. Vordergründig sollen diese zeigen, wie sich das Präparat xy im Alltag bewährt, nachdem es in klinischen Studien geprüft wurde. Die Ärzte erhalten ein Honorar, das meist weit höher liegt als der tatsächlich notwendige Zeitaufwand für die ärztliche Dokumentation. Denn in Wahrheit geht es meist um etwas anderes: Ärzte und Ärztinnen werden so mit der Nase auf das neue Mittel gestoßen, damit sie es häufig verschreiben.

© Thomas Kunz

Wie viel Geld Ärzte durch AWB zusätzlich verdienen, war bisher geheim und musste nur der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mitgeteilt werden. Transparency International Deutschland wollte aber endlich genau wissen, wie gut Ärzte an AWB verdienen und ob sie womöglich Patienten auch ohne Notwendigkeit auf ein anderes Arzneimittel umstellen – etwa weil dessen Anbieter gerade Teilnehmer für seine Anwendungsstudie mit dem Präparat xy sucht und ein stattliches Honorar für neue Patienten winkt.1 Der GKV lieferte der Antikorruptionsorganisation zügig wichtige Daten – sparte die Honorare allerdings zunächst aus. Aber KBV und BfArM hüllten sich in Schweigen. Darum klagte Transparency auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz und hatte Erfolg.

Mitglieder von Transparency konnten für den Zeitraum 2008 bis 2010 mehr als 7.000 Seiten Unterlagen auswerten, wobei sich erschreckende Zustände offenbarten: Das BfArM hatte die Anwendungsbeobachtungen zum Teil selbst angeordnet, aber nicht systematisch registriert. Wesentliche Dokumente waren nur nach Posteingangsdatum abgeheftet worden, ohne weitere Überwachung. Transparency kommt zu dem Schluss, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften „wurde offensichtlich nie kontrolliert“. Auch weicht die Berichterstattung der drei Meldestellen erheblich voneinander ab: Für den untersuchten Zeitraum melden die GKV 598 Anwendungsbeobachtungen, die KBV 558 und das BfArM sogar nur 499.

Insgesamt haben über eine Million Patientinnen und Patienten an den Studien teilgenommen, über 100.000 Ärzte waren beteiligt.2 Da die Ergebnisse nicht weiter überprüft wurden – geschweige denn von den Behörden bei Fragen zur Arzneimittelsicherheit berücksichtigt – schätzen Experten von Transparency den wissenschaftlichen Wert der Anwendungsbeobachtungen als „gleich Null“ ein.

Das vorläufige Ende und Fazit der Geschichte: Ärzte erhalten ein Honorar von durchschnittlich 19.000 € pro Studie, wobei die Höhe je nach Arznei und Zahl der Studienteilnehmer stark schwankt. Pro AWB kalkulierten die Firmen offenbar eine halbe Million Euro Honorarkosten. „Damit können AWB als Instrument von unzulässiger Einflussnahme auf Ärzte, und als Korruption im Gesundheitswesen angesehen werden,“ urteilt Angela Spelsberg von Transparency. Besorgniserregend findet die Ärztin vor allem, dass die Ergebnisse aus Anwendungsbeobachtungen offenbar für die  Arzneimittelsicherheit von Patienten keine Relevanz haben. Transparency fordert nun, dass alle Studien nach der Zulassung registriert werden und für unabhängige Überprüfer zugänglich sein müssen. Bislang sind sie Eigentum der Sponsoren, also der Arzneimittel- oder Medizinprodukte-Industrie.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2015 / S.13