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„Homöopathie ist wie ein schönes Märchen“

Die Ärztin Natalie Grams will, dass homöopathische Produkte nicht mehr wie Arzneimittel ausschließlich in Apotheken verkauft werden, um ihnen den Anschein von wirksamer Medizin zu nehmen. Globuli gehören – wenn überhaupt – in den Supermarkt oder in die Drogerie. Aufklärung soll diese Umkehr bewirken: Mit dem Informationsnetzwerk Homöopathie kommuniziert sie deshalb Fakten zur Homöopathie und ihren zweifelhaften Grundlagen.

GPSP: Welcher Gedanke steckt hinter der Homöopathie?

Entstanden ist die Homöopathie eigentlich, um eine gute Alternative zur schrecklichen Medizin des frühen 19. Jahrhunderts zu bieten. Von diesem Mythos lebt sie heute immer noch, obwohl sich die Medizin und das Wissen um Diagnose und Therapie stark weiterentwickelt haben. Homöo­pathie ist längst nicht mehr die bessere – weil verträglichere – Alternative, sondern mittlerweile die schlechtere.

Warum hält sich dann dieser Mythos?

Der Umgang mit Menschen ist in der Medizin, trotz des eigentlich vorhandenen umfangreichen Wissens, aus manchen Gründen nicht besonders gut. Viele sehnen sich nach einer menschlicheren Alternative, bei der nicht allein die Wirkung oder die Plausibilität des tatsächlichen Wirkmechanismus einer Behandlung im Vordergrund steht.

Die Homöopathie gibt mir genau das, was ich als Patient aktuell vermisse?

Keine Chemie-Keule, sanft, natürlich, keine Nebenwirkungen, trotzdem wirkungsvoll – so die Versprechen. Diese Attribute ziehen immer noch ganz viele Menschen an. Der Mythos der Homöopathie ist wie ein schönes Märchen. Und ein Mythos muss auch nicht besonders rational sein, weil er so ein schönes Gefühl schenkt. Deshalb schlagen ja auch die Emotionen so häufig hoch, wenn man die Homöopathie kritisiert. Viele Menschen verbindet mit der Homöopathie eine Emotion und nicht die Ratio.

Wer krank ist, möchte aber doch eigentlich wieder gesund werden oder einfach gesund bleiben.

Homöopathie wird sehr häufig bei Bagatellbeschwerden angewendet, die sowieso von allein wieder vergehen. Die Menschen nehmen dann an, dass ihnen die Homöopathie geholfen habe. Das Märchen wird zur empfundenen Realität. Es ist schwer, rational dagegen zu argumentieren. Weil man das Gefühl mit der Erfahrung kombiniert, hält man dies dann für wahr. So ist es gar nicht mehr nötig, die Ratio anzuschalten, denn man hat ja schon alles. Diese Annahme teilen die Menschen dann unter sich und bestärken sich in ihrer Überzeugung gegenseitig. Natürlich macht sich das die Werbung für die Homöopathie zunutze, seit Jahrzehnten praktisch unwidersprochen.

Wie halten Sie dagegen?

Ich hoffe, dass wir Anhängern der Homöopathie durch Aufklärung zu einem anderen Blick verhelfen und das Wissen über die wirklichen Grundlagen der Homöopathie an die Stelle des Mythos setzen können. Ob sie diesen Blick annehmen, ist ihnen natürlich freigestellt. Wir vertrauen auf die Kraft der Information.

Wie stark ist die Lobby der Homöopathie?

Bisher war die Lobby pro Homöopathie der einzige Player auf diesem Feld. Sie hat Ärzte und sogar Universitäten beeinflusst und nicht zuletzt auch die Politik. Die Homöopathie ist zu etwas total Positivem verklärt worden. Ihre Kügelchen gelten rechtlich als Arzneimittel und sind als solche im Arzneimittelgesetz sogar mit Privilegien wie dem Verzicht auf einen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis geschützt worden – eine wirklich sehr erfolgreiche Lobbyarbeit. Und jetzt kommen wir vom Netzwerk und sagen, dass da alles Mögliche nicht stimmt und bringen dafür sogar die Belege. Wir kritisieren die Homöopathie massiv und stützen uns dabei auf die von der wissenschaftlichen Welt hervorgebrachten und allgemein als valide anerkannten Belege. Und die Lobbyisten haben plötzlich außer ihrer Story nichts mehr zu bieten. Gegenbelege zu unseren Argumenten können sie offenbar nicht liefern und auch diese Deklaration Pro Homöopathie,1 die kürzlich von einigen prominenten Homöopathen verabschiedet wurde, war ja im Grunde genommen nur ein Glaubensbekenntnis. Das einzige, was sie nicht gemacht haben, ist: tragfähige Evidenz für die arzneiliche Wirksamkeit der Homöopathie zu zeigen.

Wobei es ja einige Studien gibt, die belegen sollen, dass es Evidenz für die Homöopathie gibt?

Sicher gibt es Studien mit positiv erscheinenden Ergebnissen pro Homöopathie. Immer wieder zeigt sich aber, dass methodische und andere wissenschaftliche Mängel darin unübersehbar sind. Die Gesamtschau, selbst wenn Homöopathen diese machen,2 zeigt, dass allenfalls sehr schwache Hinweise für eine Wirksamkeit zu finden sind. Diese Reviews und Metaanalysen rechtfertigen also nicht, dass die Homöopathen immer noch sagen „Schneller, sanfter, besser – selbst für chronisch Kranke geeignet“. Interessant ist, dass die Homöopathen die Ergebnisse ihrer eigenen Metaanalysen nahezu nicht zur Kenntnis nehmen und andere Studien massiv angreifen, obwohl die Ergebnisse ähnlich negativ sind. Zur Wissenschaft hat die Homöopathie ein gebrochenes Verhältnis – sie wird nur herangezogen, wenn es gerade opportun erscheint.

Wie versucht die Lobby, Kunden zu gewinnen und zu halten?

In den 1990er Jahren und Anfang dieses Jahrtausends wurde mit Attributen wie „natürlich“, „nebenwirkungsfrei“ und „sanft“ geworben, oder mit „unterstützt die Selbstheilungskräfte“. Jetzt heißt es: „Die Homöopathie ist beliebt“, „Jeder möchte sie“, die Botschaft ist klar: „Mach auch du mit!“ Der Appell an das Bauchgefühl, das alles andere ist als ein Wirkungsnachweis für eine Methode. Ganz neu ist nun der Ansatz „Patientenautonomie“, „Freiheit“, „Jeder darf entscheiden, was er möchte“, sei es beim Impfen oder eben bei der Homöopathie. Der Patient soll in seiner Autonomie gestärkt werden. Was ja eigentlich auch richtig ist. Aber wenn wir das mit Fakes – also falschen Fakten – tun, dann lassen wir ihn überhaupt nicht frei, sondern drängen ihn davon weg; lassen ihn tendenziös entscheiden, ohne dass ihm dies klar ist. Ich halte diese Werbung für total unfair dem Patienten gegenüber.

Wer wird damit angesprochen?

Eine wichtige Zielgruppe sind ja junge Eltern, die natürlich Rat und Hilfe bei ihrer Hebamme oder auch in Apotheken suchen und damit unter Umständen nachhaltig auf Homöopathie „eingeschworen“ werden. Hebammen und Apothekenpersonal wiederum sind Zielgruppe für Veranstaltungen von Herstellern und werden gezielt „geschult“ auf Homöopathie-Verkauf. Vermittelt wird, dass man mit einer Handvoll Standardmittel eine Reihe von Indikationen „behandeln“ kann, und sei es als Zusatzbehandlung, unter dem wohlklingenden Namen „komplementär“. Zudem wird dem Apothekenpersonal und den Hebammen das Gefühl von Expertentum vermittelt, das bei der Überzeugung von Kundschaft wiederum natürlich hilfreich ist.

© tanislava Karagyozova/ iStockphoto.com
© tanislava Karagyozova/ iStockphoto.com

Und Apotheken nehmen diese Angebote wahr?

Apotheker und Apothekerinnen oder auch ihre Mitarbeiter sind in einer schwierigen Situation. Nach Studium oder Ausbildung finden sie sich mehr oder weniger in der Rolle von „Verkaufspersonal“ wieder. Ihre gesetzliche Aufgabe ist ja aber Beratung als Experten. Deshalb wäre es besonders wichtig, dass diese auf Basis von Fakten und nicht von Glauben, Beliebtheit und Marketing der Hersteller erfolgt.

Wie wird man Homöopath?

Die Bezeichnung „Homöopath“ ist nicht geschützt. Es gibt viele verschiedene Schulen, die eine Ausbildung anbieten. Es gibt aber keinen verbindlich geregelten Weg oder Vorgaben, wie ich Homöopathie lernen muss oder wann ich diese anwende. Hauptsache, die Ausbildung ist lang und jede Schule verdient gut daran. Auch ein homöopathisches Ausbildungswochenende ist teuer, das kostet schnell 300 oder 400 Euro. Wer sich Homöopath nennt, ist entweder Heilpraktiker oder Arzt mit Zusatzbezeichnung durch die Ärztekammer. Als Arzt kann man dann besonders gut mit Krankenkassen abrechnen. Die meiste Homöopathie wird jedoch einfach so in der Apotheke verkauft – zur Selbstmedikation von Patienten, ganz ohne eine spezielle Ausbildung oder lange Anamnese durch einen Homöopathen.

Wer verdient noch an der Homöopathie?

Neben den selbst ernannten Schulen und Instituten der Zentralverein Homöopathie, weil er sein Diplom mit extra Fortbildung exklusiv anbietet. Krankenkassen werben mit Homöopathie Mitglieder, die Hersteller verdienen, die Apotheken, Ärzte und natürlich Heilpraktiker.

Sie hoffen auf ein Homöopathie-freies Gesundheitssystem. Wie soll das gehen?

Wenn wir es schaffen, politisch so viel Druck zu erzeugen, dass die Homöopathie nicht mehr den Status einer Arzneimittelgruppe hat, also nicht mehr im Arzneimittelgesetz drinsteht, fehlt ihr der offizielle Segen. Die Mittel können dann zwar immer noch in der Apotheke verkauft werden, aber sie unterliegen nicht mehr der Apothekenpflicht, und Ärzte können sie dann nicht mehr verschreiben. Natürlich können Heilpraktiker oder Heiler die Mittel weiter verordnen – und jeder Mensch kann sie auf eigene Kosten und Verantwortung einnehmen. Aber man hätte der Homöopathie diesen falschen Heiligenschein genommen, diesen Status, der ihr nicht zusteht. Das ist jedenfalls die Strategie, die wir als Netzwerk verfolgen – das Märchenhafte der Homöopathie aufzudecken

Vielen Dank für das Gespräch!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2019 / S.19