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@ Jörg Schaaber

Luftnummer Forschungskosten

Rechtfertigung für hohe Preise fragwürdig

Mit jedem Arzneimittel, das neu auf den Markt kommt, wird an der Preisschraube gedreht. Die Industrie rechtfertigt das mit ihren Ausgaben für die Forschung. Doch bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass die Fakten ziemlich unklar sind und wie mit Zahlen jongliert wird.

Auf der Website des Pharmaverbandes VfA steht: „Pro Medikament mit neuem Wirkstoff, das es zur Zulassung schafft als Medikament, muss ein Unternehmen Kosten von 1,0 bis 1,6 Milliarden US-$ veranschlagen.“1 Ergänzt wird diese Aussage um den Hinweis, dass die „Kapitalisierungskosten“ in diese Summe mit eingerechnet sind. Bei diesen handelt es sich um einen Aufschlag auf die tatsächlichen Forschungskosten. Er wird so errechnet: Hätte die Firma ihr Geld statt in Pharmaforschung in etwas anderes investiert, wie viel hätte sie in der Zwischenzeit damit verdienen können?

Hätte, hätte, Fahrradkette

Die interessantere Frage: Wie hoch ist der Anteil dieses fiktiven Zuschlags auf die Forschungskosten? Basis sind meistens die Berechnungen einer industrienahen Forschergruppe um Joseph A. DiMasi von der US-amerikanischen Tufts University.2 Sie schlägt auf die tatsächlichen Forschungsausgaben ungefähr denselben Betrag als „Kapitalisierungskosten“ auf, das ist eigentlich eine Luftbuchung. Man kann also die Firmenangaben zu Forschungskosten deshalb schon einmal getrost halbieren.

Dazu kommt: Überprüfen lassen sich die tatsächlichen Ausgaben praktisch kaum: Solche Zahlen zu einzelnen Forschungsprojekten betrachten die Firmen nämlich als Geschäftsgeheimnis. Rebecca Warburton und Donald W. Light wollten es genauer wissen und nahmen die Schätzungen von Joseph DiMasi unter die Lupe. Der hatte 2003 eine Summe von 803 Mio. US$ (einschließlich Kapitalisierungskosten) pro neuem Medikament errechnet. Das kritische Forscherteam ermittelte dagegen – nach Abzug von überzogenen Kostenschätzungen für die klinischen Studien, den Kapitalisierungskosten und der Steuer-ersparnis – Nettoausgaben von 43 bis 59 Mio. US$ pro neuem Wirkstoff.3

Auch wenn die Kosten heute höher liegen mögen, geben gemeinnützige Organisationen, die Arzneimittel erforschen, ebenfalls niedrigere Ausgaben an: Auf 76 bis 115 Mio. US$ schätzte die „Global Alliance for Tuberculosis Drug Development“ 2001 die Kosten pro erfolgreichem Medikament. Und die Organisation „Drugs for Neglected Diseases initiative“ (DNDi) bezifferte 2014 die Kosten mit 100 bis 150 Mio. US$.4

Mehr Geld für Werbung

Pharmafirmen geben fast doppelt so viel für Werbung aus wie für Forschung. Das haben zwei kanadische Wissenschaftler nach Sichtung zahlreicher Unterlagen herausgefunden.5 Die von den Firmen selbst in den USA veröffentlichten Konzernbilanzen zeigen dieses Missverhältnis zwischen Werbung und Forschung ebenfalls.6 Interessanterweise wird umso mehr Geld in die Werbung investiert, je geringer der Nutzen eines Medikaments ist.7

Die Pharmabranche betont immer wieder, sich in den Dienst der Patienten zu stellen. Aber ein Blick auf die Konzernbilanzen zeigt, dass die Pharmaindustrie bei den Profiten besser abschneidet als alle anderen Branchen. Seit Ende der 1980er Jahren liegen die Gewinne der größten Firmen konstant über 10% und haben seit 2001 auch schon mehrfach die 20%-Marke übersprungen (siehe auch Kasten).9 Die hohen Arzneimittelpreise sind also in erster Linie ein Dienst an den Aktionären.

Geld für die richtige Forschung

Viel Geld fließt heute in die Entwicklung von Arzneimitteln gegen Krankheiten, die schon gut behandelbar sind, aber profitable Absatzchancen versprechen, weil es viele zahlungskräftige Patienten und Patientinnen gibt. Auch neue Substanzen, die bereits existierenden Wirkstoffen stark ähneln (me too-Präparate), sind Geldverschwendung, weil sie die Therapie bestenfalls marginal verbessern. Strengere Zulassungsbedingungen und keine Erstattung von überflüssigen Medikamenten durch die Krankenkassen können die Forschung in eine sinnvollere und nützlichere Richtung steuern. Darüber hinaus ist mehr öffentlich geförderte Forschung wichtig, bei der die Prioritätensetzung auch öffentlich verhandelt werden sollte.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2018 / S.06