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Glycowohl: Kein Kraut gegen Diabetes

Mit Homöopathie gegen Diabetes?

Die Werbung hört sich großartig an: Die homöopathischen Tropfen Glycowohl® sollen gegen Diabetes helfen und die Bauchspeicheldrüse schützen. Nur dumm, dass es keine überzeugenden Belege dafür gibt.

Wenn Menschen mit Typ-2-Diabetes ihren Blutzucker durch mehr Bewegung und eine Ernährungsumstellung nicht ausreichend senken können, brauchen sie zusätzlich Medikamente. In der Regel verordnen Arzt oder Ärztin dann den Wirkstoff Metformin.

Allerdings werden auch einige „alternative“ Mittel gegen die Zuckerkrankheit beworben, so neuerdings ganz massiv „Glycowohl®“, das unter dem Slogan „Pflanzlich. Sicher. Wirksam.“ auftritt. Die alkoholischen Tropfen enthalten einen Extrakt aus Früchten und Samen des asiatischen Jambul-Baums. Kann das Mittel tatsächlich bei Diabetes helfen, wie die Werbung behauptet?7 Wir haben uns das einmal näher angesehen.

Homöopathie mit Krankheitsangaben

Bei den Tropfen gibt es rechtlich gesehen eine Besonderheit: Obwohl sie nur als homöopathisches Mittel zugelassen sind, darf für sie mit konkreten Aussagen zu Krankheiten geworben werden. Möglich macht das der spezielle Status, den das deutsche Recht den „Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen“ – und hierzu gehört die  Homöopathie – zugesteht.

Zum Hintergrund: Die meisten homöopathischen Mittel sind lediglich registriert. Das kostet den Hersteller wenig Mühe, hat aber den Nachteil, dass er nicht mit einem konkreten Krankheitsbezug werben darf. In einigen Fällen erlaubt das deutsche Arzneimittelrecht aber auch eine „echte“ Zulassung von homöopathischen Mitteln. Dafür muss der Hersteller formal Belege für die Wirksamkeit bei Krankheiten beibringen. Diese Nachweise müssen aber wesentlich niedrigeren Anforderungen genügen, als das bei richtigen Arzneimitteln der Fall ist.1

Die Belohnung für den Mehraufwand: Der Hersteller darf bei diesen Mitteln mit konkreten Krankheitsangaben werben, muss
allerdings auf den homöopathi­schen Charakter hinweisen. Bei Glycowohl® klingt das so: „Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneibildern ab. Dazu gehört: Verwendung als Zusatzmittel bei Zuckerkrankheit.“

Eigentlich „pflanzlich“

Was ebenfalls auffällt: Bei Glycowohl® handelt es sich nicht wie bei Globuli & Co. um extreme Verdünnungen, sondern um eine „Urtinktur“, also um eine unverdünnte flüssige Zubereitung. Damit entspricht es eigentlich einem normalen pflanzlichen Arzneimittel, ist aber in diesem Fall formal nach den Vorschriften des Homöopathischen Arzneibuchs hergestellt. Dass der Hersteller das Präparat als homöopathisches Mittel vermarktet, hat vermutlich einen simplen Grund: Für „echte“ pflanzliche Arzneimittel sind die Anforderungen an die Wirksamkeitsbelege im Rahmen der Zulassung inzwischen doch etwas höher als für homöopathische Mittel.

Von Mäusen und Zellen

Aber wie sieht es jetzt mit den Belegen für die Wirksamkeit von Glycowohl® bei Diabetes aus? Dazu haben wir uns zuerst einmal die in der Werbung zitierten Studien angesehen:2 So behauptet der Hersteller, dass Glycowohl® den Blutzuckerspiegel senkt und die Bauchspeicheldrüse schützt. Die Belege dafür: lediglich Versuche an Tieren und Zellen im Labor. Die Aussagekraft für die Wirksamkeit am Menschen geht gegen Null.

Die ausführliche Broschüre des Herstellers scheint da schon vielversprechender, verweist sie doch tatsächlich auf Untersuchungen mit Diabetes-Patientinnen und -Patienten. Allerdings sind die Daten aus diesen Studien nicht belastbar, denn es handelt sich dabei entweder um Fallbeschreibungen oder Studien ohne Kontrollgruppe. Das Problem: Mit dieser Art von Studien lässt sich nicht feststellen, ob die beobachteten Veränderungen wirklich auf das eingenommene Mittel oder nicht doch auf andere Einflüsse zurückzuführen sind.

Andere Präparate

Schließlich haben wir auch noch drei große Literaturdatenbanken nach aussagekräftigen Studien durchforstet. Dabei haben wir vier Untersuchungen gefunden, bei denen Menschen mit Typ-2-Diabetes nach dem Zufallsprinzip entweder ein Jambul-Präparat oder eine andere Behandlung erhalten haben.3,4,5,6 Allerdings handelt es sich bei allen verwendeten Jambul-Präparaten um andere Zubereitungen, nämlich Tee aus den Blättern oder Pulver aus den getrockneten Samen. Hingegen ist Glycowohl® eine alkoholische Tinktur aus Früchten und Samen. – Damit unterscheiden sich sehr wahrscheinlich auch die konkreten Inhaltsstoffe in den Präparaten. Das schränkt die Übertragbarkeit der Studienergebnisse deutlich ein.

Die Studien sind außerdem alles andere als überzeugend: Sie umfassen nur wenige Versuchspersonen und sind methodisch meist mangelhaft. Sie messen nur kurzfristige Veränderungen des Blutzuckerspiegels, aber keinen langfristigen Nutzen. Auch kommen sie teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen und erfassen mögliche Nebenwirkungen nur unzureichend. Verlässliche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Untersuchungen nicht ziehen.

Auch bei anderen Diabetes-Formen?

Was noch hinzukommt: Die Werbung signalisiert, dass auch Menschen mit anderen Diabetes-Formen von Glycowohl® profitieren: Das gelte sowohl für einen Typ-1-Diabetes als auch einen „Prä-Diabetes“. Darunter versteht man erhöhte Blutzuckerwerte, die oberhalb der Normwerte liegen, aber noch nicht die Kriterien eines Typ-2-Diabetes erfüllen.

Es ist umstritten, ob „Prä-Diabetes“ tatsächlich eine sinnvolle Diagnose ist. Deshalb ist hier jede Behandlung mit Medikamenten fragwürdig. Unabhängig davon haben wir für beide Patientengruppen keine aussagekräftigen Studien zum Nutzen von Glycowohl® finden können.

Fazit

Dass das Mittel Glycowohl® Menschen mit Typ-2-Diabetes oder anderen Diabetesformen tatsächlich nützt, ist unserer Meinung nach nicht ausreichend belegt. Dass der Hersteller dennoch mit einer solchen Wirksamkeit werben darf, offenbart Lücken im deutschen Arzneimittelrecht, die dringend geschlossen gehören.

Metformin
GPSP 1/2015, S. 24

Zimt gegen Diabetes?
GPSP 3/2009, S. 9

Kontrollgruppe
GPSP 1/2019, S. 19

Grenzwerte: Ab wann ist man krank?
GPSP 1/2017, S. 5

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2019 / S.06