Das zweite Baby schützen
Alte und neue Fragen zur Anti-D-Prophylaxe
Eine Unverträglichkeit beim Blutgruppenmerkmal Rhesusfaktor kann zu schweren Schäden bei ungeborenen und neugeborenen Kindern führen. Das ist schon lange bekannt. Inzwischen gibt es aber einen neuen Test für Schwangere. Was bringt er?
Seit der Entdeckung der Blutgruppenmerkmale A, B und 0 durch Karl Landsteiner vor mehr als 100 Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch viele weitere Erkenntnisse gewonnen, wie sich Blut von verschiedenen Menschen unterscheidet. Dazu gehört etwa auch der „Rhesus-Faktor“, der mit „D“ abgekürzt wird und den rund 85% der Bevölkerung im Blut haben.
Er spielt nicht nur bei Bluttransfusionen eine Rolle, etwa nach einem Unfall oder einer Operation, sondern auch in der Schwangerschaft. Das betrifft die werdenden Mütter, bei denen die roten Blutkörperchen keinen Rhesus-Faktor aufweisen: Sie sind „Rhesus-negativ“. Ist der Vater Rhesus-positiv, werden rund 70% der Babys ebenfalls Rhesus-positiv (siehe unten).
Unverträglichkeit und Schäden
Gelangt Blut des Ungeborenen in den mütterlichen Blutkreislauf, entwickelt die Schwangere Antikörper gegen Rhesus-positives Blut (Anti-D-Antikörper) – Fachleute sprechen auch von einer „Sensibilisierung“. Das passiert meist erst bei der Geburt. Für das Kind der ersten Schwangerschaft ist diese Konstellation kein Problem, da die zunächst gebildeten Antikörper die Plazenta noch nicht durchdringen können und nach der Geburt der Blutkreislauf von Mutter und Kind naturgemäß getrennt ist. Die Gesundheit der nachfolgenden Babys kann aber gefährdet sein – wenn sie Rhesus-positiv sind. Denn die Antikörper der Mutter haben sich inzwischen verändert und können aus ihrem Blut über die Nabelschnur in den Blutkreislauf des Ungeborenen gelangen. Dadurch verklumpen seine roten Blutkörperchen und lösen sich auf. Die Folge: Blutarmut (hämolytische Anämie), in schweren Fällen können auch Schäden am Herzen oder Gehirn entstehen, die unter Umständen sogar tödlich für das Ungeborene enden.
Sensibilisierung verhindern
Wegen dieser schwerwiegenden Folgen sehen die Mutterschaftsrichtlinien in Deutschland vor, dass das Blut von Schwangeren auf Anti-D-Antikörper untersucht wird. Allen Rhesus-negativen Frauen ohne Antikörper wird dann vorbeugend die Gabe eines Anti-D-Immunglobulins in der 28. bis 30. Schwangerschaftswoche empfohlen. Dieses verhindert die Antikörperbildung bei der Mutter.
Nach der Geburt wird untersucht, ob das Baby Rhesus-positiv oder Rhesus-negativ ist. Ist es tatsächlich Rhesus-positiv, erhält die Mutter eine zweite Dosis des Immunglobulins, um eine Sensibilisierung zu verhindern. Gleiches gilt auch nach Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüchen.1
Immunglobulin entbehrlich?
Mit dem herkömmlichen Vorgehen war es nicht möglich, auf ungefährliche Art und Weise schon vor der Geburt herauszubekommen, ob das Kind Rhesus-positiv ist – lediglich mit einer Fruchtwasserpunktion, die mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt einhergeht. Wäre das Kind Rhesus-negativ, könnte man der Mutter die Gabe des Immunglobulins ersparen. Entsprechende Präparate werden zwar in der Regel gut vertragen, bergen aber in seltenen Fällen das Risiko von allergischen Reaktionen. Da die Mittel aus menschlichem Blutplasma hergestellt werden, ist trotz aller Vorsichtsmaßnahmen auch eine Infektion mit Krankheitserregern nicht hundertprozentig auszuschließen.
Seit einiger Zeit steht ein Test zur Verfügung, der den Rhesus-Status des Kinds anhand einer Blutprobe der Mutter bestimmen kann. Derzeit muss dieser Test noch aus eigener Tasche bezahlt werden.
Zahlt Kasse bald den Test?
Allerdings berät der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gerade, ob das neue Verfahren eine Kassenleistung werden soll.2 Dazu hat er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) mit einem Gutachten beauftragt. Eine entscheidende Frage dabei: Wie zuverlässig ist der neue Test? Bedenklich wären vor allem die Situationen, in denen dieser Test Rhesus-negativ anzeigt, das Ungeborene jedoch in Wirklichkeit Rhesus-positiv ist. Denn dann bekäme die Mutter irrtümlich keine Anti-D-Prophylaxe und damit würde das Risiko für eine Sensibilisierung steigen.
Einige Fragen offen
Eine erste Bewertung wurde im Mai 2018 veröffentlicht.3 Das Ergebnis: Studien zufolge ist der Test sehr zuverlässig und würde im Vergleich zum bisherigen Vorgehen nicht zu mehr Fehleinschätzungen führen – zumindest unter den Bedingungen, in denen der Test bisher geprüft wurde. Es lässt sich jedoch mangels verlässlicher Daten nicht sicher abschätzen, wie viele Infektionen oder allergische Reaktionen sich durch den neuen Test (weil dann weniger Schwangere Immunglobulin-Spritzen bekommen) tatsächlich verhindern lassen. Auch ist es nicht ganz klar, ob die Testgenauigkeit auch unter Alltagsbedingungen genauso so gut ist wie in den Prüfstudien. Deshalb empfiehlt das IQWiG bei Einführung der Kostenübernahme eine Test-Begleitforschung. Darüber wird der G-BA voraussichtlich im Laufe des Jahres 2019 entscheiden.
Blutgruppen
GPSP 6/2018, S. 25
G-BA
GPSP 2/2015, S. 6
Stand: 1. März 2019 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2019 / S.07