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©J. Schaaber

Aus alt mach neu – Mehr Profit durch Evergreening-Strategie

Manche Pharmafirmen bringen neue Medikamente auf den Markt, die sich von bereits verfügbaren Präparaten praktisch nicht unterscheiden.1 Das ist eine raffinierte Strategie, denn dahinter steckt die Absicht, sich mit neuem Patentschutz die Konkurrenz vom Leibe zu halten. Die Kosten dieser als „Evergreening“ bezeichneten Trickserei treiben die Ausgaben für Medikamente in die Höhe, ein Nutzen für die Patienten ist nicht erkennbar.

Manche akuten Magenprobleme bessern sich durch Omeprazol. Der Wirkstoff wurde 1989, zehn Jahre nach Patentanmeldung, vom Pharmaunternehmen Astra unter dem geschützten Markennamen Antra® auf den Markt gebracht. Konkurrenz gab es lange nicht, Grund ist der Patentschutz. Patente werden für Pharmawirkstoffe oder auch für Verfahren zur Herstellung eines Medikaments vergeben. Sie verbieten, dass jemand, der nicht Patentinhaber ist, den Wirkstoff herstellt oder verkauft. Diese Marktposition erlaubte es Astra, einen hohen Preis für Antra® zu verlangen.

Der Schutz ist vom Gesetzgeber gewollt: Dem Unternehmen soll ermöglicht werden, Forschungsinvestitionen wieder einzuspielen. 20 Jahre nach Patentanmeldung läuft der Schutz aus, dann dürfen auch andere Firmen den Wirkstoff als sogenanntes Generikum auf den Markt bringen. Und diese sind normalerweise deutlich günstiger. (GPSP 6/2012, S. 22) Als der Patentschutz von Omeprazol 1999 endete, kosteten die neuen Generika 40 Prozent weniger.2

Wenn ein Patent ausläuft, werden unter dem Druck der Generikakonkurrenz die Präparate billiger. Für das Unternehmen, das die Originalversion auf den Markt gebracht hat, sinkt der Profit. Arzneimittelfirmen versuchen daher mit verschiedenen Kniffen, vor allem ihre auslaufenden Bestseller zeitig durch andere Präparate zu ersetzen. Das Erfolgsrezept lautet: Der Nachfolger muss dem Vorgänger ähnlich sein. Das minimiert Forschungskosten. Und er wird ebenfalls patentiert, denn das sichert weitere Gewinne.

Rechte Hand, linke Hand

Im Fall des Magen-Medikaments Omeprazol heißt der Nachfolger Esomeprazol. Seine „Erfindung“ war einfach: Etliche Medikamente haben die Eigenheit, dass sie genaugenommen nicht nur einen Wirkstoff enthalten, sondern zwei. Beide Varianten des Wirkstoffs entsprechen sich wie Bild und Spiegelbild oder wie rechte und linke Hand. Bei Omeprazol bestand das Originalprodukt Antra® zu gleichen Teilen aus zwei derartigen Varianten: S-Omeprazol (S für lat. sinister = links;) und R-Omeprazol (R für lat. rectus = rechts). Kurz bevor das Patent für das Gemisch auslief, brachte Astra den einen Bestandteil, nämlich das S-Omeprazol, als patentiertes Esomeprazol (Markenname Nexium®) neu auf den Markt. Der zusätzliche Nutzen dieses „neuen“ Medikaments für Patienten war gleich Null. Die gleiche Strategie wurde bei anderen Medikamenten angewendet: Ein Wirkstoff wird aufgefrischt und zum dauerhaften Grünen gebracht – man spricht daher auch von Evergreening. Beispiel Citalopram: Das Psychopharmakon zur Behandlung von Depressionen wurde kurz vor Patentablauf durch ein neu patentiertes S-Citalopram (oder Escitalopram) ersetzt. (GPSP 2/2011, S. 11) Und Cetirizin zur Behandlung von Allergien wurde 2001 durch Levocetirizin ersetzt. Auch hier steht die Vorsilbe „Levo“ für einen von zwei spiegelbildlichen Bestandteilen (von griech. levo = links). Und wieder kein zusätzlicher Nutzen für die Anwender, aber gute Gewinne für den Anbieter. Welche weiteren Strategien nutzen die Unternehmen?

  1. Chemische Struktur geringfügig verändert: Gabapentin ist seit 1995 auf dem Markt und ein wichtiges Medikament gegen epileptische Anfälle. Als Nachfolger gibt es seit 2004 Pregabalin mit einer chemisch ähnlichen Struktur – einer Variante ohne zusätzlichen Nutzen.3
  2. Retardierte Form: Dass ein Wirkstoff im Körper zeitverzögert freigesetzt wird, kann bei manchen Medikamenten sinnvoll sein. Aber dem Anbieter einer solchen Erfindung kann es schlicht darum gehen, seine Marktposition zu behaupten, wenn er den Markt mit dem neuen Präparat beglückt – passend zum Ende des Patentschutzes seines alten Präparats: Für Zolpidem, ein Schlafmittel mit Tücken (siehe GPSP 1/2014, S. 16), wurde auf dem US-amerikanischen Markt eine retardierte Form („extended release“) nachgeschoben.
  3. Metabolit: Wirkstoffe müssen im Körper häufig umgewandelt (metabolisiert) werden, bevor sie wirken. So auch bei Loratadin, einem Mittel gegen Allergien (GPSP 2/2006, S. 5). Es wird in unserer Leber zu Desloratadin umgebaut. Kurz vor Patentablauf brachte der Hersteller dieses Desloratadin als „neues“ Medikament auf den Markt.
  4. Neue Dosis: Donepezil wird gegen die Alzheimer-Demenz verordnet und ist in Deutschland als 5- und 10-Milligramm-Tablette erhältlich. In den USA wurde vier Monate vor Patentablauf eine Tablette mit 23 Milligramm zugelassen.4 Angeblich wirkt diese Dosis besser. Das ist umstritten, nicht aber die Zunahme von unerwünschten Wirkungen. Die wichtigste Eigenschaft der „Innovation“ ist wohl, dass die 23mg-Variante in der Apotheke nicht gegen ein preisgünstigeres 5mg-Generikum austauschbar ist.
  5. Wirkstoffkombinationen: Viel hilft viel – mit diesem Konzept lassen sich alte Wirkstoffe neu vermarkten. So geschehen beim Cholesterinsenker Simvastatin (Zocor®), den die Hersteller kurzerhand mit einem weiteren Cholesterinsenker (Ezetimib) gemischt auf den Markt brachten (Inegy®). Der gigantische Erfolg dieses Präparats beruht vor allem auf enormen Werbemaßnahmen. Studien erbrachten hingegen keinen Hinweis auf echten zusätzlichen Nutzen. Zusätzliche Risiken dagegen hatten die Hersteller der Öffentlichkeit vorenthalten (GPSP 3/2008, S. 3).

Strategische Werbung

Wenn all diese neuen Präparate keinen zusätzlichen Nutzen bringen, aber zusätzliche Kosten verursachen, müssen die Hersteller sich anstrengen, damit Ärzte diese „Scheininnovationen“ trotzdem verschreiben.

Mit strategischer Werbung kennen sich Pharmaunternehmen aus. Wie gut sie greift, zeigt eine Untersuchung aus den USA: Ärzte, die die Arzneimittelfirmen über mehrere Jahre immer wieder mit kostenlosen Snacks, Getränken und „Arzneimittelmustern“ umworben hatten, wurden so praktisch weichgekocht: Immerhin 40 Prozent dieser 1.900 Ärzte verschrieben gelegentlich oder häufig teure „Originalpräparate“, obwohl geeignete Generika zur Verfügung standen.5 Dass Ärzte in Deutschland auf Werbung weniger ansprechen, ist kaum anzunehmen.

Hohe Folgekosten

Die Folgekosten für die Gesellschaft sind groß. Schweizer Wissenschaftler haben das für die Uniklinik Genf, dem größten Krankenhaus des Kantons Genf, berechnet.6 Sie wollten wissen, wie viel Geld man durch konsequente Verwendung von Generika hätte sparen können. Ihr Ergebnis: Innerhalb von acht Jahren bis zu 30 Millionen Euro. Diese Berechnung würde für das deutsche Gesundheitswesen möglicherweise anders ausfallen. Was im Krankenhaus geschieht, setzt eine Kostenspirale in Gang: Sind Patienten erst einmal auf bestimmte Medikamente eingestellt, verordnet der Hausarzt nach der Entlassung oft das teure Präparat weiter, das im Krankenhaus ausgewählt wurde.

Andererseits: Dieses Problem scheint immer mehr Ärzten bewusst zu werden. Der Anteil der verordneten Generika hat sich erfreulicherweise von 1991 bis 2011 etwa verdoppelt und liegt hierzulande inzwischen bei über 70 Prozent.

Also, haken Sie ruhig bei Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin nach, ob Ihr Medikament ein bewährtes Generikum ist!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2014 / S.09