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© Jörg Schaaber

Abschied vom Paradies

Warum Pharmafirmen die Nutzenbewertung ihrer Präparate scheuen

Seit Anfang 2011 werden neue Arzneimittel in Deutschland auf ihren Nutzen für die Patienten geprüft. Nur was besser ist als bewährte Präparate, darf auch mehr kosten. Manchen Firmen gefällt das nicht.

Lange war Deutschland ein Paradies für die Pharmaindustrie. Sie konnte für jedes neue Medikament einen beliebig hohen Preis verlangen.1 Nur für einen Teil davon wurden Jahre später Preisobergrenzen bestimmt, die von den Krankenkassen erstattet werden, so genannte Festbeträge. Mit den paradiesischen Zuständen ist seit Januar 2011 Schluss, da trat das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) in Kraft. Seither muss der Hersteller dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)2 unverzüglich ein Dossier vorlegen, das den zusätzlichen Nutzen seines neuen Präparates belegt.

Überzeugt das den G-BA nicht oder räumt der Hersteller von vorneherein ein, dass sein Mittel Alternativpräparaten nicht überlegen ist, dann darf es nicht teurer sein als die bereits verfügbaren Therapien. Oder der Patient muss einen Teil der Kosten aus eigener Tasche bezahlen. Sieht der G-BA einen zusätzlichen Nutzen, bewertet er dessen Relevanz. Erst dann verhandelt der Spitzenverband der Krankenkassen mit dem Hersteller über einen angemessenen Preis.

Mächtige Spielverderber?

Drei Firmen gebärden sich derzeit bockig: Boehringer Ingelheim und Eli Lilly bringen ihr Diabetesmittel Linagliptin (Trajenta®) in Deutschland gar nicht erst auf den Markt, obwohl es europaweit zugelassen wurde. Und Novartis hat seinen neuen Blutdrucksenker Rasilamlo® gleich wieder vom Markt genommen. Flankiert vom Verband der forschenden Arzneimittelunternehmen (Vfa) und mit Unterstützung von einigen Politikern wird so versucht, Stimmung gegen die Nutzenbewertung zu machen und fehlende „Fairness“ unterstellt.3

Womit sind die Firmen nicht einverstanden? Es geht um die Vergleichstherapie, also um die Frage, mit welchem Medikament das neue Präparat verglichen wird. Das AMNOG regelt das eindeutig: Es muss mit dem Therapiestandard verglichen werden. Und die Hauptkriterien sind, ob Patienten mit dem neuen Mittel schneller gesund werden, ob es ihnen vergleichsweise besser geht und ob weniger Patienten an den Folgen der Erkrankung sterben.

Das neue Linagliptin müsste eigentlich mit den Diabetesmedikamenten Glibenclamid oder Metformin verglichen werden, für die tatsächlich belegt ist, dass sie die Häufigkeit von Folgeerkrankungen des Diabetes und den frühen Tod verringern. So weit so gut. Aber: Beide sind preiswert. Den Herstellern wäre es viel lieber gewesen, wenn Linagliptin mit einem Medikament aus der Gruppe der Gliptine verglichen worden wäre, zu denen auch Linagliptin gehört. Denn dann hätte es – selbst ohne jeden Zusatznutzen – erheblich teurer als die beiden bewährten Mittel verkauft werden können.

Novartis hat mit Rasilamlo® ein ähnliches Problem. Auch hier kann der Hersteller keine Studien vorlegen, die zeigen, dass sein Präparat besser ist als bewährte Blutdrucksenker, die erheblich preiswerter sind.4

Scheininnovationen verhindert

Das bockige Verhalten der Hersteller ist ein Versuch, Politiker unter Druck zu setzen. Aber auch ein Ausdruck von Furcht vor einem Vergleich, der sich am Nutzen für den Patienten orientiert und nicht an den finanziellen Wünschen der Firmen. Die Beurteilung durch den G-BA könnte schwarz auf weiß dokumentieren, dass ihre Medikamente zwar neu, aber nicht besser sind. Und dann würden die Firmen nicht nur bei uns weniger verdienen, sondern hätten auch in anderen Staaten Probleme, ihre angeblichen Innovationen teuer zu verkaufen. Das AMNOG scheint also die gewünschte Wirkung zu erzielen: Nutzlose Scheininnovationen (GPSP 6/2006, S. 4) werden nicht mehr belohnt. Nur für das, was für Patienten auch wirklich Vorteile bringt, sollten die Krankenkassen mehr zahlen. Schließlich handelt es sich ja um das Geld aller Versicherten. Langfristig kann die Nutzenbewertung so die Pharmaforschung in eine produktivere Richtung lenken. Und Sorgen, dass sich Deutschland dadurch vom medizinischen Fortschritt abkoppelt, brauchen wir uns wirklich nicht zu machen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2011 / S.10