Wenn Werbung für Nahrungsergänzungsmittel Angst schürt
Anbieter darf nicht auf Furcht vor vergrößerter Prostata setzen
Angst ist ein schlechter Ratgeber – und verhindert gute Gesundheitsentscheidungen. Werbung, die mit der Angst spielt, ist deshalb verboten. Das bestätigt ein aktuelles Urteil.
„Fast jeder zweite Mann ab 60“ falle einer gutartigen Prostatavergrößerung zum Opfer: Das sieht auf den ersten Blick wie ein Gesundheitsfakt aus. In der Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel, die auf Männer mit Prostatabeschwerden abzielt, hat die Aussage aber nichts zu suchen, so das Landgericht (LG) Wiesbaden in einem aktuellen Urteil.1 Denn sie schüre dadurch so starke Ängste bei der Zielgruppe, dass diese „zu einer rationalen Entscheidung nur noch schwerlich in der Lage sei“. Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Hessen.2
Werbung mit der Angst
Angst als Werbemasche verstößt gleich mehrfach gegen Vorschriften zum Verbraucherschutz. Zum einen gegen das Verbot aggressiver Handelspraktiken nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Konkret bei Lebensmitteln (etwa Nahrungsergänzungsmitteln)
darf zum anderen laut Health-Claims-Verordnung nicht der Eindruck entstehen, dass durch den Verzicht auf ein Lebensmittel die Gesundheit gefährdet oder man einer Erkrankung hilflos ausgeliefert ist. Gesundheitsbezogene Aussagen (Health Claims) sind in der Lebensmittelwerbung außerdem nur dann erlaubt, wenn sie ausdrücklich genehmigt sind und Verbraucher:innen nicht in die Irre führen.
Als Verstoß gegen diese Regel und auch das Verbot der Angstwerbung wertete ein Gericht vor einigen Jahren etwa die verkürzte und dramatisch zugespitzte Bezeichnung „tödliches Quartett“: Sie steht für die vier typischen Symptome des metabolischen Syndroms (Übergewicht, Bluthochdruck, Störungen von Zucker- und Fettstoffwechsel) und wurde in der Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel genutzt, das beim Abnehmen helfen soll.3
Im Fall der oben beschriebenen Nahrungsergänzung, die auf Männer mit Prostatabeschwerden abzielte, bemängelte das Gericht, dass der Anbieter nüchterne Zahlen und eine isoliert betrachtete Faktenlage dramatisch zu einer Risikodarstellung verknüpfte. So lautete ein Satz der Werbung „Und das Fatale: 85 % der Männer sind nach einer OP impotent und inkontinent“. Ob das nun zutrifft oder nicht: Hier werden Angstgefühle geschürt, um Männer älterer Jahrgänge zum Handeln, nämlich zum Kauf des Produktes zu bewegen. Das ist verboten. Davon abgesehen gibt es überhaupt keine zulässigen Health Claims zur Gesunderhaltung der Prostata. Das LG Wiesbaden verurteilte das Unternehmen, eine solche Werbung für sein Produkt zu unterlassen.
Nennung von Krankheiten kann zulässig sein
Allerdings ist es oft nicht so einfach zu unterscheiden, was noch erlaubt ist: So gilt rein rechtlich betrachtet nicht jedes ungute Gefühl oder Unbehagen, das in der Werbung zur Sprache kommt, oder die alleinige Nennung einer Krankheit gleich als angstauslösend.4
Und obwohl sich die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel allgemein nicht auf die Heilung, Vorbeugung oder Linderung von Krankheiten beziehen darf, können in bestimmten Zusammenhängen Krankheiten durchaus genannt werden. So ist etwa für Beta-Glucane aus Gerste die Aussage erlaubt, dass sie den Cholesterinspiegel senken – verbunden mit dem Hinweis, dass ein hoher Cholesterinwert ein Risikofaktor für die koronare Herzerkrankung (KHK) ist. Allerdings muss in der Werbung erkennbar sein, dass es noch weitere Risikofaktoren für diese Erkrankung gibt. Denn laut Gesetz darf nicht der Eindruck entstehen, solche Lebensmittel könnten vor einer KHK schützen oder gar der Behandlung dienen. Ob auch Verbraucher:innen diese subtilen Unterschiede erkennen, ist jedoch fraglich.
Stand: 31. Oktober 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2022 / S.20