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© Teresa-Otto-iStock

Unmerkliches Vorhofflimmern: Lohnt die Früherkennung?

Screening und frühe Behandlung bei subklinischem Vorhofflimmern bleibt umstritten

Wie gefährlich ist ein unregelmäßiger Herzschlag, der im Routine-EKG bei der Hausärztin nicht erkennbar ist? Nützen bei diesem „subklinischen Vorhofflimmern“ gezielte Untersuchungen zur Früherkennung oder bekommen Betroffene dann nur eine unnötige Behandlung? Zu dieser Frage gibt es jetzt neue Studien.

Herr Müller hat ein neues Blutdruckmessgerät, das sogar ein EKG aufzeichnen kann und die Messungen in seinem Smartphone speichert. Seit einiger Zeit gibt es aber immer mal wieder einen Alarm: Das Gerät hat Herzrhythmusstörungen, genauer gesagt Vorhofflimmern entdeckt. Das bestätigt die Hausärztin, als sie sich die aufgezeichneten Werte anschaut. Aber als sie zur Sicherheit ein EKG macht, ist nichts zu erkennen. Muss sich Herr Müller jetzt Sorgen machen oder gar Medikamente einnehmen?

Was ist Vorhofflimmern?

Bei Vorhofflimmern pumpt das Herz im Bereich der Vorhöfe das Blut nicht mehr richtig, sodass leicht Blutgerinnsel entstehen. Verstopfen sie die Arterien, die das Gehirn mit Sauerstoff versorgen, kann ein Schlaganfall die Folge sein.

Betroffene bemerken etwa schnelle und unregelmäßige Herz­schläge, fühlen sich schwach oder schnell erschöpft. Die Beschwer­den können über einige Tage, Wochen oder dauerhaft anhalten.1 Allerdings ist Vorhofflimmern nicht immer spürbar.

Unmerkliches Vorhofflimmern

Es gibt außerdem auch Formen, bei denen die veränderten elektrischen Impulse im Herzmuskel nicht im EKG auffallen, aber bestimmte Geräte sie dennoch zufällig entdecken. Dazu gehören etwa Blutdruckmessgeräte mit Arrhythmie-Erkennung, Smartwatches oder Herzschrittmacher. Dann sprechen Fachleute von subklinischem Vorhofflimmern. Es gibt Hinweise, dass dann später häufiger Beschwerden durch Vorhofflimmern auftreten und auch das Risiko für einen Schlaganfall steigt.

Screening – ja oder nein?

Bei Vorhofflimmern, das im 12-Kanal-EKG nachweisbar ist, erhalten Betroffene oft neben anderen Medikamenten vorsorglich einen Gerinnungshemmer, damit sich keine Blutgerinnsel bilden. Wäre das auch bereits bei subklinischem Vorhofflimmern sinnvoll? Das ist derzeit noch nicht geklärt, denn es gibt noch zu wenig Untersuchungen, um Nutzen und Risiken abzuwägen: Denn Gerinnungshemmer könnten die Gefahr für einen Schlaganfall verringern, lösen aber manchmal schwere Blutungen aus.

Falls für Betroffene ohne bestehende Beschwerden der Nutzen von Gerinnungshemmern überwiegt, hätten möglicherweise auch Untersuchungen zur Früherkennung Vorteile. Das betrifft besonders Menschen mit Risikofaktoren für Vorhofflimmern. Dazu gehören etwa ein höheres Alter, Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck oder Übergewicht.

Zwei neue Studien zum Screening

Bisherige Studien zur Früherkennung konnten die Frage nicht eindeutig beantworten. 2021 sind zwei neue Untersuchungen erschienen, die in Dänemark beziehungsweise Schweden durchgeführt wurden.2

An beiden nahmen Menschen mit Risikofaktoren für Vorhofflimmern teil, die bislang keine Gerinnungshemmer erhielten. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip entweder einer Gruppe mit oder einer Gruppe ohne Früherkennung zugeteilt. In der dänischen Studie waren es rund 6.000 Teilnehmende, in der schwedischen Studie etwa 28.000.

Für die Früherkennung bekamen die Teilnehmenden in der dänischen Studie einen kleinen EKG-Monitor unter die Haut über dem Herzen implantiert, der drei Jahre lang kontinuierlich ein EKG aufzeichnete und an eine Überwachungsstelle sendete. In der schwedischen Studie erhielten die Teilnehmenden ein tragbares EKG-Gerät, das sie zwei Wochen lang zweimal täglich nutzten. Auch in dieser Studie wurden die Aufzeichnungen automatisch an die Studienzentrale gemeldet, wo Ärztinnen und Ärzte sie auswerteten. Stellten sie subklinisches Vorhofflimmern fest, erhielten die Betroffenen weitere ärztliche Betreuung und Gerinnungshemmer. Die Kontrollgruppen bekamen kein Screening, sondern nur die übliche Gesundheitsversorgung in der Hausarztpraxis.

Lassen sich Schlaganfälle verhindern?

Nach fünf bis sieben Jahren verglichen die Forschungsteams, bei wie vielen Patient:innen mit oder ohne Screening Schlaganfälle, gerinnselbedingte Verschlüsse von Blutgefäßen, Blutungen oder Todesfälle verzeichnet wurden.

In der dänischen Studie hatten die Teilnehmenden keinen Vorteil durch das Screening, Schlaganfälle und Gefäßverschlüsse waren ungefähr genauso häufig wie in der Kontrollgruppe. In der schwedischen Studie gab es in der Screening-Gruppe zwar rechnerisch einen Vorteil, der aber ziemlich klein ausfiel. Todesfälle wurden nicht verhindert.

Mehr Gerinnungshemmer

Allerdings hatten Screening-Teilnehmende in der dänischen Studie mehr als doppelt so häufig Gerinnungshemmer verordnet bekommen wie Teilnehmende in der Kontrollgruppe. In der schwedischen Studie gab es keinen Unterschied in der Behandlung. In beiden Untersuchungen waren größere Blutungen als Nebenwirkung der Gerinnungshemmung in den Screening-Gruppen nicht wesentlich häufiger als in der Kontrollgruppe.

Für wen ist Screening sinnvoll?

Keine der beiden Studien liefert überzeugende Argumente, dass ein systematisches Screening auf subklinisches Vorhofflimmern langfristig große Vorteile hätte. Auch der US-amerikanische Ausschuss für Präventionsfragen USPSTF konstatierte: Es gibt zu wenig Daten, um sich dafür oder dagegen auszusprechen. Die Studien haben ohnehin nur Menschen mit Risikofaktoren für einen Schlaganfall untersucht – für Gesunde dürfte die Bilanz dann noch schlechter ausfallen.

Eine aktuelle ärztliche Leitlinie empfiehlt, dass Menschen ab 65 Jahren beim Arztbesuch gelegentlich den Puls kontrollieren lassen sollten und Arzt oder Ärztin, wenn sowieso ein EKG geschrieben wird, auf mögliches Vorhofflimmern achten. Intensiveres Suchen ohne Anlass ist möglicherweise bei Menschen ab 75 Jahre oder bei hohem Schlaganfall-Risiko sinnvoll. Unabhängig von einer Früherkennung ist es natürlich sinnvoll, verdächtige Symptome (wie anfangs genannt) abklären zu lassen, die möglicherweise auf Vorhofflimmern hindeuten. Ob bei subklinischem Vorhofflimmern Gerinnungshemmer mehr nützen als schaden, wird weiter untersucht.

https://gutepillen-schlechtepillen.de/auf-den-takt-kommt-es-an/

Vorhofflimmern: Kontrolle per Smartwatch?

Vorhofflimmern behandeln: Rhythmus oder Frequenz?

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2022 / S.04