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Vorhofflimmern behandeln: Rhythmus oder Frequenz?

Zwei unterschiedliche Rhythmusziele

Bei der Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern gibt es eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten. Sie verfolgen zwei unterschiedliche Ziele: Entweder wird versucht, den normalen Sinusrhythmus wiederherzustellen und möglichst über längere Zeit zu stabilisieren oder den bei Vorhofflimmern meist zu schnellen Herzschlag, also die Herzfrequenz, zu normalisieren. Bei dieser Strategie ist die Beseitigung des Vorhofflimmerns nicht das eigentliche Ziel. In der Fachsprache heißt die erstgenannte Vorgehensweise Rhythmuskontrolle, die zweite Frequenzkontrolle. Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Strategien? Wer profitiert von welcher am meisten? Dazu gibt es neue Erkenntnisse.

Jeder vierte Erwachsene entwickelt – meist in der zweiten Lebenshälfte und mit dem Lebensalter steigend – Vorhofflimmern.

Es kann einmalig oder immer mal wieder auftreten oder nach solchen Episoden permanent bestehen bleiben.

Die Symptome sind sehr unterschiedlich. Ein Drittel der Betroffenen bemerkt das Vorhofflimmern gar nicht. Bei ihnen wird die Rhythmusstörung zufällig bei einer Pulskontrolle oder einem Routine-EKG diagnostiziert. Andere klagen über Herzklopfen, Herzrasen, Enge in der Brust, Leistungsknick, Müdigkeit, Atemnot oder Schwindel. Von einem Drittel der Betroffenen werden diese Beschwerden als moderat empfunden. Ein Drittel leidet jedoch beträchtlich darunter. Wie Diagnose und Behandlung grundsätzlich ablaufen, erklären wir weiter unten im Text (blau).

Rhythmus- oder Frequenzkontrolle?

Die Entscheidung, ob eine Rhythmuskontrolle oder die Frequenzkontrolle das bessere individuelle Behandlungsziel ist, orientiert sich daran, wie stark die Symptome die Lebensqualität beeinträchtigen, wie groß die Erfolgsaussichten sind, dass eine dauerhafte Rhythmuskontrolle gelingt, wie groß die zu erwartende „Behandlungslast“ (vermehrte Arztkontakte, Untersuchungen, Zahl und Art der Medikamente) ist und natürlich, welchem Behandlungsziel gut informierte Patient:innen den Vorzug geben.

Seit vielen Jahren wird diskutiert, ob sich durch die Rhythmuskontrolle die Prognose von Patient:innen mit Vorhofflimmern verbessern lässt. Es wird vermutet, dass diejenigen, bei denen es gelingt, den natürlichen Sinusrhythmus dauerhaft wiederherzustellen, seltener eine Herzinsuffizienz oder einen Schlaganfall bekommen und auch länger leben.

Doch dafür haben mehrere Studien bisher keine überzeugenden Belege liefern können. Nun gibt es eine neue Studie zu dieser Frage, die tatsächlich einen Vorteil für die Rhythmuskontrolle zeigt.2

Das Langzeit-EKG zeigt Vorhofflimmern zwischen 23:00 und 3:20 Uhr

Neue Erkenntnisse

Diese Studie untersuchte knapp 2.800 Patient:innen mit oder nach einer Episode von Vorhofflimmern. Gut ein Drittel hatte Vorhofflimmern erst einmal erlebt, der Rest schon mehrfach. Das mittlere Alter betrug 70 Jahre, knapp die Hälfte waren Frauen. Die Hälfte der Teilnehmenden hatten bei Studienbeginn einen normalen Sinusrhythmus. Ein Drittel hatte keine Symptome durch das Vorhofflimmern, die Hälfte milde Beschwerden und die übrigen Symptome einer Herzinsuffizienz, möglicherweise mitbedingt durch das Vorhofflimmern.

Nach dem Zufallsprinzip wurde eine Hälfte primär mit dem Ziel behandelt, den Sinusrhythmus dauerhaft wiederherzustellen (Rhythmuskontrolle). Die andere Hälfte wurde mit dem Ziel der medikamentösen Frequenzkontrolle behandelt. Die übrige Behandlung (Hemmung der Blutgerinnung und Optimierung von Risiko- und Begleiterkrankungen) erfolgte in beiden Gruppen sehr konsequent nach den geltenden Leitlinien – wohl konsequenter als in der alltäglichen Praxis, denn die klinischen Zwischenfälle („Ereignisse“), auf die die Studie ausgerichtet war, traten seltener auf als erwartet: Untersucht wurde die Zahl der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle und Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz oder einem akutem Koronarsyndrom. Erwartet wurde, dass jährlich bei 8% der Teilnehmer:innen eines dieser Ereignisse auftritt. Tatsächlich waren es aber weniger: unter Rhythmuskontrolle 3,9% und unter Frequenzkontrolle 5,0%.

Kleiner Vorteil

Der Vorteil der Rhythmuskontrolle gegenüber der Frequenzkontrolle betrug bei diesen Ereignissen also 1,1% pro Jahr. Das bedeutet, dass von 91 Personen nur eine von der Rhythmuskontrolle profitiert hat. Ob dieser Vorteil über die Jahre noch größer werden könnte, ist fraglich, da der Unterschied zwischen den beiden Strategien vor allem in den ersten 2 bis 3 Jahren auftrat und danach nicht weiter zunahm. Jedenfalls waren mit Rhythmuskontrolle nach fünf Jahren weniger Patient:innen gestorben (9,9% versus 11,8%),3 und es wurden weniger Schlaganfälle registriert (2,9% versus 4,4%). Eine Analyse des Gesundheitsstatus nach 2 Jahren zeigte, dass mit Rhythmuskontrolle 82% der Teilnehmenden einen normalen Sinusrhythmus hatten und mit Frequenzkontrolle 60%. Über typische Symptome des Vorhofflimmerns klagten allerdings gleich viele (74% bzw. 72%) und die mittels Fragebogen abgefragte Lebensqualität lag ebenfalls gleichauf.

Weniger Komplikationen?

Die Zahl der Krankenhaustage war in den beiden Behandlungsgruppen ähnlich (5,8 versus 5,1/Jahr). Es wurden aber nur Aufenthalte mit Übernachtung gezählt, nicht die tagesklinischen Behandlungen. Auch die Gesamtzahl der Arztkontakte, Untersuchungen und Kardioversionen werden leider nicht genannt. Das ist aber wichtig, um die Belastung durch die Behandlung besser beurteilen zu können. In der Gruppe mit Rhythmuskontrolle hatte nach 2 Jahren jede/r Fünfte eine Ablationsbehandlung (siehe oben) erhalten, dagegen in der Gruppe mit Standardtherapie (Frequenzkontrolle) nur jede/r Zwanzigste. Es wird derzeit intensiv diskutiert, ob der Vorteil durch die Rhythmuskontroll-Strategie noch größer gewesen wäre, wenn noch mehr Ablationen erfolgt wären. Dies ist jedoch Spekulation.

In der Gruppe mit Rhythmuskontrolle nahmen 45,7% regelmäßig spezielle Antiarrhythmika ein. In der Standardtherapiegruppe waren es nur 5,7%. Die Zahl der übrigen Arzneimittel war in beiden Gruppen sehr ähnlich.4 Unter dem Strich waren bei Rhythmuskontrolle also keinesfalls weniger Arzneimittel nötig. Zudem führte der vermehrte Einsatz der Ablationsbehandlung und spezifischer Antiarrhythmika zu mehr bedeutsamen Nebenwirkungen (4,9% versus 1,4% in fünf Jahren). Dieser Unterschied bedeutet, dass einer von 29 Behandelten durch diese Strategie Schaden nimmt.

Fazit

Die gute Nachricht: Die frühzeitige Rhythmuskontrolle hat bei Vorhofflimmern sehr wahrscheinlich doch einen kleinen, aber bedeutsamen Vorteil hinsichtlich der Lebenserwartung und der Wahrscheinlichkeit von Schlaganfällen. Der Wermutstropfen: Komplikationen sind häufiger, und sehr wahrscheinlich ist auch die „Behandlungslast“ (siehe oben) höher als mit der Standardtherapie. Auch die Lebensqualität ist nicht besser und die Zahl der eingenommenen Tabletten nicht kleiner.

Eine generelle Bevorzugung der Rhythmuskontrolle lässt sich nach unserer Einschätzung aus diesen Ergebnissen nicht ableiten. Es wäre sehr wünschenswert, wenn diejenigen, die von einem frühzeitigen Beginn der Rhythmuskontrolle profitieren, noch besser charakterisiert werden könnten. Klar ist jedoch, dass alle Personen mit Vorhofflimmern von einer strukturierten Basistherapie nach den ABC-Regeln profitieren.

Zufallsprinzip
GPSP 2/2019, S. 24

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2021 / S.06