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Einstieg in eine Doping-Kultur

Warum Sportler keine Sportlernahrung brauchen

Wer Sport treibt, verbrennt mehr Kalorien als eine ‚Couch-Potato’. Keine Frage. Auch der Bedarf an Vitaminen und Spurenelementen kann steigen. Brauchen Sportler deshalb zusätzlich teure Spezialkost? Wir fragten den Anti-Dopingexperten Horst Pagel.

GPSP: Muss ein Sportler nicht darauf achten, dass er vor allem genügend Eiweiß zu sich nimmt?

Pagel: Nein, Eiweißpräparate sind komplett überflüssig.

Auch wenn die Stiftung Warentest solche Produkte testet und die Eiweißqualität für gut befindet?1

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass solche ‚Zaubermixturen’ vollkommen entbehrlich sind. Die Evolution hat uns über Jahr-Millionen an das verfügbare Nahrungsangebot angepasst. Zudem ist der Mensch für Bewegung geschaffen. Waren in der Urzeit der Jäger und Sammler noch Tagesmärsche von 10 bis 20 Kilometern die Normalität, beschränkt sich heute die tägliche Aktivität im Schnitt auf 300 bis 700 Meter!2 Wie soll da durch Sport Eiweißmangel entstehen? In der Tendenz verzehren wir in Mitteleuropa zu viel Eiweiß. Wer ständig Steaks isst, riskiert körperliche Schäden wie Nierenerkrankungen, Steinleiden oder Gicht. Das gilt für Eiweißpräparate natürlich genauso.

Wie viel Eiweiß braucht denn der Mensch am Tag. Und wie viel mehr braucht der aktive Sportler?

Es mag erstaunen, aber das lässt sich gar nicht so genau sagen. Die meisten Lehrbücher geben 1 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht an. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet mit nur 0,7 Gramm und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) mit 0,8 Gramm. Bei Leistungssportlern sind es wahrscheinlich 1,2 Gramm. Doch 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpermasse und Tag sollten keinesfalls überschritten werden.3 Um diese Menge zu erreichen, genügen aber ein Glas Magermilch morgens, ein Hühnchengericht mittags und ein Thunfischsalat am Abend. Und sportliche Vegetarier können ihren Bedarf ebenfalls mit normalen Lebensmitteln ohne weiteres decken.

Warum geben viele Sportler für Eiweißprodukte oder Mischungen mit Vitaminen, Kreatin oder Spurenelementen wie Magnesium Geld aus?

Weil die Anbieter das Blaue vom Himmel versprechen und zum Beispiel behaupten, man brauche 2 bis 3 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht, was aus sportphysiologischer Sicht eindeutig zu viel ist. Dabei helfen ihnen prominente Hochleistungssportler und Sportverbände, die für überflüssige Produkte werben. Ein Riesenproblem und ein Milliardengeschäft ist das.

Was stört Sie besonders?

Dass von Defizit gesprochen wird oder von „speziell auf Sportler abgestimmten Mischungen“, ohne dass es zum eigentlichen Bedarf verlässliche Studien gibt. Man muss es kritisieren, wenn Sportverbände in ihrer Verbandszeitschrift für Nahrungsergänzungsmittel oder diätetische Mittel werben. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hatte solche Anzeigen auch in seinem Breitensportkalender, in dem die jährlichen Rennrad- Veranstaltungen für Freizeitsportler angekündigt werden. Es hat mich und Kollegen einige Mühen in Form von Offenen Briefen und anderen Veröffentlichungen gekostet, bis dies abgestellt wurde.

Warum kritisieren Sie solche Anzeigen? Diese Mittel sind ja nicht illegal.

Problematisch ist das Bewusstsein, das sie erzeugen. Sowohl Jung als auch Alt lernt: Ich muss etwas einnehmen, damit ich leistungsstark bin und sportlich aussehe. Training allein reicht offenbar nicht. Und wer zunächst nur einen eiweißreichen Schokotrunk kauft, macht eventuell bald nicht vor Präparaten halt, die angeblich Testosteron aktivieren können und Muskelzuwachs versprechen. Er spritzt sich irgendwann vielleicht sogar Wachstumshormon4 oder Anabolika.

Beides gibt es doch nur im Krankheitsfall und nur auf Rezept?

Ja, aber Vieles ist über das Internet leicht verfügbar. Außerdem werden in Sportstudios oft nicht nur die – zwar überflüssigen, aber an sich harmlosen – Substanzen verkauft, sondern unter der Hand auch illegale Pharmaka. Und der Schritt, letztere zu konsumieren, ist dann nicht groß. Selbst wenn man sich vorher nur ein Präparat wie anabol-loges® intens besorgt hat, das im Prinzip unverdächtige Ingredienzien enthält. Der Begriff „anabol-loges“ bahnt jedoch den Schritt zum Kauf von Anabolika.

Firmen wie Dr. Loges werben doch gerade damit, dass ihre Mittel in der Kölner Liste® stehen,5 in die nur Produkte aufgenommen werden, die bei Tests anabolikafrei waren.

Es geht mir darum, dass wir diese Präparate allesamt nicht brauchen, und Anbieter durch Produktnamen, Zertifikate oder Expertenmeinungen ein falsches Denken erzeugen.

Sie meinen, wenn etwa auf die Zusammenarbeit mit dem medial omnipräsenten Sportmediziner Müller- Wohlfahrt abgehoben wird – quasi als Qualitätsgarantie für die Produkte?

Zum Beispiel. Über Werbung werden zudem ganz falsche Inhalte vermittelt. Sportler müssen kein Magnesium schlucken. Die Menge, die in einer Kapsel anabol-loges® intens enthalten ist, steckt übrigens in zwei Stückchen Schokolade. Die zusätzlichen Kalorien der Schokolade könnte ein Sportler gut vertragen …

Und wie ist das mit Zink?

Braucht keiner extra zu schlucken – selbst wenn der Hochleistungssportler einen etwas erhöhten Zinkumsatz hat. Unsere Ackerböden sind so reich an Zink, dass es in fast allen Lebensmitteln enthalten ist. Wir müssen keinen Mangel fürchten, zumal es ja – wie der Name sagt – ein Spurenelement ist, von dem wir eben nur Spuren brauchen.

Sind die Aussagen für Sportlernahrung Verdummung?

So kann man es auf eine kurze Formel bringen. Was sollen sinnleere Sätze wie: „enthält ein maritimes Algenpulver“, „zielt auf eine möglichst gute Nährstoffresorption ab“, „2-fach patentiert“.6

Eine Monatspackung von dem „Zaubermittel“, über das wir reden, kostet immerhin 28,00 Euro.

Ja. Und noch immer nennt der Anbieter PM-International als Kooperationspartner den Bund Deutscher Radfahrer, den Deutschen Eishockeybund, den Deutschen Skiverband. Die Firma schmückt sich mit den Namen dieser Verbände. Und die freuen sich über Sponsorengelder.

In welchen Sportarten werden denn die meisten problematischen Präparate konsumiert?

In der Bodybuilderszene, obwohl ich da sowieso nicht von Sport sprechen würde, und bei Kraftsportarten. Es ist ja so, dass viele Leute heute nicht einfach Sport treiben, sondern ins Sportstudio gehen, um ihren Körper, ihr Aussehen zu gestalten. Auch und gerade unter Jugendlichen ist dies die Hauptantriebsfeder. Die Produkte kaufen sie dann oft im Internet. Darüber spreche ich als Anti-Doping- Beauftragter viel mit jungen Leuten. Neben der unsinnigen Geldausgabe, gesundheitlichen Risiken durch verbotene Substanzen oder gepanschte Produkte7 gibt es da noch ein gesellschaftliches Problem.

Welches?

Die einen nehmen etwas ein, um muskulöser zu erscheinen, andere betreiben Hirndoping,8 um vermeintlich mental leistungsstärker zu sein, oder nehmen vor Marathonläufen Schmerzmittel,9 und wieder andere trimmen für den Sieg ihre Herz- Kreislauf-Funktion mit Arzneimitteln. Hier verspricht eine Industrie, Mittel bereit zu stellen, mit denen man besser funktioniert. Der Mensch wird zum „Homo syntheticus“.10

Wie reagieren die Zuhörer Ihrer Vorträge?

Viele sind enttäuscht. Sie denken, da sei eine wissenschaftlich erwiesene Wirkung, weil irgendein Labor irgendetwas geprüft hat, womit die Anbieter ja oft auch werben …

… und dann machen Sie ihnen die Sache mies, obwohl ihr sportliches Idol eventuell für Präparat xy wirbt.

Das kommt oft genug vor. Und manchmal sind Trainer am Verkauf solcher Produkte sogar finanziell beteiligt. Ich kann nur raten, von jeglichen Angeboten die Finger zu lassen, egal ob sie ein Sportskamerad oder der eigene Trainer lobt.11

Vielen Dank für die klaren Worte!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2011 / S.12