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© Malbert – istock.com

Durchfall auf Fernreisen

Manchmal mehr als eine vorübergehende Spaßbremse

Viele Erwachsene kennen Durchfall nur aus Kindertagen. Wie schrecklich man sich dabei fühlen kann, erfährt aber fast jeder Zweite, der in tropische oder subtropische Regionen reist. Meist erholt sich der Darm nach wenigen Tagen von selbst, aber nicht immer. Was zu tun ist, fragten wir Thomas Schneider, einen Spezialisten in Sachen Darmschleimhaut. Von den Abwehrmechanismen des Darms und vom Erregertyp hängt es ab, wie dramatisch die Reisediarrhö verläuft.

GPSP: Bevor wir besprechen, wie man Reisedurchfall am ehesten verhindern kann, und was zu beachten ist, wenn „Montezumas Rache“ zuschlägt, zunächst die Frage: Was ist eigentlich Durchfall?

Thomas Schneider: Durchfall bedeutet, dass man pro Tag mehr als drei ungeformte Stühle hat und dazu zum Beispiel Übelkeit oder Erbrechen. Und zwar nicht nur an einem Tag, sondern länger.

Wie kommt es überhaupt dazu, dass der Speisebrei, der den Darm passiert und als „Stuhl“ verlässt, breiig oder dünnflüssig ist?

Im Stuhl ist dann zu viel Wasser, weil entweder dem Speisebrei zu wenig Wasser entzogen wird oder weil durch die geschädigte Darmschleimhaut Wasser aus dem Körper in das Darmlumen gelangt. Das hat vielfältige Gründe, aber meistens sind Bakterien die Ursache. Sie docken an Schleimhautzellen an und produzieren Toxine – also Giftstoffe –, die in der Darmschleimhaut Entzündungsprozesse auslösen. Manche Bakterien und auch andere Mikroben attackieren tiefer gelegene Zellen der Darmwand. Auch Viren – etwa Noroviren – können in Schleimhautzellen eindringen und sie zerstören.

Was sind hierzulande die wichtigsten Ursachen für Durchfallerkrankungen?

Außer Infektionen mit Noroviren, die zwar unangenehm, aber meist nach wenigen Tagen überstanden sind, spielen Bakterien der Gattung Campylobacter eine große Rolle. Die Erkrankung dauert oft 10 bis 14 Tage und erscheint besonders bedrohlich, wenn dabei Blut im Stuhl ist. Trotzdem verschwindet auch sie in der Regel von selbst. Die Hauptursache von Durchfall sind bei uns allerdings „Neben“wirkungen von Medikamenten – insbesondere Antibiotika, die leider auch die gesunde Darmflora schädigen.  Da Antibiotika zu rasch und damit zu häufig verordnet werden, sind viele Bakterien resistent geworden. Die größten Probleme verursacht bei uns das Darmbakterium Clostridium difficile, das bereits gegen mehrere Antibiotika resistent ist und vor allem bei alten Menschen sogar zum Tode führen kann.

Oft fühlt man sich bei Durchfall auch schlapp, fiebrig und hat Kopfschmerzen. Wie kommt es dazu?

Zum einen verliert man viel Flüssigkeit und  Elektrolyte, und das kann durchaus Kopfschmerzen verursachen. Außerdem können manche Durchfallerreger, etwa Salmonellen, die Darmschleimhaut überwinden und sich in anderen Organen festsetzen. Gliederschmerzen und andere grippeähnliche Symptome entstehen auf diese Weise.

Gibt es noch einen Weg?

Ja. Bei Entzündungsprozessen in der Darmschleimhaut werden Botenstoffe freigesetzt, gelangen in die Blutbahn und erreichen unter Umständen das Gehirn. Symptome, die nichts mit Durchfallbeschwerden zu tun haben, sind die mögliche Folge.

Soweit das Grundsätzliche, nun zum Speziellen: Ist der Reisedurchfall etwas anderes als der Durchfall zu Hause?

In der Sache nicht. Aber die Auslöser sind andere, genaugenommen unterscheidet sich vor allem das Erregerspektrum.1 Außerdem fühlt sich Durchfall bedrohlicher an, wenn kein Arzt in der Nähe ist, eine Geschäftsreise weitergehen soll oder die Rückreise überstanden werden muss.

Inwiefern ist das Erregerspektrum anders?

In der Ferne ernähren wir uns nicht nur anders, auch die potenziellen Erreger von Magen-Darm-Erkrankungen sind für unser Immunsystem neu. Auf viele Vertreter der Gruppe Escherichia coli hat sich unser Immunsystem eingestellt. Zum Beispiel lernt es bei Durchfallerkrankungen im Kindesalter die krankmachenden Bakterien kennen und attackiert sie sofort erfolgreich, wenn sie erneut im Darm auftauchen. In der Ferne sind jedoch andere E. coli-Bakterien verbreitet. Unser Immunsystem kennt sie noch nicht, so dass sie zunächst die Darmschleimhaut attackieren und Durchfall verursachen können. In der Regel ist er aber nach zwei, drei Tagen überwunden. Man sollte viel trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Was empfehlen Sie?

Gut sind Tee, sauberes Wasser und andere Getränke aus original verschlossenen Flaschen. Leicht mit Zucker gesüßt liefern sie ein paar Kalorien, und wer etwas Salz ins Getränk gibt, ersetzt damit wichtige Elektrolyte.

Und was halten Sie von den vielbeworbenen Probiotika?

Bei akuter Diarrhö bringen sie nichts. Studien belegen keine Wirksamkeit. Das gilt übrigens für Kohletabletten genauso.

Kann man etwas im Vorfeld tun, um eine Reisediarrhö zu vermeiden?

Eigentlich nur das, was längst bekannt ist: rohes Obst und Gemüse meiden, Getränke nur aus versiegelten Flaschen konsumieren, auf  Eiswürfel verzichten. Es gilt nach wie vor: Cook it, peel it or forget it.

Und wie steht es mit einer Impfung? Die wurde doch gegen eine bestimmte Form von E. coli ausprobiert.

Ja, aber bisher erfolglos.

Dann verraten Sie uns bitte, was man tun soll, wenn die Beschwerden nicht nachlassen, kein Arzt in der Nähe ist oder die Rückreise ansteht?

Wenn man eine längere Fahrt überstehen muss oder fernab der Zivilisation ist, gibt es eine wirksame Eigentherapie: Nehmen Sie je nach Region ein Antibiotikum wie Ciprofloxacin oder Azithromycin und zusätzlich Loperamid (Preisvergleich S. 22). Dieser Wirkstoff lähmt Darmbewegungen und stoppt so den Durchfall. Für Kinder unter 2 Jahren ist das Mittel, das es ohne Rezept in der Apotheke gibt, allerdings tabu. Erwachsene sollten Loperamid höchstens 48 Stunden lang schlucken.

Warum?

Loperamid hält mit dem Speisebrei auch jene Bakterien und Zellen im Darm zurück, die Giftstoffe produzieren. Sie werden nicht mehr mit dem Durchfall weggespült, sondern können sich weiter vermehren.

Lohnt es denn, vorsorglich diese Medikamente mitzunehmen?

Das würde ich von der Art der Reise abhängig machen. Für Rucksacktouristen, die etwa mit Überlandbussen unterwegs sind und in einfachen Unterkünften wohnen, kann man es empfehlen. Auch bei längeren Touren fern der Großstädte. Aber sonst eher nicht.

Wir haben bisher vor allem über Erreger gesprochen, die oberflächlich die Darmschleimhaut entzünden. Aber die invasiven Keime und Giftstoffe, die weiter in den Körper vordringen, sind wohl das größere Problem.

Stimmt. Wenn Bakterien Zellen der Darmwand attackieren und sogar verletzen, entstehen blutige und schleimige Stühle. Manchmal werden Bakteriengifte über die Blutbahn im Körper verteilt, etwa wenn HIV-geschwächte Menschen sich mit Salmonellen infiziert haben. Die Folgen sind bedrohlich. Auch der Erreger der Cholera verursacht neben starkem Flüssigkeitsverlust zusätzlich Fieber. Und schwere Verläufe sehen wir zum Beispiel auch bei Durchfall durch Amöben – bekannt als Amöbenruhr. Oft verschlimmert sich da die Situation noch, wenn man wieder zu Hause ist. Die Einzeller, die im Süßwasser leben und auf Obst und Gemüse vorkommen, infizieren manchmal Herz, Leber und andere Organe. Um das zu verhindern, ist eine Antibiotikumtherapie erforderlich.

Welche weiteren Erreger spielen eine Rolle, wenn Reisedurchfall
zwei Wochen oder länger andauert?

Dazu gehört der einzellige Parasit Giardia lamblia, den man oft nicht so leicht wieder los wird. Anderseits lässt er sich in Stuhlproben einfach nachweisen und mit einem Antibiotikum gut behandeln. Schleimige und blutige Durchfälle werden auch von Bakterien der Gattung Shigella verursacht. Da spricht man ebenfalls von Ruhr. Die Shigellen produzieren nicht nur ein Gift, sondern zerstören Schleimhautzellen in der Darmwand.

Und was kann man dagegen tun?

Auch hier hilft nur eine Antibiotikatherapie. Aber zunehmend sind Bakterien gegen üblicherweise gut wirksame Antibiotika – wie etwa Ciprofloxacin – resistent. Es ist eminent wichtig, dass Antibiotika nicht leichtfertig von Ärzten verordnet oder von Patienten selbst gekauft und angewendet werden. In manchen Ländern sind sie ja nicht mal verschreibungspflichtig! All das fördert Resistenzen (siehe S. 23). Was passieren kann sieht man in Peru: Rifaximin, das speziell als Mittel gegen Reisediarrhö vermarktet wurde, ist nutzlos geworden.

Kommen wir nochmals auf die Erreger zurück. Was wird bei anhaltendem Reisedurchfall oft übersehen?

Manchmal steckt eine Malaria dahinter. Dann sind im Stuhl gar keine Erreger zu finden, aber ein Blutabstrich offenbart rasch, worum es sich handelt. Und noch etwas ist wichtig: Bei Männern im mittleren Alter, die aus Thailand oder auch aus Afrika zurückkommen, kann auch eine akute HIV-Infektion anhaltenden Durchfall verursachen. Auf diese Ursache kommt der Arzt oder die Ärztin nicht so leicht.

An wen sollte man sich wenden, wenn ein Reisedurchfall nicht verschwindet? Ist die Hausarztpraxis die richtige Adresse?

Das hängt auch von der Ausstattung der Praxis ab. Wer sich an ein Tropeninstitut wendet, hat den Vorteil, rasch eine Diagnose zu bekommen, denn Stuhlproben müssen nicht eingeschickt wer-den, alle Testsysteme sind vor Ort.

Eine letzte Frage: Kann eine Reisediarrhö den Darm nachhaltig schädigen?

Weder Morbus Crohn noch Colitis ulcerosa, beides chronische Darmentzündungen, sind eine Folge von Reisedurchfall. Allerdings kann sich manchmal ein Reizdarm entwickeln. Aber die gute Botschaft ist, dass die Beschwerden mit der Zeit verschwinden. Manchmal erst nach ein, zwei Jahren, manchmal schon früher.

Herr Schneider, vielen Dank, dass Sie uns das Besondere an Reisedurchfall erklärt haben und warum es kein Patentrezept gibt.

Reisediarrhö Reisedurchfall

Antibiotika und Durchfall GPSP 3/2014, S. 22

Darmlumen Der Darm ist innen hohl, aber normalerweise mit verdautem Speisebrei gefüllt. Lumen (lat. Licht) bezeichnet die lichte Weite eines Hohlraums.

E. coli Escherichia coli

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2016 / S.19