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Alternativen zur medikamentösen Therapie

Wie sich leichte Depressionen behandeln lassen

Phasen, in denen man niedergeschlagen ist, hat jeder mal im Leben, sie sind nichts Ungewöhnliches. Besonders in der dunklen Jahreszeit leiden viele Menschen unter Antriebslosigkeit und Stimmungsschwankungen. Wie lassen sich solche Phasen von echten depressiven Episoden abgrenzen, die ja durchaus auch jahreszeitlich bedingt sein können? Und was lässt sich gegen leichte Depressionen tun? Wir befragten dazu den Psychiater und Psycho­therapeuten Klaus Lieb.

GPSP: Wo hört die normale Stimmungsschwankung auf? Und wo fängt eine Depression an?

Klaus Lieb: Phasen, in denen man sich niedergeschlagen fühlt oder eine düstere Grundstimmung hat, sind nichts Ungewöhnliches. Jeder kennt solche Zeiten. Wenn dieser Gemütszustand nicht länger als zwei Wochen andauert, kann man sagen, das ist nicht ungewöhnlich. Gerade in den Herbst- und Wintermonaten kann so eine vorübergehende schlechte Stimmung auftreten.

Auch, wenn wir um einen Menschen trauern, kennen wir eingetrübte Stimmungslagen. Bei dieser Trauerreaktion stehen Leere und Verlust im Vordergrund, diese Gefühle können wellenförmig ansteigen und abebben. Daneben ist man aber noch in der Lage, positive Gefühle zu empfinden. Das ist bei einer Depression anders. Sie ist von einer anhaltenden negativen Stimmungslage gekennzeichnet, von Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit. Unbearbeitete Trauer oder saisonale Stimmungsschwankungen können aber in eine Depression münden.

Wann liegt denn eine Depression vor? Gibt es genaue Kriterien?

Die Kriterien für die Diagnose von Depressionen stehen im sogenannten ICD-10-Katalog, einer international anerkannten Klassifikation für Krankheiten. Dort werden Haupt- und Nebensymptome unterschieden. Die drei Hauptsymptome sind de­pressive Stimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie ver­minderter Antrieb.

Zusätzlich können bei Depressionen eine Reihe von Nebensymptomen auftreten. Hier unterscheiden wir spezifische von unspezifischen. Die sieben spezifischen Symptome sind verminderte Konzentration bzw. Aufmerksamkeit, herabgesetztes Selbstwertgefühl bzw. Selbstvertrauen, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, negative oder pessimistische Zukunftserwartungen, Lebensüberdruss, Suizidgedanken oder suizidale Handlungen, Schlafstörungen und wenig Appetit. Zu den unspezifischen Symptomen können zum Beispiel körperliche Beschwerden gehören.

Wir sprechen von einer leichten Depression, wenn mindestens je zwei der Haupt- und Nebensymptome länger als zwei Wochen anhalten. Bei einer schweren Depression bestehen alle drei Hauptsymptome plus mindestens vier Nebensymptome über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen.

Kann ich selbst erkennen, ob ich eine Depression habe?

Das Gesicht der Depression ist sehr vielfältig, das macht es nicht leicht, zu erkennen, ob man selbst betroffen ist. Wenn man den Verdacht hat, dass sich die depressive Stimmung einfach nicht bessern will und man seinen eigenen Alltag nicht mehr gut bewältigen kann, sollte man am besten zum Hausarzt gehen. Hausärzte können im Gespräch und eventuell auch mithilfe von Fragebögen (zum Beispiel dem sogenannten WHO-5-Fragebogen, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation, der auch frei im Internet erhältlich ist), herausfinden, ob es sich um eine Depression handeln könnte.

Vielen Patienten tut schon allein dieses Gespräch gut, sie sind erleichtert darüber reden zu können, dass es ihnen schlecht geht. Viele schämen sich, mit ihren Angehörigen und Freunden offen zu sprechen. Dabei ist es wichtig, diesen Schritt zu gehen. Denn Depressionen sind eine ernste Krankheit und können lebensbedrohlich sein, wenn sie schwer verlaufen und/oder unbehandelt bleiben.

Welche Therapien kann mein Hausarzt anbieten? Gehören dazu auch Medikamente?

Nein, bei einer leichten Depression gibt es viele nicht-medikamentöse Alternativen. Nur bei schweren Depressionen ist die Wirksamkeit von Psychopharmaka gut nachgewiesen. Aber bei leichten Depressionen kann ich als Arzt mit Psychopharmaka erst einmal zurückhaltend sein, weil die Überlegenheit der medikamentösen Therapie nicht eindeutig ist. Man muss also von Fall zu Fall abwägen.

In welchen Fällen kann man erstmal auf Medikamente ver­zichten?

Zuerst sollte man einem Patienten mit einer leichten Depression anbieten, abzuwarten. Das Konzept dazu nennt sich „watchful waiting“. In dieser Phase sollten Patienten, die sich dafür entscheiden, diesen Weg zu gehen, einmal pro Woche zum Gespräch in die Hausarztpraxis kommen. Der Hausarzt berät dann zum Beispiel über weitere Behandlungsmöglichkeiten, und behält die Entwicklung im Blick.

Sollte sich innerhalb von zwei Wochen das Befinden nicht bessern oder sogar verschlechtern, würden weitere nichtmedikamentöse Maßnahmen dazukommen. Dazu gehören psychoedukative Programme, in denen Patienten lernen, mit ihrer Situation besser umzugehen, die Bibliotherapie, also das Lesen von Selbsthilfebüchern, Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppen oder die Anmeldung bei Online-Programmen, wie zum Beispiel das kostenpflichtige Deprexis.1

Einem Patienten, der das möchte, würde ich auch Johanniskrautkapseln verordnen. Das sollte aber unbedingt unter ärztlicher Leitung gemacht werden. Johanniskraut hat ernste Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Es kann zum Beispiel die Wirkung der Pille und von Blutgerinnungshemmern ab­schwächen.2

Wie lange kann eine leichte Depression so behandelt werden?

Wenn sich die Situation weitere zwei Wochen nicht bessern sollte oder sogar verschlechtert, kann man über eine Behandlung mit psychotherapeutischen Verfahren oder Psychopharmaka nachdenken.

Und welche Verfahren sind bei einer leichten Depression geeignet?

Das ist zum Beispiel die kognitive Verhaltenstherapie. Hier werden psychische Erkrankungen als Folge ungünstiger (Lern-)Erfahrungen im Leben verstanden. In dieser Therapieform geht es darum, sich über die eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen klar zu werden. So kann man nicht zutreffende und belastende Überzeugungen erkennen und sein Denken und Verhalten in Zukunft verändern.

Eine andere Möglichkeit sind tiefenpsychologische Verfahren. Sie setzen voraus, dass Patienten bereit sind, sich intensiv mit vergangenen und möglicherweise schmerzhaften Erfahrungen auseinanderzusetzen. Bei dieser Therapieform geht man davon aus, dass unbewusste, bisher nicht verarbeitete Konflikte eine Depression verursachen können.

Nicht immer muss die Psychotherapie sehr lange dauern. Oft können schon 12 bis 25 Sitzungen eine große Hilfe sein. Eine wissenschaftlich gut belegte Kurzzeit-Psychotherapie ist zum Beispiel die sogenannte Interpersonelle Psychotherapie. Sie dauert zwölf Stunden und bearbeitet insbesondere zwischenmenschliche Probleme als Ursache einer Depression.

Und wie lange müssen Patienten auf einen Psychotherapieplatz warten?

Aktuell beträgt da die Wartezeit in Deutschland im Durchschnitt etwa vier bis fünf Monate, außerhalb von Großstädten auch schon mal länger. Das ist ein großes Problem, das man seit zirka anderthalb Jahren dadurch versucht abzumildern, dass Psychotherapeuten wöchentlich eine offene Sprechstunde anbieten müssen. So können Patienten in Krisensituation schneller Hilfe bekommen. Allerdings müssen Patienten auf solche Sprechstundentermine in der Regel auch noch drei bis sechs Wochen warten.

Sie sagten, dass bei länger anhaltenden leichten Depressionen auch eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein kann. Wann gilt das?

Zum Beispiel dann, wenn die Patienten sich eine Therapie mit Psychopharmaka wünschen. Oder wenn sie bei früheren depressiven Episoden schon gut auf die medikamentöse Behandlung angesprochen haben. Außerdem sind Psychopharmaka sinnvoll, wenn es schwere Depressionen in der Vorgeschichte gibt oder wenn die leichte Depression auch nach der nicht-medikamentösen Behandlung über längere Zeit fortbesteht. Die Auswahl der Medikamente muss immer den Nutzen und die Nebenwirkungen beachten.

Was können Patienten und ihre Angehörigen sonst noch tun, um die Behandlung einer leichten Depression zu unterstützen?

Man hat gesehen, dass Sport eine Depressionsbehandlung unterstützt. Regelmäßige körperliche Bewegung hat viele Vorteile und kann gerade in einer depressiven Krise dazu beitragen, dass Patienten sich schneller stabilisieren. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat hierzu nützliche Informationen, beispielsweise auch eine Liste mit Lauftreffs.3

Eine Unterstützung durch Angehörige ist für Betroffene oft sehr wichtig. Gleichzeitig ist ihr Einfluss auf den Krankheitsverlauf begrenzt. Angehörige sollten unbedingt darauf achten, ausreichend für sich selbst zu sorgen. Dazu gehört, dass sie ihre eigene Freizeit aktiv gestalten, für ausreichend Entspannung und Ruhe sorgen und nicht zu viele der Aufgaben übernehmen, die der depressive Partner gerade selbst nicht schafft. Die Teilnahme an einem psychoedukativen Training oder einer Selbsthilfegruppe kann auch für die Angehörigen wichtig sein.

Herr Lieb, vielen Dank für das informative Gespräch!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2018 / S.19