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© skynesher_iStock

Wenn die Perspektive der Patienten fehlt

Fachinfos bilden oft keine Erfahrungen von Studienteilnehmern ab

Reduziert das Medikament spürbar die Beschwerden? Verbessert es die Lebensqualität? In den offiziellen Informationen zu Arzneimitteln finden sich auf diese Fragen leider oft keine Antworten.

Wenn ein neues Medikament in Studien getestet wird, misst sich der Behandlungserfolg oft nach objektiven Kriterien: Verringert das Mittel Herzinfarkte? Verhindert es Knochenbrüche? Die entsprechenden Zahlen zum Nutzen finden sich dann auch in der Fachinformation wieder. Dabei handelt es sich um ein behördlich genehmigtes Dokument, das die wichtigsten Informationen zum Arzneimittel für medizinisches Fachpersonal zusammenfasst.

Was dort allerdings häufig nicht auftaucht: die Ergebnisse von subjektiven Einschätzungen, bei denen Patient:innen zum Beispiel angeben, wie stark ihre Beschwerden ausfielen oder wie gut ihre Lebensqualität war. Fachleute sprechen von „patientenberichteten Endpunkten“. Diese Daten fehlen oft in der Fachinformation, obwohl sie in den Studien zu dem Medikament erhoben wurden. Zu diesem Ergebnis kam eine Analyse des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).1

Magere Bilanz

Dafür haben die Wissenschaft­ler:innen die Daten zu 72 Medikamenten ausgewertet, die in Deutschland zwischen 2014 und 2018 neu auf den Markt kamen. Verglichen wurden die Angaben in den Fachinformationen mit den Auswertungen für die frühe Nutzenbewertung, bei denen subjektive Einschätzungen aus allen verfügbaren Studien berücksichtigt werden. In den Unterlagen zur frühen Nutzenbewertung fand das Forschungsteam insgesamt 109 Studien, in denen Patient:innen über Beschwerden oder ihre Lebensqualität berichteten.

Davon kommt aber nur wenig in den Fachinformationen an: Nur 89 dieser Studien wurden dort überhaupt erwähnt. Daten zu patientenberichteten Endpunkten aus diesen Studien fanden sich in weniger als der Hälfte der Fachinformationen, obwohl sie verfügbar gewesen wären.

Und selbst wenn solche Daten in der Fachinfo Erwähnung fanden, waren sie oft unvollständig: Bei Krebsmedikamenten fanden sich nur etwa ein Drittel der verfügbaren Daten zu Beschwerden oder Lebensqualität in der Fachinformation wieder. Gerade bei diesen Arzneimitteln wäre es aber besonders wichtig, weil Patient:innen für eine eventuelle Verlängerung der Lebenszeit oft erhebliche Nebenwirkungen in Kauf nehmen müssen.

Wenn negative Daten fehlen

Dass möglicherweise genau diese Situation in den Fachinformationen unzureichend aufgegriffen wird, macht die Auswertung ebenfalls deutlich: Wirkte sich das Medikament in einer Studie positiv auf Beschwerden aus, fanden sich entsprechende Hinweise deutlich häufiger in der Fachinformation, als wenn die Behandlung Beschwerden nicht oder sogar negativ beeinflusste.

Ein Beispiel: Das Brustkrebsmittel Palbociclib war in der frühen Nutzenbewertung unter anderem deshalb durchgefallen, weil es zwar das Fortschreiten der Krebserkrankung verlangsamte, aber nicht die Sterblichkeit verringerte. Außerdem verbesserten sich weder Beschwerden noch Lebensqualität der betroffenen Frauen. Letzteres fehlt aber in der Fachinformation.

Nach Ansicht des IQWiG-Teams muss sich die Situation dringend verbessern, damit die offizielle Dokumentation zu Arzneimitteln die Patientenperspektive angemessen berücksichtigt.

1 Haag S u.a. (2021) J Pat Rep Outcomes; 5, S. 127

https://gutepillen-schlechtepillen.de/brustkrebs-leere-versprechungen/

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2022 / S.11