Wegen Ukraine-Krieg: Jodtabletten gefragt
Vorsicht: Zu viel Jod kann der Schilddrüse schaden
Aus Angst vor Nuklearunfällen waren nach dem Überfall auf die Ukraine freiverkäufliche Jodtabletten begehrt. Für die Schilddrüse sind sie aber weder sinnvoll noch nötig.
Mit Beginn des Ukraine-Kriegs gab es Meldungen, dass Menschen offenbar in größeren Mengen Jodtabletten in Apotheken kaufen wollten. Im Internet kursierten Ratschläge, die Tabletten vorbeugend einzunehmen.
Der Anlass: Es gab in der Ukraine Kämpfe rund um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl sowie in der Nähe von Lagern für radioaktive Abfälle. Außerdem wurden Befürchtungen laut, dass Putin den Einsatz von Nuklearwaffen befehlen könnte.
Die vorbeugende Einnahme von Jodtabletten auf eigene Faust ist aber weder nötig noch sinnvoll, wie die Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker warnt. Denn zu viel Jod kann zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen.1
Hochdosierte Jodtabletten für den Notfall
Der Hype um Jodtabletten hat einen ernsten Hintergrund: Die für Katastrophenschutz zuständigen Behörden haben hochdosierte Jodtabletten eingelagert. Falls bei einem nuklearen Unfall radioaktives Jod freigesetzt wird, sollen die Tabletten an die Bevölkerung ausgegeben werden.
Denn radioaktives Jod kann sich in der Schilddrüse anreichern und dort Schilddrüsenkrebs verursachen. Bei rechtzeitiger Einnahme sättigt hochdosiertes Jod die Schilddrüse (Jodblockade), sodass sich das radioaktive Jod nicht mehr einlagern kann.
Die Mengen für die Jodblockade liegen allerdings deutlich über denen, die für die normale Ernährung oder zur Vorbeugung eines Kropfes benötigt werden. Darauf weist das Online-Portal „Klartext Nahrungsergänzung“ der Verbraucherzentrale hin.2
Zum Vergleich: Für die tägliche Jodzufuhr bei Erwachsenen wird eine Menge von 200 Mikrogramm empfohlen, übliche Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel enthalten 100 bis 200 Mikrogramm. Die Tabletten zur Jodblockade enthalten die 500- bis 1.000-fache Menge und werden nur einmalig eingenommen.
Eine Jodblockade ist außerdem nur dann nötig, wenn Menschen tatsächlich einer Wolke mit radioaktivem Jod ausgesetzt sind. Vor anderen radioaktiven Stoffen wie Cäsium oder Strontium schützen die Tabletten nicht. Deshalb ist es bei einem Nuklearunfall vorgesehen, dass die Behörden die Konzentration an radioaktivem Jod messen und den Verlauf seiner Ausbreitung berechnen. Erst bei konkreter Gefährdung werden die Jodtabletten ausgegeben. Bei der Freisetzung von radioaktivem Jod in der Ukraine wäre es eher unwahrscheinlich, dass dieses in relevanten Mengen bis nach Deutschland gelangt.
Nur für jüngere Menschen
Hinzu kommt: Bis sich nach dem Kontakt mit radioaktivem Jod Schilddrüsenkrebs entwickelt, dauert es in der Regel 30 bis 40 Jahre. Daher sind besonders Kinder und Jugendliche gefährdet. Bei einem Nuklearunfall erhalten deshalb nur Menschen bis 45 Jahre im Umkreis von 100 Kilometern Jodtabletten, außerdem im gesamten Bundesgebiet Menschen unter 18 Jahre sowie Schwangere.
Zu viel Jod kann schaden
Bei älteren Menschen überwiegt dagegen das mögliche Risiko von hochdosiertem Jod: Denn falls bei ihnen die Schilddrüse – teils unbemerkt – zu viele Hormone produziert, kann bereits bei einmaliger hoher Jodzufuhr der Stoffwechsel entgleisen. Das kann lebensgefährlich sein. Insgesamt gilt eine tägliche Jodzufuhr von mehr als 500 Mikrogramm pro Tag, inklusive Lebensmittel und Jodsalz, als gesundheitlich bedenklich. Denn das kann ebenfalls der Schilddrüse schaden und bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse wie Morbus Basedow oder einer Hashimoto-Thyreoiditis zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen. Aus diesem Grund raten Fachleute dringend davon ab, ohne ärztlichen Rat Jodtabletten einzunehmen.
- Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker (2022) Meldung vom 1. März
- Verbraucherzentrale (2022) Jod bei radiologischem oder nuklearem Notfall
Wenn die Schilddrüse zu viel Hormon produziert – oder zu wenig
Stand: 1. September 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2022 / S.11