Was nützen die Blutfettsenker im Alter?
Diskussion um Statine
Statine sollen das Risiko für einen Herzinfarkt senken – aber funktioniert das auch noch im fortgeschrittenen Alter? Trotz offener Fragen gibt es dazu inzwischen einige Antworten.
Statine entfalten ihre schützenden Wirkungen bei Arteriosklerose nicht kurzfristig, sondern ihre positiven Effekte stellen sich erst über die Jahre ein. Da liegt natürlich die Frage nahe, ob die Einnahme im fortgeschrittenen Alter überhaupt noch sinnvoll ist. Denn möglicherweise erleben die Patientinnen und Patienten den Nutzen dann gar nicht mehr, müssen aber mögliche Nebenwirkungen ertragen.
Hinzu kommt, dass ältere Menschen in der Regel sowieso schon eine ganze Reihe von Medikamenten einnehmen, was nicht selten zu Problemen durch Wechselwirkungen führt. Auch sind sie anfälliger für Nebenwirkungen.
Was wissen wir zum Nutzen von Statinen im Alter? Mit dieser Frage hat sich 2019 eine große wissenschaftliche Übersichtsarbeit beschäftigt, die die Daten aus großen Studien mit insgesamt rund 180.000 Patientinnen und Patienten zusammengefasst und in verschiedenen Altersgruppen ausgewertet hat.1
In den Studien hatten die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip entweder ein Statin bzw. ein Scheinmedikament oder nur die sonst übliche Behandlung erhalten, in einigen wenigen Untersuchungen wurde auch der Nutzen von hohen gegen niedrige Statin-Dosierungen getestet. Im Mittel nahmen die Patientinnen und Patienten die Medikamente über fünf Jahre ein. Im Laufe der Zeit wurde gezählt, wie viele der Teilnehmenden einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten, daran starben oder sich einem Eingriff wie Stent-Einlage oder Bypass-Operation unterziehen mussten.
Nutzen im Alter
Dabei zeigten sich einige Effekte, die bereits gut bekannt sind: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse, und dies besonders dann, wenn Menschen bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hinter sich haben. Der Nutzen von Statinen ist nach solchen Erkrankungen auch größer, also in der sogenannten Sekundärprävention.
In der Auswertung nach Altersgruppen wurde deutlich: In der Sekundärprävention bleibt der schützende Effekt der Statine über alle Altersgruppen hinweg zwar erhalten; aber je älter die Menschen bei Beginn der Behandlung sind, desto geringer fällt der Schutz aus (siehe Tabelle).
In der Primärprävention, also wenn jemand noch keinen Gefäßverschluss hatte, ist der Schutz sehr gering2 und ab einem Alter über 70 Jahre statistisch nicht mehr eindeutig nachweisbar. Das gilt besonders auch für Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche oder wenn Menschen wegen eines chronischen Nierenversagens regelmäßig eine Dialyse brauchen.
Was wir nicht wissen
Leider kann die Übersichtsarbeit nicht alle Fragen beantworten, die sich für Patientinnen und Patienten stellen. So haben an den Studien sehr ausgewählte Patientengruppen teilgenommen, die zum Beispiel meist keine weiteren Erkrankungen hatten – das ist bei älteren Menschen aber eher untypisch. Zudem sind viele Studien schon älteren Datums, sodass sich beispielsweise die Behandlung anderer Risikofaktoren seitdem verbessert hat. Berücksichtigt man beides, könnte es sein, dass der in der Tabelle dargestellte schützende Effekt der Statine eher überschätzt ist.3
Und die Nebenwirkungen?
Schließlich fehlt auch eine Auswertung der wichtigsten Nebenwirkungen in dieser Analyse. Von Statinen weiß man etwa, dass sie zu Muskelbeschwerden führen können, was besonders bei Älteren die körperliche Aktivität einschränkt und Stürze begünstigt. Auch kann das Risiko für einen Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) etwas ansteigen. Bislang ist es nicht eindeutig geklärt, ob sich diese Risiken mit zunehmendem Alter erhöhen.4 Immerhin konnte die Analyse aber keine Anhaltspunkte dafür finden, dass durch die Einnahme von Statinen die Sterblichkeit durch andere Ursachen oder das Krebsrisiko steigt.
Was tun?
Trotz der vielen offenen Fragen kristallisieren sich einige Hinweise für den Alltag heraus:4
- Bei der Entscheidung für oder gegen Statine ist es in jedem Alter wichtig, sich mit Arzt oder Ärztin ausführlich zu beraten.
- Bei bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung (Sekundärprävention) ist der Nutzen größer, das gilt für Jüngere wie für Ältere. Für über 70-Jährige ist der Nutzen in der Primärprävention nicht gesichert.3 Bei Herzschwäche oder bei Menschen, die wegen eingeschränkter Nierenfunktion eine Dialyse brauchen, ist der Nutzen von Statinen nicht nachgewiesen.
- Wichtig abzuklären: Welche Auswirkungen könnten mögliche unerwünschte Effekte bei mir haben, wie können sie meinen Alltag beeinträchtigen? Muss ich mit Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die ich bereits einnehme, rechnen?
- Das kalendarische Alter allein ist nicht ausschlaggebend, sondern der Gesundheitszustand insgesamt und die zu erwartende verbleibende Lebensspanne. Die Abwägung für oder gegen eine Behandlung mit einem Statin wird bei einem körperlich fitten 75-Jährigen sicher anders ausfallen als bei einer Person gleichen Alters mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung.
Und was ist mit dem bisher unklaren Nutzen von Statinen in der Primärprävention bei älteren Menschen? Hierzu laufen derzeit noch zwei größere Studien. Möglicherweise werden wir dann in ein paar Jahren Genaueres dazu wissen.
Nutzen der Cholesterinsenkung
GPSP 1/2017, S. 19
GPSP 2/2020, S. 4
Absetzen von Medikamenten
GPSP 3/2018, S.19
Stand: 1. Juli 2020 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2020 / S.12