Zum Inhalt springen
© Uranassbandit

Vorsicht: Präparate mit Rotem Reis

Produkte miserabel kontrolliert

Roter Reis, auch Rotschimmelreis genannt, wird aus gewöhnlichem Reis mithilfe bestimmter Schimmelpilzstämme hergestellt, in Kapseln abgefüllt und als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. „Rotschimmelreis – wirkt rein natürlich gegen Cholesterin“, behauptet die Werbung. Und „die von chemischen Cholesterinblockern bekannten Nebenwirkungen“ sollen „nicht oder nur sehr abgeschwächt“ auftreten.1 Das ist eine bei Nahrungsergänzungsmitteln leider häufig zu findende Irreführung von Verbrauchern.

Begriffe wie „rein natürlich“ sollen Harmlosigkeit und Unbedenklichkeit signalisieren. Roter Reis enthält jedoch aufgrund der Fermentierung mit Schimmelpilzen unter anderem den Stoff Monacolin K, der mit dem als Arzneimittel vertriebenen Cholesterinsenker Lovastatin identisch ist. Viele weitere Stoffe, deren Wirkungen und unerwünschte Effekte unzureichend bekannt sind, kommen hinzu.2 Das Arzneimittel Lovastatin ist verschreibungspflichtig – unter anderem, weil Gegenanzeigen zu beachten sind. Das bedeutet, dass sich die Einnahme für manche Personen ganz verbietet, bei anderen besondere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich sind.

Im Strudel der Begriffe

Die Nahrungsergänzungsmittel mit Rotem Reis, die es im Internet oder um die Ecke zu kaufen gibt, enthalten unterschiedliche Mengen von Monacolinen. Pro Kapsel sind es bis zu 18 mg Monacolin K sowie zusätzlich andere aktive Monacoline. Wer von solchen Produkten die empfohlenen zwei Kapseln pro Tag „verzehrt“, erhält damit etwa die übliche 40-mg-Tagesdosis eines verschreibungspflichtigen Lovastatin-Arzneimittels. Vor allem Menschen mit hohen Cholesterinwerten im Blut, die Kapseln mit Rotem Reis zusätzlich zu einem cholesterinsenkenden Arzneimittel einnehmen, sind durch eine daraus resultierende Überdosierung gefährdet. Denn erhebliche unerwünschte Wirkungen sind zu befürchten. Das gilt auch für Menschen, die cholesterinsenkende Arzneimittel nicht vertragen und deshalb auf Roten Reis ausweichen! Denn auf Packungen von Rote-Reis-Produkten fehlen Warnhinweise, die klar machen, dass Monacolin K mit dem Arzneimittelwirkstoff Lovastatin identisch ist.

Für Nahrungsergänzungsmittel mit Rotem Reis sind Schäden an Muskeln, Nieren und der Leber sowie schwere Hautreaktionen und Darmstörungen beschrieben.3 Dennoch fehlen bei den Produkten zum Teil entsprechende Angaben zu unerwünschten Wirkungen, Gegenanzeigen und Wechselwirkungen mit Arzneimitteln.3 Die Kaufwilligen erfahren davon nichts. Wahrscheinlich bleiben zudem viele Schadwirkungen unentdeckt, denn wer ein Nahrungsergänzungsmittel schluckt, das als „natürlich“ bezeichnet wird, dürfte solche Probleme allzu oft nicht dem Roten Reis ankreiden.

Beschäftigungsprogramm für Behörden

Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat die Werbebehauptung
„… trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei“ zwar genehmigt, das heißt jedoch nicht, dass Monacolin in Lebensmitteln grundsätzlich verwendet werden darf, betont das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).4 Eine gemeinsame Expertenkommission von BVL und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat Monacolin-K-Produkte mit einem Wirkstoffgehalt von 5 mg pro Tag und mehr nämlich kürzlich als verschreibungspflichtige Arzneimittel bewertet.5 Solche Produkte dürften auch nach unserer Einschätzung nicht als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden – und solange sie keine Zulassung als Arzneimittel haben, nicht angepriesen werden.

Doch leider hat die Bewertung der Kommission, zumindest zunächst, keine Konsequenzen. Die beiden Bundesinstitute BVL und BfArM sind nämlich nicht befugt, Nahrungsergänzungsmittel vom Markt zu nehmen. Weil Nahrungsergänzungsmittel wie Lebensmittel behandelt werden, sind im föderalen System der Bundesrepublik die 16 Lebensmittelüberwachungen der Bundesländer zuständig. Diese wiederum können erst tätig werden, wenn die jeweiligen Arzneimittelüberwachungsbehörden der Bundesländer Monacolin-haltige Roter-Reis-Produkte als Arzneimittel eingestuft haben. Die einzelnen Landesbehörden müssen in allen Bundesländern selbstständig tätig werden, in denen Firmen solche Produkte produzieren bzw. vertreiben. Und bei der Frage der Abgrenzung Lebensmittel/Arzneimittel müssen sich die Landesbehörden im Zweifelsfall noch bei der Arzneimittel-Oberbehörde BfArM schlaumachen.3

Was den Roten Reis angeht, hat die Gemeinsame Expertenkommission von BVL und BfArM nun zumindest Vorarbeit geleistet. Aber: Insgesamt entspricht das Prozedere einem gigantischen Behördenbeschäftigungsprogramm, kommentiert der unabhängige Informationsdienst arznei-telegramm®.3

Für eine effektive Marktkontrolle im Lebensmittel- und Arzneimittelbereich braucht es eine zentrale Behörde. Denn das föderale System ist hierbei hoffnungslos überfordert. Darum kann es nun Monate oder Jahre dauern, bis Nahrungsergänzungsmittel mit Rotem Reis, die pro Tagesdosis mehr als 5 mg Monacoline enthalten und daher ein Arzneimittel mit Zulassungs- und Verschreibungspflicht sein müssten, aus Verkaufsstellen und Internetseiten verschwinden – wenn überhaupt.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2016 / S.10