Studien nach Zulassung: Wissenschaft oder Werbung?
Hochwertige Untersuchungen zu Medikamenten sinnvoll, Anwendungsbeobachtungen bloß Turbo-Marketing
Manche Studien nach der Zulassung sollen allein dafür sorgen, dass das Medikament häufiger verschrieben wird. Mit anderen lassen sich jedoch tatsächlich neue Erkenntnisse gewinnen. Was müssen Patienten und Patientinnen dazu wissen?
Damit neu entwickelte Medikamente eingesetzt werden dürfen, brauchen sie eine Zulassung. Die Voraussetzung dafür: Nutzen und Risiken müssen zuvor in Studien untersucht worden sein. Doch mit der Zulassung ist erwartungsgemäß meist noch nicht alles Wissenswerte bekannt: etwa für spezielle Gruppen von Patient:innen, die an den Zulassungsstudien nicht teilgenommen haben, oder für sehr seltene oder erst nach längerer Einnahme auftretende Nebenwirkungen. Deshalb gibt es oft weitere Untersuchungen, wenn Medikamente bereits auf dem Markt sind.
Allerdings dienen nicht alle Studien dem Erkenntnisgewinn. Manche sollen lediglich den Verkauf fördern. Dazu gehören zum Beispiel Anwendungsbeobachtungen, die Arzt oder Ärztin dazu verleiten sollen, ein bestimmtes Medikament zu verschreiben.
Wirksamkeit und Sicherheit im Alltag
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weist jedoch darauf hin, dass manche Arten von Studien nach der Zulassung durchaus ihre Berechtigung haben.1 Dazu gehören etwa Untersuchungen zur Wirksamkeit (PAES) oder Sicherheit (PASS) unter Alltagsbedingungen. Oft sind diese von den Zulassungsbehörden angeordnet, oder die Anbieter führen sie freiwillig durch. Anders als Anwendungsbeobachtungen, die bei den Behörden nur angezeigt werden müssen, brauchen Anbieter für PAES oder PASS explizite Genehmigungen. Sie sind wissenschaftlich anspruchsvoller und liefern deshalb aussagekräftigere Ergebnisse.
Daten für die Nutzenbewertung
Seit einiger Zeit gibt es in Deutschland auch noch eine andere Art von Studie nach der Zulassung: eine „anwendungsbegleitende Datenerhebung“. Sie soll im Rahmen der frühen Nutzenbewertung neuer Medikamente zusätzliche Erkenntnisse liefern. Möglich ist sie bei Arzneimitteln, die bedingt oder unter außergewöhnlichen Umständen zugelassen wurden: Hier liegen noch nicht so viele Daten vor, wie für eine vollständige Zulassung erforderlich wären, aber die betreffende Krankheit ist bislang kaum behandelbar. Auch bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen („Orphan drugs“) kann der Gemeinsame Bundessausschuss (G-BA) anordnen, dass der Anbieter weitere Daten sammelt und auswertet. Als erstes Medikament hat Zolgensma® eine solche Auflage erhalten. Es wird bei Säuglingen und Kleinkindern mit spinaler Muskelatrophie eingesetzt.
Mitmachen oder nicht?
Wenn Sie als Patientin oder Patient gefragt werden, ob Sie bei einer Studie nach der Zulassung mitmachen wollen, finden Sie heraus, um was für eine Studie es sich genau handelt: Eine Anwendungsbeobachtung? Dann besser Finger weg, denn hier ist der Erkenntnisgewinn gering. Bei Studien, die gezielt und wissenschaftlich valide bestimmte Fragestellungen untersuchen, kann eine Beteiligung dagegen sinnvoll sein. Das gilt besonders dann, wenn Zulassungsbehörden oder der G-BA die Studie angefordert haben.
Stand: 21. Februar 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2022 / S.06