Zum Inhalt springen
© PHOENIX/NDR/Christian Baars

Resistenz ab Fabrik

Schmutzige Antibiotika-Produktion geht auch uns an

Wenn Sie ein Antibiotikum-Rezept in der Apotheke einlösen, machen Sie sich wahrscheinlich keine Gedanken, woher das Medikament kommt. Dabei stammt der Wirkstoff mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Indien oder China. Und das geht auf Kosten der Umwelt und insbesondere der Menschen vor Ort, wie ein NDR-Team kürzlich aufdeckte.

Eines vorweg: Über die Qualität der Antibiotika brauchen Sie sich keine Gedanken machen. Diese wird in der Regel gut kontrolliert, egal woher die Wirkstoffe stammen. Für die Produktionsbedingungen gilt das leider nicht.

Die Gegend um das indische Hyderabad ist weltweit eine der größten Produktionszonen für Arzneimittel. Mehr als 30 Fabriken erzeugen hier tonnenweise Wirkstoffe, auch für den europäischen Markt. Über 80% der Antibiotika-Wirkstoffe, die in Deutschland zu Säften, Tabletten oder Kapseln weiterverarbeitet werden, stammen aus Nicht-EU-Staaten, vor allem aus Indien und China.1 Eine geordnete Abwasserversorgung gibt es aber einem Fernsehbericht zufolge offensichtlich nicht. Bei Antibiotika ist das doppelt problematisch, denn ihre unkontrollierte Verbreitung verschmutzt nicht nur die Umwelt, sie lässt auch resistente Bakterien entstehen, gegen die Medikamente dann nichts mehr ausrichten können.

Ein NDR-Team reiste Ende 2016 zusammen mit Dr. Christoph Lübbert, Leiter des Fachbereichs Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, nach Hyderabad. Dort entnahm das Team insgesamt 28 Proben aus Abwasserkanälen von Fabriken, aus Flüssen, in die das von Klärwerken aufbereitete Wasser fließt, und auch Trinkwasser wurde untersucht.

Antibiotika im Wasser

16 der Proben wurden auf Medikamentenrückstände getestet. Nur zwei waren frei von Rückständen: eine Grundwasserprobe und eine Probe aus dem Wasserhahn eines Luxushotels. In allen anderen Proben konnten zwischen zwei und neun Antibiotika nachgewiesen werden. Insgesamt wurden neun verschiedene Antibiotika entdeckt. In über der Hälfte der Proben fand sich das Reserveantibiotikum Moxifloxacin. Der international empfohlene Grenzwert wurde dabei bis zum 2.235-fachen überschritten. Vielfach wurde das Pilzmittel Fluconazol nachgewiesen, immer mindestens 50-fach über dem empfohlenen Grenzwert. Auch gegen Pilzmedikamente können sich Resistenzen entwickeln. Besonders viele Arzneimittelrückstände fanden sich übrigens in Abwasserkanälen von Pharma­fabriken und im Abfluss von Klärwerken.

Resistente Keime auch im Trinkwasser

Die hohe Antibiotika-Belastung des Wassers fördert die Resistenzbildung massiv. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich in 26 der 28 Proben resistente Bakterien fanden. Alle Wasserproben aus Kanälen und Gewässern enthielten verschiedene resistente Keime. Besonders problematisch: Häufig wurden sogar Resistenzen gegen Carbapeneme gefunden – das sind Antibiotika, die eingesetzt werden, wenn nichts Anderes mehr hilft. Trinkwasserproben aus zwei Siedlungen und die Grundwasserprobe aus einem Bohrloch waren ebenfalls mit multiresistenten Erregern verunreinigt. Nur zwei Proben waren frei von resistenten Bakterien – sie stammten aus den Wasserhähnen eines Luxushotels.

Reaktionen in Deutschland

Der Pharmaverband „Pro Generika“ räumt zwar ein, dass es sich bei Antibiotika in Abwässern um ein gravierendes Problem handelt. Gleichzeitig versucht der Verband (dessen Mitglieder von günstigen Produktionsstätten in Indien und China profitieren) aber, das Problem kleinzureden: „Die jeweils vor Ort geltenden Umweltauflagen werden von unseren Mitgliedsunternehmen eingehalten und von staatlichen Behörden überwacht.“2 Das scheint nicht nur wegen der Eigenwerbung des Industriestandorts Hyderabad, der mit dem Slogan „Maximale Förderung – minimale Kontrolle“ wirbt,3 sondern auch angesichts der vom NDR gezogenen Wasserproben mehr als zweifelhaft.

Import durch Touristen

Unter welchen Umständen unsere Arzneimittel hergestellt werden, sollte uns nicht allein aus ethischer Verantwortung interessieren. Denn die durch die Herstellung verbreiteten Antibiotika-Resistenzen betreffen nicht nur die indische Bevölkerung.

Resistente Keime machen vor Grenzen nicht Halt und werden z.B. durch Touristen nach Deutschland eingeschleppt. Eine Untersuchung unter deutschen Urlaubern zeigte, dass vor der Reise nur wenige (6,8%) mit resistenten Bakterien besiedelt waren. Fast ein Drittel (30,4%) der vorher unbelasteten Rückkehrer wurden danach positiv getestet. Spitzenreiter waren Indienreisende mit 73,3%.4 Bleibt man gesund, ist das kein Problem. Doch spätestens bei einem Krankenhausaufenthalt ist das nicht nur für einen selbst ein Risiko, sondern auch für andere Patienten und Patientinnen. Deshalb empfehlen die Autoren der Studie Vorsichtsmaßnahmen: Menschen, die in den letzten sechs Monaten in Hochrisikoländern Urlaub machten, zunächst unter Isolierbedingungen zu behandeln, falls sie hierzulande ins Krankenhaus müssen.5

Standards anheben

Die Fabriken in Indien sind unverzichtbare Produktionsstätten für Antibiotika und andere Arzneimittel. Dass die Umweltauflagen weniger streng sind als in Europa, weiß Pro Generika selbst: „Unsere Mitgliedsunternehmen haben Maßnahmen ergriffen, die die Produktionsbedingungen weiter verbessern werden.“2 Dieses Versprechen auf die Zukunft zeigt vor allem, dass es akuten Handlungsbedarf gibt.

Bereits letztes Jahr hatte der Verband angesichts von Liefer­engpässen bei Antibiotika eine Studie bei der Wirtschaftsberatungsfirma Roland Berger in Auftrag gegeben.1 Quintessenz: Eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland sei wegen der Kostenvorteile chinesischer und indischer Firmen wenig realistisch. Als erster Kostentreiber werden „umfangreiche Produktionsauflagen (Sicherheitsanforderungen und Umweltauflagen)“ in Europa genannt.6

Alternativen möglich

Auf den Vorschlag, Umweltaspekte in die weltweit gültigen Standards für die Produktion aufzunehmen, reagiert Pro Generika ausweichend.2 Dabei wäre das leicht möglich. Denn die Weltgesundheitsorganisation hat für die gute Herstellungspraxis von Medikamenten (GMP) Regeln etabliert, die auch Kontrollbehörden aus anderen Ländern ermöglichen, Produktionsstätten für Wirkstoffe weltweit zu inspizieren. Derzeit beschränken sich die Untersuchungen auf die Arzneimittelqualität und Umweltaspekte spielen keine Rolle. Würde der Umgang mit Abfällen und Abwässern aus der Arzneistoffproduktion in den Prüfkatalog aufgenommen, könnte das die Dumpingpreise, die auf Kosten der Umwelt und der Menschen erzielt werden, deutlich erschweren.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2017 / S.04