Nebenwirkungen: Trockener Mund, verwirrt, hoher Puls
Wenn Medikamente gesundheitliche Probleme von Senioren verstärken
Bei älteren Menschen können bestimmte Nebenwirkungen von Arzneimitteln besondere Schwierigkeiten verursachen. Darüber haben wir mit dem Geriater Bernhard Iglseder gesprochen.
GPSP: Sie beschäftigen sich in Ihrer Klinik unter anderem mit gesundheitlichen Problemen, die Medikamente bei älteren Menschen auslösen können. Welche begegnen Ihnen da am häufigsten?
Die Probleme können sehr unterschiedlich gelagert sein. Häufig sehen wir Auswirkungen auf die psychische Funktion der Betroffenen wie Verwirrtheit, aber auch die Gedächtnisleistung oder die Aufmerksamkeit können leiden. Medikamente können sogar Stürze bei alten Menschen begünstigen, wenn sie etwa Schwindel verursachen, die Muskelkraft oder die Reaktionsfähigkeit verringern. Ebenso können der Appetit oder die Blasenfunktion beeinträchtigt werden.
Fachleute sehen dann besonders Medikamente mit sogenannten anticholinergen Nebenwirkungen kritisch. Was bedeutet das genau?
Bei diesen Nebenwirkungen beeinflussen Medikamente den Stoffwechsel von Acetylcholin. Das ist ein körpereigener Botenstoff, der im Nervensystem Impulse weiterleitet. Medikamente können die Wirkung von Acetylcholin verstärken oder auch hemmen. Solche erwünschten Effekte werden therapeutisch häufig genutzt, etwa bei der Behandlung von Augen- oder Lungenerkrankungen oder bestimmten Formen von Inkontinenz. Wenn Medikamente die Wirkung von Acetylcholin hemmen, wird dies als „anticholinerge Wirkung“ bezeichnet.
Wenn die Wirkung von Acetylcholin allerdings zu sehr gehemmt wird, kommt es zu Mundtrockenheit, erweiterten Pupillen, Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Verstopfung und einem hohen Puls. Anticholinerge Nebenwirkungen können sich aber auch auf das zentrale Nervensystem auswirken. Die Betroffenen spüren dann eine innere Unruhe, Erregung und Angst. In extremen Fällen kommen auch Halluzinationen und Bewusstseinstrübungen vor.
Können Sie Arzneimittel nennen, die typischerweise solche Nebenwirkungen verursachen?
Zu den Medikamenten mit starken anticholinergen Eigenschaften zählen vor allem einige ältere Antidepressiva wie etwa Amitriptylin, aber auch neuere Substanzen wie Paroxetin. Typische Vertreter sind auch Medikamente, die zur Behandlung der überaktiven Blase eingesetzt werden, wie beispielsweise Oxybutynin oder Tolterodin. Auch einige Psychopharmaka zur Behandlung einer Schizophrenie zählen dazu wie Olanzapin oder Chlorpromazin. Aber anticholinerge Nebenwirkungen können auch bei anderen Arzneimitteln auftreten.1 Oft zeigen sich die Nebenwirkungen, wenn mehrere anticholinerg wirkende Medikamente gleichzeitig gegeben werden.
Gibt es Menschen, die besonders anfällig für solche Nebenwirkungen sind?
Grundsätzlich steigt mit dem Alter das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Funktion der Ausscheidungsorgane Leber und Niere im Alter nachlässt und andererseits, dass auch das Gehirn aufgrund von Alterungsprozessen anfälliger für unerwünschte Effekte wird. Ein besonderes Risiko besteht daher bei Menschen, die viele Medikamente gleichzeitig einnehmen und Vorschädigungen von Leber oder Niere aufweisen oder etwa an Demenz erkrankt sind.
Wie lässt sich herausfinden, ob bestimmte Beschwerden tatsächlich von Medikamenten kommen, oder ob nicht doch vielleicht etwas anderes dahinter steckt?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Arzt oder Ärztin achten grundsätzlich darauf, ob es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Verordnung eines Medikaments und dem Auftreten von neuen Symptomen gibt. Dann werden sie prüfen, ob es bekannte Nebenwirkungen der eingenommenen Medikamente sind. Wenn sich die Beschwerden beim Absetzen des Medikaments zurückbilden, ist das ein starker Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang.
Wo können sich Betroffene und Angehörige informieren, ob die Medikamente solche anticholinerge Nebenwirkungen haben können? Steht das im Beipackzettel?
Grundsätzlich stehen die einzelnen oben beschriebenen Symptome schon im Beipackzettel, allerdings nicht unter diesem Begriff. Ob es sich bei diesen Beschwerden um anticholinerge Nebenwirkungen handeln könnte, darüber können am besten die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte Auskunft geben oder Apothekerinnen und Apotheker.
Was raten Sie Patient:innen, wenn sie Medikamente einnehmen und Beschwerden wie innere Unruhe, Mundtrockenheit, Verstopfung oder einen hohen Puls verspüren?
Sie sollten sich an die behandelnde Praxis wenden und sich ärztlich über die möglichen Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit bereits eingenommenen Arzneimitteln beraten lassen. Manchmal lässt sich das Problem durch eine Verringerung der Dosis lösen, eventuell gibt es auch verträglichere Alternativen. Keinesfalls sollten Patient:innen die Medikamente ohne Rücksprache mit Arzt oder Ärztin absetzen. Es gibt ja meist einen triftigen Grund für die Verordnung.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Stand: 1. Juli 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2022 / S.19