Homöopathie in Apotheken und Arztpraxen
Warum empfehlen so viele Globuli trotz wissenschaftlichem Studium?
Die Idee der Homöopathie widerspricht Naturgesetzen – und auch aus vielen Studien ist klar, dass hochverdünnte Globuli und andere homöopathische Mittel nicht besser sind als Scheinmedikamente. Sie werden trotzdem oftmals von Fachleuten empfohlen, die es eigentlich besser wissen sollten. Doch zumindest in der Ärzteschaft scheint sich das derzeit offenbar zu ändern.
„Homöopathie weiterhin beliebt“, titelte die Pharmazeutische Zeitung im September – unter Bezug auf eine Forsa-Umfrage, die von der Pharmafirma Deutsche Homöopathie Union beauftragt worden war. Demnach hat gut jeder zweite Bundesbürger Erfahrungen mit der besonderen Therapierichtung gesammelt. Viele Apotheken bewerben Homöopathika in ihren Schaufenstern oder Regalen – lediglich zwei Apotheken in Deutschland haben sich zuletzt öffentlich dazu bekannt, Homöopathie nicht zu unterstützen, da die hochverdünnten Präparate nur auf der über 200 Jahre alten Theorie des Homöopathie-Erfinders Samuel Hahnemann basieren. Demnach sollen Globuli oder homöopathische Tropfen umso stärker wirken, je weniger Ausgangssubstanz sie enthalten – auf eine für Wissenschaftler völlig unplausible Weise. Es fehlt eine naturwissenschaftliche Theorie, die ihre angebliche Wirkung erklären könnte, und viele Studien haben gezeigt, dass die hochverdünnten Mittel nur genauso gut „wirken“ wie ein Placebo, also ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff.
Trotzdem dürfen sie in Deutschland aufgrund von Sonderregeln als Arzneimittel verkauft und beworben werden: Durch Lobbyarbeit haben es Homöopathie-Unterstützer geschafft, dass das Arzneimittelgesetz für die Mittel stark vereinfachte Marktzulassungsregeln vorsieht. Demnach dürfen Homöopathika teils auch als wirksam dargestellt werden, obwohl dies weder nachgewiesen noch plausibel ist.
Wider besseres Wissen
Viele Apotheker:innen empfehlen trotzdem Globuli und Co., obwohl sie wie Ärzt:innen eine jahrelange naturwissenschaftliche Ausbildung absolvieren müssen. Das hat auch vor drei Jahren eine Erhebung von Forschern der Uni Erfurt ergeben: Sie haben in hundert Apotheken in Stuttgart, Erfurt, Leipzig und Frankfurt verdeckte Interviews geführt und nach einem Mittel für ein erkältetes Familienmitglied gefragt. In rund jeder siebten Apotheke wurden den Testkunden auch homöopathische Produkte aktiv empfohlen; in jeder zweiten der übrigen Apotheken wurden Homöopathika auf Nachfrage als mögliche Alternative dargestellt. Nur in fünf Apotheken wurden die Testkäufer darüber aufgeklärt, dass eine Wirkung der Homöopathie nicht nachgewiesen sei: Viermal so häufig wurde behauptet, dass ihre Wirkung eindeutig bewiesen sei.
Strafprozess gegen Apotheker
Irreführende Arzneimittel-Werbung kann dabei sogar strafbar sein und mit bis zu einem Jahr Haft geahndet werden. So hatte das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg Anzeige gegen den Leiter einer Versandapotheke erstattet. Er hatte ein homöopathisches Mittel mit einer „zuverlässigen und sicheren Wirkung“ beworben. Die zuständige Staatsanwaltschaft Osnabrück nahm Vorsatz an und beantragte einen Strafbefehl. Der Apotheker müsse aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausbildung von der fehlenden Wirksamkeit homöopathischer Mittel wissen. Der Beschuldigte stimmte im anschließenden Strafprozess der Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage zu.
Wie kann es sein, dass Apotheken ihre Kunden so unkritisch bis grob irreführend beraten? Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse und das Ziel einer guten Patientenberatung mischten sich „mit ökonomischen Zwängen und Notwendigkeiten“, sagt Ulrich Hagemann vom Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. „Wenn der Apotheker hingeht und sagt: ‚Hören Sie doch mal, das ist doch alles Unfug mit der Homöopathie‘ muss er befürchten, dass die Patienten nie mehr zu ihm kommen“, sagt Hagemann. „Es gibt den Wunsch einer gewissen Kundenbindung.“
Wenn man bedenke, dass Apotheker:innen eigentlich ihren naturwissenschaftlichen Anspruch hochhalten sollten und die gute Patientenberatung elementarer Teil ihres Berufsbildes ist, sei diese Realität „ziemlich unbefriedigend“, sagt Hagemann. Viele Apotheken gingen einer eingehenden Beratung zu homöopathischen Arzneimitteln „eigentlich aus dem Weg“, Diskussionen mit Patient:innen seien teils schwierig. „Psychologisch und menschlich kann ich es schon verstehen“, sagt er.
Problematische Medikalisierung
Insbesondere bei Kindern gebe es allerdings die Gefahr, dass ihnen antrainiert wird, bei Wehwehchen die eigentlich wirkungslosen Zuckerkügelchen zu nehmen, sagt Hagemann. „Das ist vom psychologischen her ein ausgezeichneter Einstieg in das Lernen von Arzneimittel-Einnahme. Die Eltern tragen dazu bei, dass Arzneimittel-Einnahme gelernt wird.“ Allgemein sei eine Medikalisierung „ziemlich problematisch“. „Man blendet dann auch als Erwachsener aus, dass manche Beschwerden von allein weggehen.“
Ein übliches Argument ist auch, dass hochverdünnte Homöopathika keine Nebenwirkungen hätten. Jedoch gebe es sicher nicht wenige Fälle, wo eine nachweislich wirksame Behandlung unterlassen wurde und der Verlauf der Krankheiten dadurch ungünstiger war, erklärt Hagemann. Einige tragische Fälle gelangen an die Öffentlichkeit: So hat ein Heilpraktiker und Apotheker aus der Gegend von Regensburg eine Brustkrebspatientin über Jahre mit Homöopathika behandelt, sie starb qualvoll.
Gegen die eigenen Interessen
Die evidenzbasierte Medizin sollte streng von Pseudomedizin getrennt werden, erklärt der pensionierte Apotheker Edmund Berndt – der Österreicher hat mit einem Kollegen kürzlich das Buch „Geschäfte mit dem Nichts – Risiko Scheinmedizin“ veröffentlicht. Er kritisiert, dass Apotheken sich zum Verkauf von Wundermitteln missbrauchen ließen. So würden sie etwa bei Aspirin zwar auf Nebenwirkungen aufmerksam machen – bei Homöopathika jedoch nicht darüber aufklären, dass sie im Wesentlichen nur Zucker enthalten. „Stattdessen geben Apotheker noch detaillierte Anwendungshinweise“, sagt Berndt. „So wird letztlich Nutzen und Wirksamkeit vorgetäuscht. Dadurch schaffen sich Apotheker als Berufsgruppe ab.“
Selten Aufklärung in der Apotheke
Hagemann hat wenig Vertrauen in die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) – die oberste Standesvertretung werde sicher keine Aufklärungskampagne starten, sondern behaupten, dass Apotheken ihre Kunden gut beraten würden. „In der täglichen pharmazeutischen Praxis wird das nicht umgesetzt“, sagt er.
Und tatsächlich erklärt eine Sprecherin der ABDA: „Apothekenteams werden im Regelfall ihre Patient:innen über die Wirkungsweise der Arzneimittel aufklären, und damit auch über die Zusammensetzung der Homöopathika.“ Und warum hält die Standesvertretung es für gerechtfertigt, dass Homöopathika im Arzneimittelgesetz als Arzneimittel aufgeführt werden und apothekenpflichtig sind? Apotheken übernähmen „eine Verbraucherschutzfunktion und beraten Patient:innen zu den Grenzen der Selbstmedikation“, so die Sprecherin.
Ein Problem ist auch: Derzeit haben Apotheken im Wesentlichen nur Einnahmen, wenn sie Arzneimittel verkaufen. Im Bereich der Selbstmedikation heißt das nach dem aktuell verbreiteten Geschäftsmodell: Abraten kostet Zeit, bringt aber kein Geld. Der Umsatz mit Homöopathika machte nach einem Bericht des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller 2020 noch 630 Millionen Euro aus – fast 10 Prozent des Gesamtumsatzes mit rezeptfreien Arzneimitteln. Während vor einigen Jahren der Absatz gestiegen ist, sah die Entwicklung für die Hersteller zuletzt jedoch negativ aus.
Weniger Homöopathika auf Rezept
Auch für Ärzt:innen kann Homöopathie wirtschaftlich lukrativ sein: Über spezielle Programme mehrerer Krankenkassen können sie für homöopathische Behandlungen und Beratungen viel höhere Sätze abrechnen als in der wissenschaftlich begründeten Medizin. Doch scheint es in der Ärzteschaft ein Umdenken zu geben. So haben bis Oktober 2021 laut „Ärzteblatt“ 11 der 17 deutschen Landesärztekammern in den vergangenen Jahren die Möglichkeit abgeschafft, dass Mediziner durch Fortbildungen eine sogenannte Zusatzbezeichnung Homöopathie erwerben können.
2020 hat die Bundesvertretung der Medizinstudierenden ein Positionspapier verabschiedet, in dem sie „die fehlende Evidenz für die Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen und Arzneimittel“ feststellt und den bestehenden Umgang mit der Homöopathie in der Arzneimittelzulassung, medizinischen Versorgung, Öffentlichkeit und der medizinischen Lehre kritisiert. Der Verein fordert, „die Sonderstellung der homöopathischen Arzneimittel im Arzneimittelgesetz genauso wie die Apothekenpflicht“ aufzuheben: Beides erwecke den Eindruck, Homöopathie sei eine wirksame Alternative – und stelle „eine Täuschung und damit potenzielle Gefährdung“ von Patienten dar. „Entgegen den Richtlinien der Bundesapothekerkammer werden homöopathische Präparate zum Teil als wirksame Alternative angeführt“, erklären die Medizinstudierenden, die Beratung in Apotheken stelle keine Garantie für eine evidenzbasierte Entscheidung dar. Sie sprechen sich auch für ein Ende der teils bestehenden Erstattung durch die Kassen aus. „Weiterhin sollte im Rahmen der ärztlichen Aus- und Weiterbildung eine kritische Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Grundlage mit der Thematik erfolgen.“
Pharmaziestudierende positionieren sich nicht
Auch eine Arbeitsgruppe des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden hat sich letztes Jahr mit der Homöopathie beschäftigt und ein Positionspapier erarbeitet, das jedoch nicht veröffentlicht wurde. Das Thema sei „ein sehr heikles“: Auch unter Pharmaziestudierenden sei es „leider umstritten“, erklärt ein Verbandsvertreter.
Nach der Weilheimer Apothekerin Iris Hundertmark ist der Apotheker Gregor Dinakis aus Euskirchen der zweite, der sich in letzter Zeit öffentlich von der Homöopathie verabschiedet hat. „Lange Zeit habe ich darüber nachgedacht, wie man es anstellt, keine Homöopathie anbieten zu müssen, ohne dass es zu größeren Brüchen mit der Klientel kommt“, sagt Dinakis. Er empfinde es als unethisch, wenn Apotheker Homöopathika abgeben, um vermeintliche Bedürfnisse zu befriedigen – ohne über den Placebocharakter aufzuklären. Die allermeisten Kunden hätten seine Entscheidung positiv aufgenommen, auf Homöopathie in seiner Apotheke zu verzichten, sagt Dinakis.
Stand: 3. Februar 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2022 / S.25
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