Was hilft Schwangeren bei Übelkeit?
Keine leichte Wahl
Ungefähr drei von vier Frauen ist zu Beginn der Schwangerschaft oft übel, jede zweite Schwangere muss sich hin und wieder übergeben. Ein schwacher Trost mag sein, dass die Beschwerden meist im 4. oder 5. Monat von selbst zurückgehen.
Den meisten Frauen ist es heutzutage klar, dass sie in der Schwangerschaft ein Medikament nur ausnahmsweise oder nur in Abstimmung mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin einnehmen sollten. Besser ist es, Übelkeit und Erbrechen anders anzugehen. Manchmal reicht es schon, die Ernährung umzustellen und die täglichen Mahlzeiten auf viele kleine (fettarme) Portionen über den Tag zu verteilen. Wenn bereits der Geruch bestimmter Speisen Übelkeit auslöst, dann sollten Sie diese erst gar nicht zubereiten oder essen. Manchmal kann es auch helfen, sich gezielt abzulenken, das Problem Übelkeit wegzuschieben und dann zu essen, wenn es am besten vertragen wird. Akupunktur und Akupressur scheinen wenig hilfreich zu sein: Ein Nutzen bei Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft ließ sich in Studien weder im Vergleich zu einer Scheinbehandlung noch im Vergleich zu Frauen ohne jegliche Behandlung belegen. Wann Arzneimittel? Hilft sonst nichts und sind Übelkeit und Erbrechen stark beeinträchtigend, kann versucht werden, die Beschwerden mit Arzneimitteln zu lindern. Aber welches ist geeignet? Unglaublich, aber wahr: Es gibt in Deutschland kein einziges Medikament, das ausdrücklich zur Linderung von Erbrechen in der Schwangerschaft zugelassen ist.
Im Grunde weiß man nämlich über die Risiken der verwendeten Präparate recht wenig. Die Gründe sind nachvollziehbar: Schwangere Frauen werden bei der Erprobung von Arzneimitteln – auch gegen Erbrechen – in aller Regel aus klinischen Studien ausgeschlossen, weil man – bis zum Beweis des Gegenteils – negative Auswirkungen auf das werdende Kind befürchtet. Da aber manche der Arzneimittel, die Schwangerschaftserbrechen lindern können, seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, gibt es inzwischen einige Erfahrungen. Wichtig ist vor allem die Sicherheit der brechreizlindernden Mittel: Wie groß ist die Gewissheit, dass sie dem werdenden Kind nicht schaden? Die Beipackzettel helfen in dieser Fragestellung überhaupt nicht weiter. Selbst bei Arzneimitteln, die empfehlenswert sind, lesen Schwangere eventuell in der Packungsbeilage, dass dieses Präparat in der Schwangerschaft nicht eingenommen werden darf – eine juristische Absicherung der Hersteller. Besonders verwirrend ist die Situation bei Doxylamin.
Dieses Antihistaminikum1 kann Schwangerschaftserbrechen lindern, ist in Deutschland dafür aber nicht zugelassen, sondern nur als Schlafmittel erhältlich. Das ist misslich, denn deshalb müssen Schwangere das Mittel außerhalb der zugelassenen Anwendung einnehmen. Normalerweise rät GPSP von einem solchen „off-label“ Gebrauchab. Aber in diesem Fall gibt es keine besseren Alternativen. Im Folgenden beschreiben wir, welche Vor- und Nachteile die Arzneimittel haben, die bei Erbrechen in der Schwangerschaft in Frage kommen.2
Rezeptfreie Mittel
Antihistaminika:1 Relativ gut untersucht ist das rezeptfreie Antihistaminikum Doxylamin.3 In Kanada beispielsweise ist es in Kombination mit Vitamin B6 bei Erbrechen in der Schwangerschaft zugelassen. Nicht aber bei uns: Hierzulande wird es nur als Schlafmittel angeboten (z.B. Sedaplus®). In Betracht kommen auch Dimenhydrinat3 (Vomex®, Generika) und Diphenhydramin3 (Emsan®, Generika). Diphenhydramin und Dimenhydrinat kommen in den letzten Wochen vor der Entbindung oder falls eine Frühgeburt droht, allerdings nicht in Frage, da sie möglicherweise Wehen fördern. Fehlbildungen scheinen diese älteren Antihistaminka nicht zu verursachen. 2, 4
Vitamin B6 wirkt nur schwach. Es kann zwar Übelkeit verringern, schützt jedoch nicht vor Erbrechen. Eine Gefährdung, Fehlbildungen auszulösen, besteht offenbar nicht.
Ingwer dient in asiatischen Ländern traditionell als Hausmittel gegen Übelkeit. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA erachtet Ingwer als sicher, wenn Schwangere es als Speisegewürz verwenden. Ob Ingwerextrakte beziehungsweise Ingwerpulver (Zintona® u.a.) ähnlich wie frische Ingwerwurzel zu bewerten sind, bleibt jedoch offen. Bei einigen Studien im Ausland scheinen diverse Ingwerzubereitungen wirksam gewesen zu sein. Sie sind aber mit den hierzulande angebotenen Präparaten nicht direkt vergleichbar. Zumindest in einer kleinen Studie mit knapp 200 schwangeren Frauen, die Ingwer in der einen oder anderen Form konsumiert hatten, ließ sich kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko erkennen. Es fehlen bislang größere Studien.
Rezeptpflichtige Präparate
Metoclopramid oder Ondansetron kann der Arzt verordnen, wenn die oben genannten Mittel nicht helfen und das Erbrechen sehr stark ist. Diese Präparate sollten Sie jedoch nur ausnahmsweise verwenden: Zwar ist ihr Nutzen bei schwerem Erbrechen gut untersucht, insbesondere Ondansetron jedoch weniger gut bei Schwangeren. Selten leiden Frauen unter unerwünschten Wirkungen wie Störungen des Bewegungsablaufes mit Muskelverkrampfungen durch Metoclopramid. Bei Übelkeit in der Schwangerschaft sollten Sie ausprobieren, Ihre Ernährung anzupassen und beispielsweise viele kleine, fettarme Portionen über den Tag zu verteilen. Alles, was die Übelkeit verstärkt, sollten Sie bewusst meiden und versuchen, sich abzulenken. Bleibt dies erfolglos und ist Ihr Leidensdruck stark, kommt ein Arzneimittel in Frage – in möglichst geringer, aber wirksamer Dosierung und für möglichst kurze Zeit. Nach unserer Einschätzung eignet sich am besten das seit Jahrzehnten bewährte Doxylamin, das in Deutschland nur als Schlafmittel im Handel ist.2, 4
Stand: 1. Dezember 2010 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2010 / S.04