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© Gimmerton iStock

Hyposensibilisierung bei Erdnuss-Allergie: Mehr Schaden als Nutzen?

Kontroverse Diskussion um Vorteile und Risiken des Medikaments

In der frühen Nutzenbewertung ist ein neues Medikament gegen Erdnuss-Allergie durchgefallen. Die Datenlage ist insgesamt aber unbefriedigend.

Seit Oktober 2021 steht in Deutschland ein Mittel zur Hyposensibilisierung für Kinder und Jugendliche ab vier Jahren bei Erdnuss-Allergie zur Verfügung. Die Idee dahinter: Betroffene nehmen das gemahlene Erdnusspulver in sehr kleinen, sich langsam steigernden Mengen zu sich, so dass sich der Körper an Erdnüsse gewöhnt. Dadurch soll das Risiko sinken, dass es zu allergischen Reaktionen kommt oder diese leichter ausfallen, wenn die Betroffenen versehentlich Erdnüsse oder Spuren davon essen.

Bislang gab es nur die Option, Erdnüsse so gut wie möglich zu vermeiden und bei einem allergischen Schock Notfallmedikamente einzusetzen. Ist das neue Mittel dann eine zusätzliche Hilfe? Mit dieser Frage hat sich die frühe Nutzenbewertung beschäftigt.

Nutzen nicht belegt

Das Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)1 kommt jedoch zu einem ernüchternden Urteil: In den beiden Studien, die der Nutzenbewertung zugrunde liegen, ließ sich nach IQWiG-Einschätzung kein Vorteil der Hyposensibilisierung feststellen. Allergische Reaktionen beim versehentlichen Verzehr von Erdnüssen waren mit und ohne das Präparat gleich häufig.

Lediglich im Provokationstest, also bei absichtlichem, ärztlich überwachtem Verzehr von Erdnüssen, reagierten die Teilnehmenden mit Hyposensibilisierung seltener und weniger schwer. Sicher sind diese Ergebnisse aber nicht, da die vertragene Menge von weiteren Umständen abhängt und zudem von Tag zu Tag schwanken kann.2

Womöglich mehr Schaden

Außerdem ist es unklar, ob der gemessene Unterschied für Betroffene im Alltag tatsächlich relevant ist. Denn gleichzeitig traten in der Gruppe, die sich der Hyposensibilisierung unterzogen hat, deutlich mehr allergische Reaktionen auf. Die Beschwerden wurden im Laufe der Behandlung auch nicht weniger. Außerdem war die Hyposensibilisierung in den Studien nicht besonders gut verträglich, etwa zehn Prozent der Teilnehmenden schieden vorzeitig wegen Nebenwirkungen aus. Aussagekräftige Daten zur Lebensqualität fehlen.

Das IQWiG zog daraus die Schlussfolgerung, dass Betroffene von dem neuen Präparat nur Nachteile, aber keine Vorteile haben. Hinzu kommt, dass die Behandlung dauerhaft fortgesetzt werden muss und die Betroffenen trotz Hyposensibilisierung weiterhin Erdnüsse so gut wie möglich meiden müssen.

Welcher Knabber­kram kann Spuren von Erdnüssen enthalten? © carotour iStock

Untersuchungen zu Nutzen und Risiken liegen bisher nur über einen Zeitraum von zwei Jahren vor. Was nach dem Absetzen des Medikaments passiert, ob also zum Beispiel der Effekt anhält oder allergische Reaktionen danach häufiger werden, ist bislang nicht untersucht.

Besser nicht?

In der abschließenden Bewertung hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) angesichts der bestehenden Unsicherheiten mögliche Vorteile des Medikaments etwas stärker und mögliche Nachteile etwas weniger stark gewichtet. Dennoch konnte der G-BA in der Zusammenschau insgesamt keinen Zusatznutzen feststellen.1
Angesichts des unbelegten Nutzens und der häufigen allergischen Reaktionen rät auch das arznei-telegramm® von dem Mittel zur Hyposensibilisierung ab.3

 

Mehr Risiko als Nutzen?

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2022 / S.19