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© Zametalov/iStock

Heilerde: Wirkung nicht belegt

Heilerde hat sich als „Naturarznei“ einen Namen gemacht. Sie wird seit Jahrzehnten gegen zahlreiche Beschwerden verwendet. In der Regel wird Heilerde als einfaches Medizinprodukt verkauft. Nur zur Behandlung von säurebedingten Magenbeschwerden hat es eine eher dubiose Zulassung als Arzneimittel. Der Nutzen von Heilerde ist bis heute nicht durch überzeugende Studien gesichert.

Die Auswahl ist groß: In Form von Kapseln, Pulver oder Granulat soll Heilerde angeblich eine ganze Palette von Beschwerden lindern können – von Insektenstichen über Hautprobleme bis Sodbrennen.

Bei dem Ausgangsstoff handelt es sich um Löss, eine gelbliche Erde. Für den Verkauf als Heilerde wird er aus natürlichen Vorkommen abgebaut, mit Hitze getrocknet und fein gemahlen. Löss besteht hauptsächlich aus Silikatkristallen, die die Eigenschaft haben, andere Stoffe an sich zu binden.

Heilerde: Auf der Haut

Vermarktet wird Heilerde unter anderem zur kosmetischen Behandlung von unreiner Haut und Pickeln in Form von Gesichtsmasken. Sie zieht sich beim Trocknen zusammen, was angeblich die reinigende Wirkung verstärkt. Zuverlässige Studienergebnisse finden wir nicht.

Stattdessen gibt es werbende Befragungen: Die Firma Luvos hat Anwendern eine gebrauchsfertige Heilerde mit Jojobaöl für Gesichtsmasken geschenkt und sie nach Vor- und Nachteilen der Hautanwendung gefragt. Begleitet hat diese Befragung die Abteilung für Naturheilkunde der Berliner Universitätsklinik Charité. Die Ergebnisse sind online im „Kompendium Dermatologie“ nachzulesen.1 Das ist eine Beilage, die in Wirklichkeit Werbung ist und worin diverse Neuigkeiten in Sachen Haut unkritisch verbreitet werden. Die Auswertung mit dem dubiosen Titel „Prospektive Fernstudie …“ füllt in der Beilage eine magere Seite.

Von den 175 Personen, die den Fragebogen beantwortet hatten, bewerteten demnach 80% Empfindung, Hautgefühl und Wirksamkeit der Heilerde als gut oder sehr gut. Allerdings haben weitere 75 Personen keinen Fragebogen zurückgeschickt.  Ein anderer vom Hersteller gesponserter Test 2 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Ärzte haben die Patienten allerdings überhaupt nicht gesehen. Es handelt sich also um Selbsteinschätzungen der Betroffenen. Eine seriöse wissenschaftliche Studie sieht anders aus.

Auch Muskel- und Gelenkschmerzen, Entzündungen oder Insektenstiche werden äußerlich mit Heilerde behandelt (Wickel mit kalter oder warmer Erde). Dass sie die Beschwerden lindern können, ist denkbar. Aber Belege suchen wir vergebens.3

Erde zum Schlucken

Besonders kompliziert ist es, die postulierte Heilwirkung bei der inneren Anwendung zu bewerten. Für zwei seiner vielen Produkte hat der Hersteller Luvos eine Zulassung als „traditionelles Arzneimittel“ erreicht. Luvos® Heilerde soll – als Pulver angerührt und getrunken – Sodbrennen, säurebedingte Magenbeschwerden und Durchfall lindern. Nach heutigen Kriterien der evidenzbasierten Medizin ist ein Nutzen trotz der formal erfolgten Zulassung nur unzureichend belegt (siehe Kasten).

Viele Menschen leiden unter dem Reizdarmsyndrom. Dazu ließ der Hersteller Luvos eine Anwendungsbeobachtung mit Heilerde durchführen. Auch diese wurde von der Abteilung für Naturheilkunde an der Berliner Charité betreut. Und sie wurde ebenfalls nicht in einer guten Fachzeitschrift veröffentlicht, sondern im „Kompendium Gastroenterologie“ – einer Beilage, die damit wirbt: „Auch Forschungsergebnisse aus der Industrie werden hier vorgestellt.“4

An dieser kleinen Studie nahmen Personen mit Reizdarmbeschwerden teil. Sie schluckten über 6 Wochen Heilerde und wurden nach ihrer Selbsteinschätzung befragt. Möglicherweise verbesserte sich das Befinden allein durch die positive Erwartungshaltung der Patienten. Der Nutzen der Heilerde ist fraglich, da sie nicht mit einem Scheinmedikament (Placebo) verglichen wurde.

Fraglich ist auch, welcher Wirkmechanismus die Magen-Darm-Beschwerden überhaupt lindern soll. Behauptet wird unter anderem, dass die Heilerde im Magen überschüssige Säure bindet. Das klappt im Laborversuch. Allerdings lassen sich daraus keine Rückschlüsse auf die Wirkung im menschlichen Körper ziehen.

Behauptet wird zudem, die Heilerde könne „Substanzen mit pathologischem Potential binden“5 – hierbei bleibt aber völlig unklar, um welche es Substanzen es sich handeln soll.6

Entgiften mit Heilerde?

Besonders zweifelhaft ist es, Heilerde als Mittel für eine Art innere Reinigung zu bewerben. So empfiehlt Luvos ein Heilerdeprodukt zur „Entgiftung für mehr Energie und Wohlbefinden“.7 Ähnlich formuliert auch die Marke Bullrich: Wer „ganzheitlich gesundheitsbewusst“ leben wolle, könne seinen Körper in regelmäßigen Abständen mithilfe von Heilerde „entgiften“, um den Darm „zu sanieren“.8

Das Konzept einer „Entgiftung“ ist höchst fragwürdig – wenn auch im Volksglauben verankert. Dass Tonmineralien unter Laborbedingungen verschiedene Substanzen binden können, ist bekannt. Dass eine regelmäßige oder gar tägliche Anwendung von Heilerde der Gesundheit dient, ist jedoch nicht belegt und auch unwahrscheinlich.

Luvos wirbt ferner, seine Heilerde könne Cholesterin binden und die Bildung von Ablagerungen in den Blutgefäßen verringern.9 Und auch auf der Internetseite der Konkurrenzmarke Bullrich heißt es vollmundig: Durch „die Bindung von Fetten und Cholesterin aus der Nahrung“ unterstütze Bullrichs Heilerde eine fett- und cholesterinreduzierte Ernährung „auf ideale Art und Weise“. Untersucht wurde die cholesterinbindende Eigenschaft der Heilerde allerdings im Labor. Welche Wirkung sie im menschlichen Verdauungstrakt entfaltet, ist nicht bekannt. Wenn es nachweisbar wäre, dass Heilerde den Cholesterinspiegel wirksam senken kann oder gar Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugt, gäbe es Löss-Produkte längst als zugelassenes Arzneimittel.

Unerwünschte Wirkungen

Während positive Effekte von Heilerde fraglich sind, sind Nebenwirkungen und vor allem Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten offenkundig. So kann es zum Darmverschluss kommen, wenn Heilerde ohne ausreichend Flüssigkeit geschluckt wird. Wird Heilerde dauerhaft eingenommen, können die enthaltenen Silikate sehr selten eine Nierenentzündung auslösen. Schwangere sollten auf die innere Anwendung wegen des hohen Aluminiumgehalts verzichten. Am besten sollte man Heilerde nicht gleichzeitig mit Medikamenten einnehmen, oder lässt dazwischen zumindest mehrere Stunden vergehen. Sonst kann die Erde Arzneiwirkstoffe binden, sie gelangen nicht ins Blut und bleiben wirkungslos.

Heilerde: Was bleibt?

Wer Heilerde ausprobieren will, um sein Hautbild bei Pickeln und Unreinheiten zu verbessern, kann das tun. Dass die innere Anwendung Magen-Darm-Beschwerden wirksam lindert, ist unzureichend belegt. Doch bei anhaltenden Beschwerden ist es vor allem wichtig, die Ursache ärztlich abzuklären.

Von einer täglichen Einnahme der Heilerde zur „Entgiftung“ raten wir ab, da dieses Konzept nicht plausibel ist. Schließlich sollten Sie nicht erwarten, dass Heilerde den Cholesterinspiegel wirksam senken und dadurch die Herzgesundheit fördern kann. Wer einen erhöhten Cholesterinspiegel hat, sollte sich von einem Arzt oder einer Ärztin beraten lassen.

Placebo GPSP 3/2012, S. 3

Hohes Cholesterin GPSP 4/2007, S. 3

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2016 / S.08