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Händedesinfektion im Büro

Unsinnige Hygiene

Muss immer und überall desinfiziert werden? Eine sachliche Diskussion ist notwendig. Schlechte Studien – im Auftrag der Hersteller von Desinfektionsmitteln – führen dabei in die Irre.

Der Tod frühgeborener Babys, die mit Bakterien verseuchte Infusionslösungen erhalten hatten, hat erneut eine Debatte über Hygienemängel angeregt. Zu erwarten ist, dass diese Debatte die Bakterienangst in der gesunden Bevölkerung schürt und viele Menschen ihr Heil bei Desinfektionsmitteln suchen.

Manche Informationen kommen da den Anbietern von Desinfektionsmitteln gerade recht, vor allem, wenn sie vom Informationsdienst Wissenschaft (idw), den unzählige Journalisten nutzen, in die Medienwelt transportiert werden: „Die Desinfektion der Hände am Arbeitsplatz schützt nachweisbar vor weit verbreiteten und wiederkehrenden Masseninfektionen. Das belegt eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Greifswald.“

Ob eine Studie etwas belegen kann, hängt wesentlich davon ab, mit welchen Methoden sie durchgeführt wird (siehe auch S. 13). In diesem Fall wurden Behördenangestellte in Greifswald und Umgebung gefragt, ob sie an einer Studie zur Wirkung vorbeugender Desinfektion teilnehmen wollen.

Eine Hälfte der 134 Teilnehmer sollte sich mindestens fünfmal während der Arbeitszeit mit einer Desinfektionslösung die Hände waschen. Die andere nicht. Am Monatsende sollten sie selbst ausfüllen, ob sie Husten, Schnupfen oder Fieber gehabt hatten und ob sie nicht zur Arbeit gehen konnten.

Problem Nummer 1:

Die so genannte Kontrollgruppe machte gar nichts anders als bisher. Nichts. Dabei weiß man, dass einfaches Händewaschen die Übertragung von Erregern unterbinden kann – weshalb es zu Zeiten der Schweinegrippe empfohlen wurde (GPSP 5/2009 S. 3). Warum also wurde hier nicht wenigstens eine nützliche, kostengünstige Methode gegen eine kostspieligere getestet? Also: Mindestens fünfmal gründlich Hände waschen im Vergleich mit Händedesinfektion?

Problem Nummer 2:

Wenn es irgend geht, sollten Studien verblindet sein. Das heißt, die getestete Person darf nicht wissen, mit welchem Mittel sie behandelt wird oder ob sie zur Kontrollgruppe gehört. Und alle anderen, die an der Studie beteiligt sind, erfahren dies auch nicht. So will man ausschließen, dass der Behandelte sich durch ein Medikament oder Desinfektionsmittel auf der sicheren Seite fühlt und ein Arzt Krankheitszeichen als weniger schwerwiegend einschätzt. Warum wurde also nicht mit einer ähnlich aussehenden und riechenden Plazebolösung verglichen?

Problem Nummer 3:

Wer nicht nur die Kurzfassung vom idw für die Presse liest, sondern den eigentlichen Fachartikel, der findet am Ende unter der Rubrik „Interessenkonflikte“, dass einer der Autoren Angestellter von Bode Chemie ist und zwei Autoren zuvor Forschungsgelder von Bode Chemie erhalten haben. Kein Wunder, dass die getesteten Desinfektionslösungen inklusive Spender von selbiger Firma stammten.

Problem Nummer 4:

Es ist nicht anzunehmen, dass die Schreiber des Artikels einfach vergessen haben, auf die unangenehmen Wirkungen von Händedesinfektionsmitteln zu sprechen zu kommen. Jeder Sechste wechselte zu einer anderen Desinfektionslösung – von Bode. Nicht aus Spaß, sondern weil er die erste nicht vertrug.

Darum: Nehmen Sie die Botschaft aus Greifswald nicht ernst! Um die Gefahr einer Ansteckung zu verringern, genügt es in der Regel, sich öfter die Hände zu waschen und zu erkrankten Personen, die husten, niesen oder Schnupfen haben, Distanz zu wahren. Das gilt im Privatleben wie am Arbeitsplatz. In Kliniken allerdings ist die regelmäßige Händedesinfektion für Pflegekräfte und Ärzte ein Muss – und ein Nutzen der Desinfektionslösungen gesichert.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2010 / S.03