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Unfassbar transparent

2019 haben Pharmaunternehmen 629 Millionen Euro an Ärztinnen und Ärzte in Deutschland verteilt.1 An Patientenorganisationen flossen weitere 7,1 Mio. Euro. Das lässt uns der Interessenverband Vfa unter der Überschrift „Transparentes Gesundheitswesen nimmt Gestalt an“ wissen.2,3 Wofür solch ein Geldsegen? „Firmen sind auf Rückmeldungen von Patienten und Ärzten angewiesen, um neue Arzneimittel zu entwickeln. Umgekehrt geben sie wissenschaftliche Erkenntnisse weiter, die der medizinischen Praxis helfen.“3 Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn die Lobby weiß: „Kooperation steht für Qualität, und es spricht viel dafür, transparent zu machen, wie Fortschritt im Gesundheitswesen abläuft.“2

Aha. Medizinischer Fortschritt entsteht also folgendermaßen: Eine Pharmafirma bezahlt einen Arzt dafür, in ihrem Auftrag vor anderen Ärzten auf Kongressen oder in schicken Seminaren einen Vortrag zu halten? Und was genau soll dadurch, bitteschön, Gestalt annehmen?

Mehr Transparenz kann der Vfa jedenfalls nicht meinen: Nicht einmal jeder fünfte der Ärzte, die Gelder von der Pharmaindustrie beziehen, hat einer Veröffentlichung seines Namens zugestimmt. Die Bereitschaft, sich als Zahlungsempfänger zu outen, ist nicht nur jämmerlich niedrig, sondern jedes Jahr erklären sich immer weniger Ärztinnen und Ärzte mit der Veröffentlichung ihres Namens einverstanden. Dieses Jahr soll übrigens Corona daran schuld sein.

Wer ein gutes Gedächtnis hat, erinnert sich: Vor einigen Jahren war eine gesetzliche Offenlegungspflicht der Geldflüsse von der Industrie an Ärzte geplant, um der verdeckten Beeinflussung im Gesundheitswesen Einhalt zu gebieten. Die Pharmalobby hat das mit ihrer lückenhaften freiwilligen Veröffentlichungs-Initiative verhindert. Es wäre vielleicht doch an der Zeit, über schärfere Maßnahmen nachzudenken, statt sich mit Scheintransparenz abspeisen zu lassen. Hier könnte man sich mal die USA als Vorbild nehmen: Dort müssen die Medikamentenhersteller seit mehreren Jahren jede Zahlung an Ärzte ab 5 US-Dollar offenlegen. Und jeder kann die Zahlungen nachlesen – in einer öffentlich zugänglichen staatlichen Datenbank. Das soll schon manchen Doktor dazu veranlasst haben, auf Geld von Big Pharma lieber ganz zu verzichten.

Noch einen Vorteil preist der Industrieverband in seiner aktuellen Veröffentlichung an: Die Zahlungen an Ärzte und Patientenorganisationen werden ab jetzt gleichzeitig veröffentlicht.4 Im Klartext heißt das, die Zahlungen an Patientenorganisationen werden jetzt erst zum 1. Juli des folgenden Jahres offengelegt, statt wie bislang schon im Frühjahr. Ein echter Transparenzgewinn! Es war bislang ja auch viel zu verwirrend, zweimal im Jahr durch den Vfa informiert zu werden.

Aber wir wollen nicht nur meckern. Immerhin hat der Vfa es geschafft, nach elf Jahren (!) eine leidlich durchsuchbare Datenbank über Zahlungen an Patientenorganisationen aufzubauen. So kann man jetzt zum Beispiel relativ schnell erkennen, dass manche Organisation von Pharmafirmen 100.000  Euro und mehr kassiert hat.5 Früher musste man mühsam die Listen jedes einzelnen Herstellers durchforsten und die Summen addieren. Will man etwas über die jeweiligen Ärzte herausfinden, gilt die Mühe nach wie vor. Und Ärzte können sich gegen eine Veröffentlichung wehren – Patientenorganisationen dagegen nicht. Irgendwie doch ungerecht, oder?

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2020 / S.18