Das kann tödlich enden
Wenn Arzneimittelstudien Geheimsache sind
Werden die Ergebnisse klinischer Studien in der Veröffentlichung verfälscht, kann das dramatische Folgen haben: Vor 15 Jahren wurde eine Studie publiziert, die dem Antidepressivum Paroxetin eine positive Wirkung bei Jugendlichen bescheinigte. Eine erneute Auswertung der Daten deckt jetzt auf, dass der Hersteller damals die Ergebnisse einfach umgedreht hatte: von unwirksam zu wirksam, von gefährlich zu sicher.
2001 wurden die Ergebnisse der von Glaxo Smith Kline (GSK) gesponserten „Studie 329“ in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Dort heißt es: „Paroxetin ist für Jugendliche im Allgemeinen gut verträglich und effektiv gegen schwere Depression.“1 Der Hersteller warb daraufhin mit der „bemerkenswerten Wirksamkeit und Sicherheit“ bei Jugendlichen.2 Die „Studie 329“ befeuerte die Verschreibung, obwohl das Medikament gar nicht zur Behandlung dieser Altersgruppe zugelassen war.3
Unabhängige Wissenschaftler äußerten schon kurz nach Veröffentlichung der Studie Zweifel an der Korrektheit der Darstellung.4 Und mit der ganzen Sache lag wirklich einiges im Argen: Hauptautor der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift war Professor Martin Keller von der Brown University (USA). Tatsächlich hatten aber weder er noch ein anderer der insgesamt 22 Personen, die als Autoren genannt waren, den Artikel verfasst, sondern ein von der Firma bezahlter Ghostwriter.2
Wahrheitsfindung
Lange Zeit ließ sich die Manipulation der Studienergebnisse aber nur in Ansätzen erkennen. Denn Originaldaten waren und sind meist Eigentum des Herstellers des Medikaments und werden geheim gehalten. Doch kürzlich konnten unabhängige Wissenschaftler die Daten der „Studie 329“ erneut auswerten. Möglich wurde das, nachdem die Firma GSK in den USA vor Gericht gekommen war, weil sie Paroxetin für Jugendliche beworben hatte. Weitere Vergehen kamen dazu. Am Ende musste der Arzneimittelriese 2012 nicht nur drei Milliarden US-Dollar Strafe zahlen, sondern im Rahmen des Gerichtsverfahrens eben auch den vollständigen Studienbericht offenlegen.
Da es in der Darstellung der unerwünschten Wirkungen von Paroxetin Ungereimtheiten gab, verlangten die Autoren der Neuauswertung auch die individuellen Patientendaten, die natürlich anonymisiert waren und blieben. GSK rückte diese letztlich heraus.
Seit Kurzem liegen die Ergebnisse der Neuanalyse vor: Paroxetin wirkt nicht besser als ein Placebo. Bei der Neuauswertung fiel auch auf, dass in der ursprünglichen Publikation mehrere Suizidversuche verharmlosend als „emotionale Labilität“ bezeichnet wurden. Während laut der ursprünglichen Veröffentlichung von Keller & Co. nur fünf Patienten, die Paroxetin eingenommen hatten, einen Suizid versuchten oder sich selbst verletzten, ermittelten die unabhängigen Autoren in der Paroxetingruppe jetzt elf Patienten, die sich so selbst in Lebensgefahr gebracht hatten.5 Bei den Patienten der Kontrollgruppe, die Placebo eingenommen hatten, waren es hingegen nur zwei.
Was folgt nun daraus? Bis heute wenig. Denn weder wurde die irreführende Veröffentlichung zurückgezogen, noch zog die Universität, bei der Martin Keller arbeitet, Konsequenzen. Auch die Fachgesellschaft, die die Zeitschrift mit der gefälschten Publikation herausgibt, reagierte nicht auf diese schwerwiegende wissenschaftliche Fehlleistung. Da aber die alte Veröffentlichung von Keller & Co. bis heute dutzende Male in anderen Fachpublikationen zitiert wurde und sogar als Basis für Behandlungsleitlinien dient,
wäre eine Richtigstellung enorm wichtig. Sonst werden Ärzte das Mittel weiter Kindern und Jugendlichen verordnen – im falschen Glauben an Wirksamkeit und Harmlosigkeit von Paroxetin bei dieser Altersgruppe.
Offene Karten – mehr Sicherheit
Es gibt nur eine Möglichkeit, solchen gefährlichen Manipulationen von Studien die Basis zu entziehen: die Geheimhaltung von Ergebnissen muss per Gesetz unterbunden werden. Denn Paroxetin ist keineswegs ein Einzelfall. Eine unabhängige Auswertung von 142 Studien zu sechs anderen Psychopharmaka – bei denen die klinischen Studienberichte zugänglich waren – ergab, dass 62 % der Todesfälle und 53 % der Suizide in der Veröffentlichung einfach unter den Tisch fielen.5
Durch eine EU-Verordnung müssen die Ergebnisse von klinischen Studien für neu zugelassene Medikamente jetzt vollständig veröffentlicht werden. Das gilt aber erst ab diesem Jahr, hilft also bei älteren Studien nicht. Außerdem ist der Zugang zu den anonymisierten, individuellen Patientendaten noch keineswegs gesichert. Vor allem drohen aktuelle Entwicklungen wie das geplante Handelsabkommen TTIP und die geplante EU-Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen6 alle bislang erreichte Transparenz infrage zu stellen. Dabei ist sie für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten so wichtig.
Stand: 25. April 2016 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2016 / S.17