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© Nikola Nastasic/ iStock

Aducanumab: FDA in der Kritik

Untersuchung zur Zulassung des Alzheimer-Mittels

Seit die FDA im Juni 2021 in einem umstrittenen Verfahren Aducanumab in den USA ­zugelassen hat,1 sind weitere Details zu möglichen Unregelmäßigkeiten bei diesem ­Verfahren bekannt geworden. Inzwischen beschäftigt sich auch das US-Repräsentantenhaus mit den Vorwürfen.

Bremst Aducanumab tatsächlich den Krankheitsverlauf bei Alzheimer? Diese Frage steht im Zentrum der Kontroverse um die Entscheidung der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Denn die Studiendaten, auf denen die Zulassung beruht, sind keineswegs eindeutig: Ob das Mittel tatsächlich den Gedächtnisschwund aufhält und Menschen mit Alzheimer im Alltag nützt, lässt sich nach Einschätzung von Fachleuten nicht sicher sagen. Andererseits gibt es aber erhebliche Risiken wie Gehirnblutungen.

Statistiker waren dagegen

Aus diesem Grund hatte ein externes Expertengremium empfohlen, Aducanumab nicht zuzulassen. Die FDA hatte sich jedoch anders entschieden – auch gegen das Votum der eigenen biostatistischen Abteilung, wie nach der Veröffentlichung der Zulassungsunterlagen bekannt wurde. Die Statistiker:innen waren der Ansicht, dass die vorgelegten Studiendaten nicht für eine Zulassung ausreichen, wurden aber von den anderen Fachabteilungen überstimmt.2

Unter Rechtfertigungsdruck

Inzwischen haben die Vorgänge in der Behörde auch einen Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses auf den Plan gerufen. Die Abgeordneten zeigten sich in einem Schreiben an die FDA besorgt über die offensichtlichen „Anomalien“ im Zulassungsprozess und vor allem über die „unübliche Zusammenarbeit“ zwischen der FDA und dem Anbieter Biogen. Der Ausschuss hatte die FDA bereits Ende Juli 2021 zu einer Anhörung eingeladen, dabei waren aber noch zahlreiche Fragen offengeblieben. Jetzt soll die Zulassungsbehörde noch umfangreiche Dokumente nachliefern. Diese sollen nicht nur über die Interpretation der wissenschaftlichen Daten Aufschluss geben, sondern auch über die Kooperation mit Biogen. Der Ausschuss verlangt zudem Begründungen, warum die FDA in einigen Punkten von ihren eigenen Zulassungsregeln abgewichen ist. Von Biogen hat das Repräsentantenhaus ebenfalls entsprechende Unterlagen angefordert.3

Unter öffentlichem Druck hatte zuvor die kommissarische Leiterin der FDA, Janet Woodcock, die übergeordnete Aufsichtsbehörde im Gesundheitsministerium um eine offizielle Überprüfung der Zulassungsprozesse bei Aducanumab gebeten. Mit Ergebnissen wird aber erst 2023 gerechnet.

Erwarteter Dammbruch

Wie von Fachleuten befürchtet, setzt die Zulassung von Aducanumab bedenkliche Maßstäbe. So wurde bekannt, dass die FDA inzwischen zwei weitere Medikamente mit ähnlichem Wirkungsmechanismus als vielversprechend („breakthrough therapy“) eingestuft hat: Das Prüfungsverfahren wird beschleunigt und die wissenschaftlichen Anforderungen gesenkt.4
Die Werbemaschine für Verbrau­cher:innen ist bereits angelaufen: Biogen hat eine Kampagne gestartet, die auf Frühzeichen einer Alzheimer-Erkrankung hinweisen soll. Das Medikament selbst wird dabei zwar nicht benannt. Das ist aber auch gar nicht nötig, da kein anderes Mittel für diesen Zweck zugelassen ist. Auf der zugehörigen Website finden sich – wie bei solchen „disease awareness“-Kampagnen üblich – Krankheitsübertreibungen und ein Symptom-Checker. Egal wie man dort auf die Fragen antwortet, auf jeden Fall kommt der Rat, doch die eigenen geistigen Fähigkeiten ärztlich überprüfen zu lassen.5

Aducanumab
GPSP 5/2021, S. 8

Disease awareness
GPSP 1/2015, S. 28

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2021 / S.10