Duogynon: Was wusste das Bundesgesundheitsamt?
Neue Untersuchung zum Hormonpräparat Duogynon
Das Hormonpräparat Duogynon wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren als Schwangerschaftstest genutzt. Bis heute steht es im Verdacht, Fehlbildungen ausgelöst zu haben. Anerkennung und finanzielle Unterstützung für Betroffene gibt es bislang nicht. Ein neues Forschungsprojekt soll jetzt die Rolle der damaligen Aufsichtsbehörde klären.
Als es noch nicht die heute üblichen Schwangerschaftstests gab, wurde Frauen, bei denen die Regelblutung ausgeblieben war, das Hormonpräparat Duogynon verschrieben. Waren sie nicht schwanger, setzte die Blutung wenige Tage nach der Einnahme ein. Allerdings gab es bald den Verdacht, dass das Mittel bei Schwangeren möglicherweise zu Fehlbildungen des ungeborenen Kindes führen könnte.1 Ob tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, blieb jedoch umstritten und ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
Hinweise ignoriert?
Allerdings gab es schon in den frühen 1960er-Jahren Hinweise auf mögliche Probleme des „hormonellen“ Schwangerschaftstests, und schon 1971 (!) warnte unsere Mutterzeitschrift arznei-telegramm® vor dem Mittel.2
Der Hersteller Schering hatte jedoch erst 1973 auf das Anwendungsgebiet Schwangerschaftstest verzichtet und darüber hinaus Ärztinnen und Ärzte nur unzureichend informiert. Umstritten ist auch die Rolle, die die damalige Aufsichtsbehörde, das Bundesgesundheitsamt (BGA), in der Angelegenheit spielte.3
Neue Aufarbeitung
Betroffene mit Fehlbildungen, deren Mütter in der Frühschwangerschaft Duogynon eingenommen hatten, haben bis heute weder Anerkennung noch Entschädigung erhalten, anders als etwa Contergan-Geschädigte.
Es sieht aber so aus, als ob langsam Bewegung in die Sache kommt: In Großbritannien, wo das Hormonpräparat unter dem Namen Primodos bis 1970 als Schwangerschaftstest zugelassen war, hatte eine Gruppe Betroffener vor vier Jahren nach langem Protest erreicht, dass ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde. Ein Bericht des Ausschusses wurde im Juli 2020 veröffentlicht.4
Das Fazit: Obwohl ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Hormonpräparat und den Fehlbildungen nicht zweifelsfrei erwiesen ist, hätten die Hinweise auf mögliche Risiken bereits 1967 ausgereicht, um den Einsatz als Schwangerschaftstest zu untersagen – zumal es zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit gab, Schwangerschaftstests mit Blut oder Urin durchzuführen. Der Bericht weist außerdem darauf hin, dass die zuständige Behörde erst sehr spät Ärztinnen und Ärzte explizit über Hinweise auf mögliche Fehlbildungen informiert hat. Als problematisch werden auch das Vorgehen späterer Untersuchungskommissionen und Interessenkonflikte von beteiligten Experten eingestuft.
Die englische Regierung hat sich aufgrund des Berichtes bei den Betroffenen entschuldigt, die Einrichtung eines Entschädigungsfonds wird erwogen.
Und in Deutschland?
Das Magazin „Stern“ veröffentlichte 1978 den Titel „Tausend Kinder klagen an“. Passiert ist in Deutschland seitdem wenig, staatliche Untersuchungen und Klagen gegen den Hersteller sind im Sande verlaufen. 2019 haben 38 Bundestagsabgeordnete aller Parteien einen sogenannten Eilbrief an Bundeskanzlerin Merkel geschickt: Sie soll sich persönlich für eine umfassende Aufarbeitung des Falls „Duogynon“ einsetzen.5
Wie GPSP jetzt erfuhr, hat Gesundheitsminister Jens Spahn nun ein Forschungsprojekt gestartet: Im Mittelpunkt der Studie soll die Rolle deutscher Behörden in der Registrierung und laufenden Überwachung von Duogynon stehen. Untersucht werden soll vor allem, ob Verbindungen zwischen der damaligen Aufsichtsbehörde BGA und dem Hersteller Schering dazu geführt haben, dass Duogynon trotz Hinweisen auf mögliche Risiken nicht vom Markt genommen wurde.
Contergan
GPSP 4/2019, S. 8
Stand: 2. November 2020 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2020 / S.22