Zum Inhalt springen

Viel Lärm um nichts

Desinformation über die Notfallverhütung

Welches ist die bessere „Pille danach“: Ulipristal oder Levonorgestrel? Um diese Frage geht es immer wieder in der Werbung. Dabei scheut der Hersteller von Ulipristal auch nicht vor schlecht belegten Behauptungen zurück.

Seit 2015 sind einige Mittel zur Notfallverhütung – die „Pille danach“ – rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Seitdem tobt der Kampf um die Kundinnen. Kontrahenten sind ein Präparat mit dem Wirkstoff Ulipristal und diverse Mittel, die den Wirkstoff Levonorgestrel enthalten. Beide verzögern den Eisprung und können so in vielen Fällen verhindern, dass Spermien und eine befruchtungsbereite Eizelle aufeinandertreffen und die Frau schwanger wird. Für den Wirkstoff Levonorgestrel liegen umfangreiche Erfahrungen vor, für Ulipristal etwas weniger, da der Wirkstoff erst Ende 2009 auf den Markt kam.

Bessere Wirksamkeit nicht belegt

Über die Datenlage zur Wirksamkeit haben wir bereits berichtet: In den ersten 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr lässt sich kein eindeutiger Unterschied zwischen den Mitteln nachweisen. Ulipristal kann aber darüber hinaus bis zu 120 Stunden, also fünf Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, viele unerwünschte Schwangerschaften verhindern. Levonorgestrel ist nur für bis zu drei Tagen zugelassen.

Der Hersteller von Ulipristal betont jedoch sehr deutlich die vermeintlichen Vorteile des neueren Wirkstoffs. Mit solchen Behauptungen sehen sich nicht nur die betroffenen Frauen,1 sondern auch Fachleute konfrontiert. So wirbt der Hersteller in der pharmazeutischen Fachpresse etwa damit, dass Ulipristal „der Goldene Standard in der Notfallverhütung“ sei, weil das Präparat „auch in der fruchtbarsten Zyklusphase“ wirke.2 Ähnliche Behauptungen werden offensichtlich auch in Fortbildungen für Apothekenpersonal verbreitet. Eine unserer Mutterzeitschriften, das arznei-telegramm®, erreichte aus diesem Anlass die Anfrage eines Apothekers, ob es etwa neue Daten gebe, aus denen sich die Überlegenheit von Ulipristal ableiten ließe.3

© Thomas Kunz

Was Neues?

Die kurze Antwort lautet schlicht und ergreifend: Nein. Es gibt keine neuen Studien, die vergleichen, wie zuverlässig Ulipristal und Levonorgestrel unerwünschte Schwangerschaften verhindern. Für die Werbeaussagen zieht der Hersteller lediglich bereits bekannte Daten heran und interpretiert sie sehr großzügig zu seinen eigenen Gunsten.

Auch noch kurz vor dem Eisprung?

So heißt es etwa, dass Ulipristal – im Gegensatz zu Levonorgestrel – auch noch bis kurz vor dem Eisprung wirke. Wissenschaftlich gut abgesichert ist das jedoch nicht. So wurden in den Studien, die dieser Behauptung zugrunde liegen, die beiden Wirkstoffe nicht direkt miteinander verglichen. Auch wurde nicht erhoben, ob durch die Verzögerung des Eisprungs tatsächlich weniger Schwangerschaften entstehen. Deshalb dürfen diese Angaben in den USA auch nicht in den offiziellen Fachinformationen stehen, anders als in Europa.

Bei frühem Einsatz überlegen?

Auch dass Ulipristal in den ersten 24 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr dreimal wirksamer sei als Levonorgestrel, ist nicht überzeugend belegt. Die Behauptung stützt sich auf eine zusammenfassende Auswertung zweier Einzelstudien: Bei Einnahme der „Pille danach“ innerhalb von 24 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr berechnete das Autorenteam, dass von 1.000 Frauen trotz Einnahme von Levonorgestrel 23 schwanger wurden, mit Ulipristal dagegen nur 9. Großzügig aufgerundet wird damit die vermeintliche dreimal höhere Wirksamkeit begründet.

Allerdings wurde eine der beiden Studien mit einer höheren Dosis von Ulipristal durchgeführt. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat diese Studie jedoch nicht akzeptiert, da ihrer Einschätzung nach die Gleichwertigkeit mit der heute gebräuchlichen Ulipristal-Pille nicht belegt ist.

In der verbleibenden Studie konnte lediglich nachgewiesen werden, dass kein Unterschied zwischen Ulipristal und Levonorgestrel bestand. Dass Ulipristal wesentlich wirksamer wäre, ließ sich in der Studie dagegen nicht bestätigen.

Für beide Präparate gilt: Je früher sie nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden, desto eher wird eine unerwünschte Schwangerschaft verhindert.

Nachteile bedenken

Dabei gibt es einige Fakten, die gegen Ulipristal und für Levonorgestrel sprechen – zumindest, wenn seit dem ungeschützten Geschlechtsverkehr nicht mehr als 72 Stunden vergangen sind. So kann Ulipristal möglicherweise die Wirksamkeit der regulären „Pille“ und damit die nachfolgende Verhütung beeinträchtigen. Bei Levonorgestrel ist das nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht der Fall. In den USA enthält die Fachinformation von Ulipristal den Hinweis, dass die reguläre Pille erst frühestens fünf Tage nach Einnahme von Ulipristal weiter eingenommen werden darf.

Neuer und teurer

Für Selbstzahlerinnen4 dürfte auch der Preisunterschied eine Rolle spielen: Die „Pille danach“ mit Levonorgestrel kostet rund 14 Euro, für das Präparat mit Ulipristal werden dagegen knapp 34 Euro fällig. Interessanterweise vertreibt der Hersteller von Ulipristal auch selbst ein Präparat mit Levonorgestrel für die Notfallverhütung – und kannibalisiert mit der Werbung also auch sein eigenes Produkt. Das lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass die Marge bei Ulipristal offensichtlich so groß sein muss, dass die Gewinne aus den Ulipristal-Verkäufen die Einnahmeeinbußen bei dem anderen Mittel mehr als kompensieren.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2020 / S.10