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© lucato/ iStockphoto.com

Smartphone statt Pille?

Was Zyklus- und Verhütungs-Apps taugen

Immer mehr Frauen nutzen Apps, um Daten zu ihrem Zyklus zu verwalten oder Hinweise auf ihre fruchtbaren Tage zu bekommen. Sich blindlings auf die angezeigten Informationen zu verlassen, kann jedoch weitreichende Folgen haben.

Hormonelle Verhütungsmittel sind aktuell in der Kritik: Mögliche Nebenwirkungen diskutieren vor allem junge Frauen in den sozialen Medien. Die Debatte hat mittlerweile auch ihren Weg in die klassischen Medien und in die Fachwelt gefunden. Deshalb sind hormonfreie Verhütungsmethoden ein echtes Trendthema. Allerdings geht es hier schon lange nicht mehr nur um Diaphragma und Kondome. Derzeit sehr beliebt sind Zyklus- beziehungsweise Verhütungs-Apps, also kleine Programme für das Smartphone.

Vielfältige Angebote

Das App-Angebot ist groß: Sowohl für Android- als auch für Apple-Geräte werden in den jeweiligen App-Stores dutzende Treffer angezeigt, wenn frau nach „Zyklus App“ sucht. Scheinbar zielgruppengerecht sind die Designs meist rosa oder lila gehalten. Viele Apps gibt es gratis, andere kosten teilweise mehrere Euro im Monat. Beim genauen Hinsehen gibt es jedoch wesentliche Unterschiede zwischen den Apps.

Notizen oder mehr?

Eine Zyklus-App bietet zunächst genau das, was ihr Name verspricht: Die Frau kann ihren Zyklus damit erfassen, also in einer Kalender-Ansicht die Tage markieren, an denen sie ihre Menstruation hat. Die meisten Apps bieten darüber hinaus zahlreiche weitere Funktionen an. So kann frau andere Symptome und Ereignisse eintragen, beispielsweise wann sie Sex hatte, wann und wie sie verhütet hat oder wie ihre Stimmung war. Für den Fall einer Schwangerschaft bieten manche Apps auch Informationen zu den körperlichen Veränderungen bei der Mutter und der Entwicklung des Ungeborenen in der jeweiligen Schwangerschaftswoche an.

Fruchtbare Tage erkennen?

Viele Apps werben damit, dass die Frau mit ihnen verlässlich erkennen kann, wann sie fruchtbar ist. „Du weißt immer, wann dein Eisprung stattfindet und wann du sehr fruchtbar bist“, so die App MIA. Der Menstruationskalender der App Flo verspricht „genaue und zuverlässige Vorhersagen über Menstruation, Eisprung und fruchtbare Tage“. Die Idee dahinter: Wenn Frauen wüssten, wann ihr Eisprung stattfindet, könnten sie im fruchtbaren Zeitraum beispielsweise mit Kondomen verhüten oder auf Sex verzichten. Außerhalb der fruchtbaren Zeit wären dann keine Verhütungsmaßnahmen notwendig. Aber es geht auch andersrum: Einige Apps bewerben diese Funktionalität auch für Frauen mit Kinderwunsch.

Das Wort „Verhütung“ fällt bei den meisten App-Beschreibungen allerdings mit Bedacht nicht: Denn bei einer solchen Werbung wäre die App automatisch ein Medizinprodukt in einer höheren Risikoklasse, was für den Anbieter mit deutlich mehr gesetzlichen Auflagen verbunden wäre.1 Apps, die lediglich Zyklus-Informationen verwalten, müssen solche Anforderungen nicht erfüllen. Ob die durchschnittlich informierte Anwenderin diesen Unterschied kennt, ist jedoch fraglich.

Unterschiedliche Berechnungen

Wie ermitteln die Zyklus-Apps die fruchtbaren Tage? Viele berechnen einfach Vorhersagen aus den Informationen vergangener Zyklen. Das ist jedoch problematisch, denn die Länge einzelner Zyklen kann auch bei gesunden Frauen stark variieren – sie schwankt bei der Hälfte der Frauen um sieben Tage oder mehr.2 Damit verschieben sich auch die fruchtbaren Tage und die Vorhersage der App kann deutlich danebenliegen. Das kann zu einer ungeplanten Schwangerschaft führen, wenn frau oder das Paar sich auf die App verlassen und er oder sie nicht zusätzlich verhütet hat. Damit sind solche Apps also nicht besser als die herkömmliche „Kalendermethode“, die nach dem gleichen Prinzip funktioniert.

Darauf weisen aber nur einige Hersteller hin. So heißt es etwa bei der App WomanLog: „Die voraussichtlichen Tage der Blutung, Ovulation und Fruchtbarkeit gelten nur als hypothetische Prognosen, die mit den tatsächlichen Tagen (…) nicht übereinstimmen müssen.“

Temperatur, Schleim & Co.

Andere Apps dagegen verlassen sich nicht nur auf den Kalender, sondern bieten die Möglichkeit, im aktuellen Zyklus weitere Anzeichen zu erfassen, die Aufschluss über den Eisprung geben. Bei der sogenannten symptothermalen Methode (auch als NFP = natürliche Familienplanung bezeichnet) messen Frauen ihre Temperatur nach dem Aufwachen und verfolgen weitere Anzeichen, etwa die Zähigkeit des Schleims am Gebärmutterhals und/oder den Zustand des Muttermundes. Apps, die diese Methode nutzen, sind beispielsweise Ladycycle oder myNFP. Die Berücksichtigung dieser zusätzlichen Informationen sollte zumindest theoretisch eine genauere Bestimmung der fruchtbaren Tage erlauben. Praktisch bleibt es unklar, ob damit eine so hohe Verhütungssicherheit wie bei hormonellen Methoden erreicht werden kann – denn vergleichende Studien konnten wir nicht finden.

Werbung als Verhütungsmittel

Tatsächlich gibt es auch einige wenige Apps, die offen als Verhütungsmittel beworben werden. Sie tragen ein CE-Zertifikat und sind als Medizinprodukt zugelassen. Das Problem: Die gesetzlichen Anforderungen zum Nutzennachweis sind hier immer noch deutlich niedriger als für die Zulassung von Arzneimitteln. Deshalb lassen sich aus dem Status als Medizinprodukt keine zuverlässigen Schlussfolgerungen zur Verhütungssicherheit ziehen.

Ein solches Medizinprodukt ist etwa die App Natural Cycles, die außer in Europa auch in den USA zugelassen ist. Bei dieser App werden die Zyklusdaten erhoben und außerdem wird die Körpertemperatur beim Aufwachen eingegeben. Die Temperatur wird allerdings nicht für den aktuellen Zyklus berücksichtigt, sondern nur für die Vorhersage des Eisprungs in zukünftigen Zyklen. Und von außen lässt sich nicht nachvollziehen, wie aus den Messwerten die Vorhersage wird – denn der Algorithmus ist ein Geschäftsgeheimnis.

Die Hersteller geben bei typischer Anwendung eine Sicherheit von 93 Prozent, bei perfekter Anwendung von 98 Prozent an. Das würde bedeuten, dass innerhalb eines Jahres 70 beziehungsweise 20 von 1.000 Frauen schwanger würden, die mithilfe der App verhüten wollten. Diese Daten beruhen aber auf einer Studie mit erheblichen Qualitätsmängeln:3 Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen hat die Studie vorzeitig abgebrochen, und teilweise wurde bei ihnen lediglich geschätzt, wie wahrscheinlich eine Schwangerschaft ist. Das ist methodisch unsauber und kann die Ergebnisse verzerren. Die tatsächlichen Schwangerschaftsraten könnten demnach auch deutlich höher liegen.

Die Werbung scheint dennoch zu wirken: Diese App ist allein im Google-Play-Store schon über eine halbe Million Mal heruntergeladen worden. Die Kosten liegen bei monatlich knapp neun Euro, das Jahresabo ist mit rund 65 Euro günstiger.

Trau, schau, wem!

So verlockend das Angebot einer sicheren, natürlichen Alternative zu hormonellen Verhütungsmitteln auch sein mag: Wichtig ist immer eine genaue Prüfung, was eine App kann und was nicht, bevor man sich bei der Familienplanung allein auf sie verlässt. Hinzu kommt: Der Datenschutz ist nicht immer gewährleistet. Die Stiftung Warentest hat festgestellt, dass viele Zyklus-Apps unnötige persönliche Daten abfragen, die gezielte Werbung ermöglichen.5

Gesundheits-Apps
GPSP 5/2019, S. 12

Buchtipp: Freiheit von der Pille
GPSP 3/2018, S. 17

Medizinprodukt mit Risiken
GPSP 3/2019, S. 8

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2019 / S.08