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Die Entdeckung der Blutgruppen

Was Bluttransfusionen sicher macht

Blut ist ein ganz besonderer Saft. In der Medizin spielt Blut von jeher eine wichtige Rolle. So versuchte man zum Beispiel bis ins 19. Jahrhundert hinein, mithilfe von Aderlässen Krankheiten zu besiegen. Was die Situation jedoch meist schlimmer machte. Auch Blutübertragungen, die man ab 1829 wagte, endeten oft tödlich. Das änderte sich nach dem 14. November 1901. Bluttransfusionen wurden danach deutlich sicherer. Was war passiert?

Der Pathologe Karl Landsteiner veröffentlichte am 14. November 1901 die Ergebnisse seiner Experimente in der Wiener Klinischen Wochenschrift.1 Zu dieser Zeit arbeitete er am Pathologisch-Anatomischen Institut der Universität Wien (Bild).2 Landsteiner hatte getestet, was passiert, wenn er aus Blutproben unterschiedlicher Spender das Blutserum von den Blutkörperchen trennt, und beide wieder in verschiedenen Kombinationen miteinander mischt. Dabei fand er heraus, dass nichts passierte, wenn er Blutserum und Blutzellen derselben Person wieder zusammenbrachte. Hingegen kam es zu Verklumpungen des Bluts bei einigen anderen Kombinationen. Eine Reaktion, die erklärte, warum damals viele Menschen nach Bluttransfusionen starben.

Landsteiner vermutete, dass es mindestens zwei Stoffe geben musste, die für diese „Abwehrreaktionen“ verantwortlich waren. Er gab diesen sogenannten Antigenen die Namen A und B.

Probleme durch clevere Abwehr

Bevor es weitergeht mit Landsteiners Erfolgsgeschichte ein kleiner Ausflug ins Immunsystem, dem körpereigenen Abwehrsystem: Antikörper sind spezielle Eiweiße. Für ihre Produktion sind spezialisierte Blutzellen zuständig. Wenn das Immunsystem zum Beispiel körperfremde Zellen oder Teile von ihnen vom Immunsystem als „fremd“ (antigen) erkennt, bildet es Antikörper. Sie passen genau zu den Molekülen auf der Oberfläche der Eindringlinge, die das Immunsystem als fremd identifiziert hat. Solche Oberflächenmoleküle sind die Antigene, die zur Antikörperbildung führen. Diese Information bleibt oft lebenslang im Körper erhalten, sodass die Abwehrreaktion erneut – meist sogar effektiver – ablaufen kann, wenn derselbe Eindringling wieder auftaucht. Die Antwort des Immunsystems auf Fremdkörper nennt man Immunisierung. Sie ist ein sinnvoller Schutzmechanismus. Und nach diesem Prinzip funktionieren auch Impfungen. Bei der Bluttransfusion, die ja von der Natur nicht vorgesehen ist, verursacht der „Aufpasser“ Immunsystem allerdings Probleme, wenn man ihn nicht berücksichtigt.

Die Blutgruppen

Zurück zu Karl Landsteiner. Seine Experimente legten nahe, dass man das Blut in Gruppen einteilen kann. Damals fand er die drei Gruppen A, B und Null, die bis heute Bestand haben. So haben Menschen mit der Blutgruppe A das Antigen A auf den roten Blutkörperchen und Antikörper gegen B im Serum. Daher wird von diesen Menschen Blut der Blutgruppe B nicht vertragen. Bei der Blutgruppe B ist es genau umgekehrt. Bei Menschen mit der Gruppe Null (0) gibt es keine Antigene auf den roten Blutkörperchen, aber Antikörper gegen A und B im Serum. Landsteiner beschrieb diese Zusammenhänge bereits vor über 100 Jahren, und dass, wenn ein Antigen und ein entsprechender Antikörper zusammentreffen, das Blut verklumpt.

Seine Entdeckung ist bemerkenswert – gerade auch, wenn man sich die Größe seiner Studiengruppe anschaut. Sie bestand aus lediglich sechs Probanden: Landsteiner selbst und fünf seiner Kollegen. Diese geringe Zahl erklärt aber auch, warum er 1901 noch nicht die seltenere vierte Blutgruppe des AB0-Systems fand: die Blutgruppe AB. Nur etwa fünf Prozent der Menschen tragen sowohl das Antigen A als auch B auf den roten Blutkörperchen und keine Antikörper gegen A und B im Serum. Diese Blutgruppe wurde aber schon ein Jahr später von Landsteiners Schülern Adriano Sturli und Alfred von Decastello-Rechtwehr entdeckt.

Karl Landsteiner entwickelte im Jahr 1902 auch gleich einen Test zur Blutgruppenbestimmung, der mit getrocknetem Blut arbeitete. Die Bedeutung seiner Entdeckung war immens und rettete im Verlauf des 1. Weltkrieges unzähligen Menschen das Leben. Blut­transfusionen wurden durch die Entdeckung des AB0-Systems und des einfachen Bestimmungstests deutlich sicherer.

Und heute

Heute kennen wir 26 Blutgruppen und über 270 Faktoren, mit denen man Bluttypen voneinander unterscheiden kann. Einer davon ist der sogenannte Rhesusfaktor. Die Entdeckung dieses Faktors haben wir ebenfalls Landsteiner zu verdanken. Sie gelang ihm gemeinsam mit Alexander Wiener 1940.

Ist der Rhesusfaktor auf der Oberfläche roter Blutkörperchen vorhanden, dann bekommt die Blutgruppe aus dem AB0-System die Zusatzbezeichnung „Rhesus-positiv“. Das bedeutet, die Blutkörperchen tragen das Antigen-D. Circa 85% der Menschen haben diesen Rhesusfaktor, der dominant vererbt wird. Nur, wenn das Merkmal komplett fehlt, hat die Blutgruppe den Zusatz „Rhesus-negativ“. Wer über dieses Merkmal verfügt, darf keine Transfusion von einem Rhesus-positiven Spender bekommen.

Das Antigen-D spielt auch in der Schwangerschaft eine Rolle, weil es ebenso wie die Blutgruppen zu Unverträglichkeiten führen kann. Dazu werden wir ausführlich in einer späteren Ausgabe von GPSP berichten.

Resümee

Das Wissen um Blutgruppen ist bei Bluttransfusionen nach Verletzungen, Geburten oder Operationen bis heute extrem wichtig. Pro Jahr werden über 100 Millionen Blutspenden empfangen und so viele Menschenleben gerettet.

Karl Landsteiners Arbeit wurde 1930 mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie belohnt.1 Sein wissenschaftliches Erbe geht aber weit darüber hinaus. Er verbesserte die Syphilis-Diagnostik und legte den Grundstein für die spätere Entwicklung des Impfstoffs gegen Kinderlähmung.2

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2018 / S.25