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© Akiralto_iStock

Covid-19-Medikament Remdesivir: Neue Daten und mehr offene Fragen

Das virushemmende Medikament Remdesivir war zu Beginn der Corona-Pandemie eine ­große Hoffnung. Inzwischen ist aber klar, dass höchstens einige wenige Patienten davon ­profitieren.

Kann Remdesivir vielen Covid-Patient:innen das Leben retten? Mit dieser Frage starteten die Studien im Frühjahr 2020. Fast drei Jahre später ist klar: Der Nutzen ist wahrscheinlich deutlich bescheidener. Und es profitieren vermutlich nur wenige. Bis zu dieser Erkenntnis war es aber ein langer Weg, und auch heute sind noch viele Fragen offen.1

Nutzen bei schwerem Covid

Ursprünglich wurde Remdesivir vor allem an Patient:innen mit schwerem Covid-19 getestet. Viele Studien später zeichnete sich ab: Bei kritischen Verläufen, wenn also bereits eine künstliche Beatmung nötig ist, bringt das Medikament keine Vorteile. Nicht ganz eindeutig sind die Daten, wenn die Patient:innen im Krankenhaus zusätzlichen Sauerstoff brauchen, aber weiter selbstständig atmen können.

Ein Problem: In vielen der Studien – auch in der großen weltweiten Studie SOLIDARITY der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – wurden die Patient:innengruppen nicht fein genug unterschieden. Vor allem fehlte oft eine getrennte Auswertung für diejenigen, die nur wenig zusätzlichen Sauerstoff benötigen (Low-Flow-Therapie), und die Patient:innen mit hohem Sauerstoff-Bedarf (High-Flow-Therapie). Deshalb kamen verschiedene Auswertungen zu etwas unterschiedlichen Ergeb­nissen:

Ein Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)2 für die frühe Nutzenbewertung stellte im Sommer 2021 einen Vorteil von Remdesivir für Patient:innen fest, die relativ wenig zusätzlichen Sauerstoff benötigen: In der Auswertung starben mit Remdesivir im Vergleich zur Standardtherapie 90 von 1.000 Covid-19-Patient:innen weniger, die Behandelten erholen sich schneller. Bei höherem Sauerstoffbedarf (High-Flow-Therapie oder nichtinvasive Beatmung) brachte Remdesivir keinen zusätzlichen Nutzen. Nebenwirkungen waren ungefähr gleich häufig.

Andere Bewertungen, etwa die deutsche Leitlinie zur Covid-Behandlung im Krankenhaus3 oder die entsprechende Leitlinie der WHO,4 waren dennoch zurückhaltend. Sie gaben für Patient:innen mit zusätzlichem Sauerstoffbedarf entweder keine Empfehlung ab – oder sprachen sich sogar eher gegen den Einsatz von Remdesivir aus.

Mehr Daten aus SOLIDARITY

Für diese unterschiedlichen Einschätzungen waren auch die Studiendaten aus SOLIDARITY mit verantwortlich: Eine frühe Zwischenauswertung im Oktober 20205 hatte insgesamt keinen Überlebensvorteil finden können. Für Patient:innen, die nur Sauerstoff brauchten, aber nicht beatmet werden mussten, war ein Nutzen nicht belegt, ließ sich aber nicht ganz ausschließen. Das IQWiG-Gutachten hatte die SOLIDARITY-Daten nicht berücksichtigt, weil es unklar war, ob sie sich auf die deutschen Bedingungen übertragen lassen.

Mittlerweile liegt auch die Endauswertung von SOLIDARITY vor,6 die das IQWiG-Gutachten zum Teil bestätigt: Dabei zeigte sich bei Patient:innen, die zusätzlichen Sauerstoff benötigten, ein kleiner Vorteil gegenüber der Standardtherapie: Mit Remdesivir starben umgerechnet 17 von 1.000 Patient:innen weniger, ähnlich vielen blieb eine künstliche Beatmung erspart. Diese Zahlen beziehen sich aber auf Low-Flow- und High-Flow-Therapien gemeinsam, eine getrennte Auswertung gibt es nicht. War künstliche Beatmung nötig, hatte Remdesivir nach wie vor keinen Nutzen.

Mit Remdesivir besser zeitig behandeln?

Inzwischen gibt es auch Erkenntnisse zum Nutzen von Remdesivir, wenn es früh im Krankheitsverlauf bei mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen eingesetzt wird, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Das wäre von der Theorie her sinnvoll, weil Remdesivir zumindest im Reagenzglas das Virus hemmt und so verhindern könnte, dass es zu überschießenden Entzündungsreaktionen und Immunprozessen kommt, die bei schwerem Covid-19 eine wichtige Rolle spielen.

Die Zulassung von Remdesivir für diese Patient:innengruppe beruht auf einer Studie,7 bei der rund 600 gefährdete Infizierte drei Tage lang nach dem Zufalls­prinzip eine Infusion entweder mit Remdesivir oder Placebo erhielten. Der Vorteil von Remdesivir war eher klein: In der Remdesivir-Gruppe mussten etwa 4 von 100 Teilnehmenden weniger wegen Covid-19 ins Kran­kenhaus. Todesfälle durch Covid-19 gab es nicht, Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen ungefähr gleich häufig.

Was weiter offen bleibt

An der Studie nahmen nur ungeimpfte Patient:innen teil. Ob sie bereits eine Corona-Infektion durchgemacht hatten, war unklar – das dürfte aber das Risiko für einen schweren Verlauf verringern. Doch: Wie lassen sich die Ergebnisse der Studie auf eine Bevölkerung übertragen, in der inzwischen viele entweder geimpft sind oder infiziert waren?

Nochmal in die frühe Nutzenbewertung

Das war auch ein Knackpunkt in der erneuten frühen Nutzenbewertung für Remdesivir, diesmal für Patient:innen ohne zusätzlichen Sauerstoffbedarf. Das IQWiG bewertete die fehlenden Impfungen und die fehlenden Daten zu vorhergehenden Infektionen als wesentliche Schwachstellen: Das Gutachten stufte den Zusatznutzen für geimpfte Patient:innen deshalb als nicht belegt ein.8 Bei ungeimpften Patient:innen lautete das Fazit wegen der fehlenden Daten zu vorhergehenden Infektionen „Hinweis auf einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen“. Heißt: Wie viel Remdesivir im Vergleich zur Standardtherapie bringt, lässt sich nicht sicher abschätzen – zumal auch keine Daten zu Infektionen mit der Omikron-Variante existieren, die seltener zu schweren Verläufen führt.

Was Leitlinien sagen

Das alles macht deutlich: Die Anzahl der Patient:innen, für die Remdesivir eine sinnvolle Option sein könnte, ist sowieso relativ klein.

Die deutsche Leitlinie zur Covid-Behandlung im Krankenhaus betrachtet Remdesivir inzwischen vor allem als eine Behandlungsoption in der Frühphase der Infektion bei Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf, wenn sie ungeimpft sind oder wegen einer Immunschwäche (etwa durch bestimmte Medikamente) nicht ausreichend auf die Impfung reagiert haben und eine Behandlung mit monoklonalen Antikörpern nicht möglich ist. Die WHO spricht für diese Patient:innengruppe aktuell ebenfalls eine schwache Empfehlung aus.

Die hausärztliche Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)9 weist zusätzlich auf ein ganz praktisches Problem hin: Remdesivir muss an drei Tagen hintereinander jeweils eine Stunde lang als Infusion laufen. In vielen Hausarztpraxen dürfte das aus organisatorischen Gründen schwierig sein.

Möglicherweise würden sich viele Patient:innen dann für weniger aufwendige Behandlungen entscheiden: Zum Beispiel Paxlovid® mit den Wirkstoffen Nirmatrelvir und Ritonavir, das als Tablette verfügbar ist. Oder monoklonale Antikörper, von denen meist eine einzige Anwendung reicht. Automatisch bessere Alternativen als Remdesivir sind beide allerdings nicht: Denn Paxlovid® hat zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und viele der verfügbaren monoklonalen Antikörper sind bei der Omikron-Variante nicht ausreichend wirksam.

 

Remdesivir: Viel Geld für nichts

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2022 / S.06