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„Wir müssen Impfen einfacher machen“

Besser informieren, Barrieren abbauen

Es ist nur selten Impfskepsis, wenn Menschen sich nicht gegen bestimmte Krankheiten immunisieren lassen. Viele Gründe können hinter fehlenden Impfungen stecken. Die Psychologin Cornelia Betsch erklärt in unserem Interview, welche Konsequenzen sich daraus für gute Impfinformationen und die Gesundheitspolitik ergeben.

GPSP: In Köln gab es kürzlich wieder einen Masern-Ausbruch. Dabei haben wir eine gut wirksame Impfung. Warum verzichten Menschen auf Impfschutz?

Cornelia Betsch: Die Gründe sind sehr vielfältig. Einige Menschen stehen Impfungen grundsätzlich ablehnend gegenüber. Sie machen aber nur einen kleinen Anteil von denen aus, die sich nicht impfen lassen – und es werden immer weniger.

Und die anderen?

Zum Teil sind es Menschen, die das Risiko von Infektionskrankheiten unterschätzen. Sie kennen niemanden, der an Kinderlähmung oder Diphtherie erkrankt ist und halten die Krankheiten deshalb für nicht so dramatisch. Dadurch erscheinen ihnen auch die Impfungen nicht wichtig.

Gibt es noch mehr Gründe?

Alltagsstress wird in den Umfragen als häufiger Grund für fehlende Impfungen genannt. Das kann ich gut nachvollziehen: Viele Eltern arbeiten lange, die Kinder müssen noch zum Sport oder zu Kindergeburtstagen, es stehen viele dringliche Aufgaben an. Dann gerät es schnell aus dem Blick, einen Termin für die Impfungen zu vereinbaren.

Was könnte man dagegen tun?

Wir müssten Impfen besser zugänglich machen: Warum kann eine alleinerziehende berufstätige Mutter nicht nach Dienstschluss mit den Kindern kurz vor dem Abendessen zum Impfen, sondern muss einen halben Tag frei nehmen? Wenn Kinderärztinnen und -ärzte überlastet sind und es schwierig ist, einen passenden Termin zu bekommen, könnte das Gesundheitsamt zusätzliche Impfsprechstunden anbieten.

Es müsste also das Gesundheitssystem insgesamt in Bewegung kommen.

Ja. Das gilt zum Beispiel auch für ein sogenanntes fachübergreifendes Impfen, also in unterschiedlichen medizinischen Fachgebieten. Es wäre beispielsweise gut, wenn bei Impfungen von Kindern auch die Eltern auf ihren Impfstatus angesprochen werden. Der Gesundheitsminister sollte sich also nicht hinstellen und sagen: Wer nicht impft, ist verantwortungslos. Er sollte lieber dafür eintreten, den Zugang zum Impfen so einfach wie möglich zu machen. Die meisten Menschen sind ja für das Impfen. Es sollte ihnen also nicht unnötig erschwert werden.

Spielt es für die Impfentscheidung eine Rolle, dass viele Impfungen nicht nur die Geimpften, sondern auch die Ungeimpften schützen?

Wenn Menschen das Konzept des Gemeinschaftsschutzes verstehen – dass sie also durch ihre eigene Impfung auch die Ansteckungsgefahr für andere senken –, erhöht das nachweislich die Impfbereitschaft. Und sie nimmt noch zu, wenn wir außerdem noch erklären, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen, das in der Regel aus gesundheitlichen Gründen nicht können – zum Beispiel weil sie gerade wegen einer Tumorerkrankung behandelt werden. Oder wenn eine Frau schwanger ist, sollte sie nicht gegen Masern oder Röteln geimpft werden.

Ja, häufig möchten sich Eltern gerne noch umfassender informieren, als das in einem Arztgespräch vielleicht möglich ist. Dann kann man nur hoffen, dass sie ein gutes Buch oder Webseiten mit seriösen Informationen finden. Man stößt im Netz oder im Buchladen auf viele Argumente pro und contra, und manche wissen dann nicht mehr, was sie jetzt machen sollen. Oft ist es nicht so einfach, gute von schlechten Angeboten zu unterscheiden. Auf jeden Fall heißt das für alle, die Impfinformationen erstellen: Wir müssen es noch besser, noch verständlicher machen.

Offizielle Impfinformationen haben oft den Tenor „Impfungen sind sicher“, gehen aber nicht ins Detail. Wäre das für eine differenzierte öffentliche Debatte nicht wichtig?

Ja, wenn ich mich als Elternteil mit den möglichen Nebenwirkungen von Impfungen beschäftige, will ich auch etwas Genaueres über die Risiken wissen. Das ist auf den Behördenseiten im Internet aber oft tief vergraben. Stattdessen stößt man in öffentlichen Datenbanken leicht auf Meldungen zu Impfnebenwirkungen, bei denen es nur um einen Verdacht geht und wo noch gar nicht belegt ist, dass wirklich die Impfung schuld an einem Problem war. Für Nicht-Fachleute ist das schwierig zu bewerten und löst möglicherweise unnötige Ängste aus. Aus meiner Sicht braucht es ein Buch, das alle Fragen, die von Impfkritikern aufgeworfen werden, wissenschaftlich fundiert beantwortet.

Was sollten die Behörden Ihrer Meinung nach tun?

Es ist dringend notwendig, dass die offiziellen Institutionen auch Informationen über Nebenwirkungen bereithalten. Einen Schritt gibt es schon: Das Robert Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut haben bereits „Antworten auf die 20 häufigsten Einwände gegen das Impfen“ veröffentlicht; das müsste man mal aktualisieren und auch mit Informationen zu abgeschlossenen Bewertungsverfahren ergänzen, etwa zur HPV-Impfung. Wir forschen derzeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut über die Frage, wie man am besten über Impfrisiken aufklärt, sodass die Informationen verständlicher sind und nicht verunsichern.

Ist den Behörden die Wichtigkeit von guten Impfinformationen bewusst?

Die wissen sehr genau, was ihre Rolle ist, was sie machen müssten, und nach meinem Eindruck schmerzt es sie selbst, dass sie hier unterbesetzt sind. Die Politik muss aufwachen und mehr Mittel bereitstellen. Außerdem fehlt häufig Personal, das sich mit Fragen der Gesundheitskommunikation beschäftigt. Hier gibt es derzeit noch viel Platz für Wachstum.

Müsste es nicht genauso eine bessere Kommunikation zum Nutzen oder eben eingeschränkten Nutzen bestimmter Impfungen geben?

Aus unseren Studien wissen wir: Wenn Menschen erfahren, dass eine Impfung nicht hundertprozentig wirksam ist, sinkt ihre Impfbereitschaft.

Aber hundertprozentige Wirksamkeit gibt es ja bei keinem Medikament.

Es kann durchaus ein gefährlicher Trugschluss sein, wegen niedriger Effektivität auf eine Impfung zu verzichten. Niedrige Effektivität bedeutet weniger Gemeinschaftsschutz und so ist der Schutz jedes einzelnen sogar noch wichtiger. Es ist sehr schwierig, über Unterschiede im Nutzen von Impfungen angemessen zu informieren.

Ein gelungenes Beispiel für gute und umfassende Impfaufklärung ist die Entscheidungshilfe zur Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sollte es so etwas nicht öfter geben?

Unbedingt! Wir alle haben ein Recht auf gute Informationen, gerade im Präventionsbereich, wo wir unsere gesunden neugeborenen Kinder medizinischen Maßnahmen aussetzen. Impfen ist in Deutschland eine freiwillige Entscheidung, aber für die Gesundheit aller wäre es schon gut, wenn sich möglichst viele dafür entscheiden. Das ist manchmal schon ein Dilemma in der Impfkommunikation. Fachleute für Gesundheitskommunikation hätten in der Psychotrickkiste sicher das eine oder andere Mittel, um Menschen zu überreden. Aber sie sollen ja nicht überredet, sondern informiert werden, damit sie auf dieser Basis eine eigene, für sie gute Entscheidung treffen können. Das haben wir versucht – gemeinsam mit der BZgA – in der von Ihnen genannten Entscheidungshilfe umzusetzen.

Welche Rollen spielen Fakten und Emotionen? Führt mehr Wissen dazu, dass man sich vor Impfungen weniger fürchtet, oder sind das ganz unterschiedliche Ebenen?

Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass Gefühle, besonders Angst, das Verhalten oft stärker steuern als Wissen. Das gilt auch für Impfentscheidungen. Wir haben in unseren Studien gesehen: Wenn Menschen, etwa in sozialen Medien, Geschichten über vermeintliche Impfnebenwirkungen lesen, sinkt ihre Impfbereitschaft – umso stärker, je mehr solcher Geschichten sie lesen. Das verzerrt ihr Erfahrungswissen, denn in der Regel erfahren sie nichts von den vielen Menschen, die keine Nebenwirkungen hatten und dank Impfungen gesund geblieben sind. Leider ist es in dieser Situation sehr schwierig, an der subjektiven Wahrnehmung „Impfen ist gefährlich“ durch Sach­information etwas zu ändern.

Ist gute Kommunikation zu Impfungen überhaupt machbar?

Man muss dazu alle Kanäle mit guten Impfinformationen bespielen. Vielleicht können wir so die Verzerrung in sozialen Medien etwas ausgleichen. Wir arbeiten gerade an der Frage, ob transparente Kommunikation von offizieller Seite das Vertrauen in Impfungen erhöht und Menschen widerstandsfähiger macht gegen Fehlinformationen.

Welche Rolle spielen die Empfehlungen von Vertrauensper­sonen wie beispielsweise Hebammen?

In der Zeit direkt nach der Geburt ist die Hebamme oft eine wichtige Ansprechpartnerin. Manchmal raten Hebammen bei Impfungen zur Zurückhaltung. Wir wissen aber, dass dieser Einfluss dann schnell wieder verschwindet und beispielsweise die Empfehlungen von Arzt oder Ärztin wichtiger werden. Und noch wesentlicher für die Impf­entscheidungen im Laufe des Lebens ist die Erfahrung mit der ersten Impfung.

Was heißt das genau?

Problematisch kann es sein, wenn Eltern nicht gut auf die Impfung vorbereitet werden, wenn Arzt oder Ärztin beispielsweise nicht erklären, dass das Kind Fieber bekommen kann und wie man reagieren sollte. Diese Erfahrung kann sich dann negativ auf die weiteren Impfentscheidungen auswirken. Kinderarzt und Kinderärztin sollten wissen, wie sich das Impfen für das Kind möglichst schmerzarm gestalten lässt, und auch mit den Eltern darüber sprechen. Bei den Babys etwa kann es in vielen Fällen helfen, während der Impfung zu stillen, wenn das möglich ist.

Andere Länder haben Impfpflicht, teilweise auch nur für bestimmte Impfungen. Wäre das nicht auch in Deutschland sinnvoll?

Unser Team hat einmal untersucht, welche Auswirkungen eine teilweise Impfpflicht hätte, also dass nur einige Impfungen verpflichtend, andere jedoch freiwillig sind. Die Daten zeigen, dass viele sich dann bei den freiwilligen Impfungen die Freiheit zurückholen, die ihnen bei den verpflichtenden fehlt – sie lassen sich dadurch seltener impfen. Eine teilweise Impfpflicht könnte also bestehende funktionierende Impfprogramme beschädigen.

Wäre eine komplette Impfpflicht besser?

Auf Basis dieser Daten – sicher! Aber es widerspricht dem Gedanken der eigenen freien Entscheidung. Ich halte eine Widerspruchslösung wie in den USA für geeigneter: Impfen ist erst einmal der Standard. Wer das nicht will, kann sich dagegen entscheiden, muss es aber begründen. Dann haben wir immer noch Entscheidungsfreiheit, aber das erwünschte Verhalten wird leichter gemacht.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2018 / S.19