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Früherkennung von Krebs

Falsche Diagnose riskieren?

Früher oder später steht fast jeder oder jede einmal vor der Frage, ob sie an einer Untersuchung teilnehmen wollen, deren Ziel es ist, einen bösartigen Tumor frühzeitig zu erkennen und zu behandeln – oder seine Entstehung sogar zu verhindern. Die richtige Entscheidung zu treffen, ist schwieriger als vielfach behauptet wird.

GPSP: Seit einigen Jahren werden alle Frauen zwischen 50 und 69 im Turnus von zwei Jahren eingeladen, an einem Mammographie-Screening teilzunehmen.1 Viele meinen, dadurch einer Brustkrebserkrankung vorzubeugen.

Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser: Das ist eine falsche Vorstellung. Durch die Teilnahme lässt sich Brustkrebs nicht verhindern, er kann nur früher erkannt werden. Man spricht daher von Brustkrebs-Früherkennung und nicht von Brustkrebs-Vorsorge.

Gilt das auch für die anderen Untersuchungen, mit denen verhindert werden soll, dass Menschen an einem bösartigen Tumor sterben?

Das ist unterschiedlich. Beim Gebärmutterhalskrebs und beim Darmkrebs entfernt man vor allem präkanzerogenes Gewebe, also Vorstufen von Krebs. Es kann dadurch tatsächlich die Krebsentstehung verhindert werden.

Lässt sich der mögliche Nutzen dieser Untersuchungen beziffern? Wie gut ist zum Beispiel der PAP-Test2 zur Früherkennung von Gebär­mutterhalskrebs, der ja bereits seit 1971 angeboten wird?

Leider fehlen zuverlässige Zahlen, was mit dem PAP-Test zu erreichen ist. Die meisten Zellveränderungen, die er findet, bilden sich von alleine zurück. Andererseits übersieht der PAP-Test Krebsvorstufen. Man muss sich vor allem klar machen, dass von 1000 Frauen zwar an die 500 in ihrem Leben irgendwann eine Krebsdiagnose erhalten und 230 tatsächlich an Krebs sterben, aber darunter sind nur drei Frauen, die an Gebärmutterhalskrebs sterben.

Wie sieht es bei Brust- und Darmkrebs aus?

Hier gibt es einen Nutzen für einzelne Menschen, weil bei ihnen der Krebs früher erkannt und behandelt wurde. Aber der Nutzen insgesamt ist sehr gering.

Aber es wird doch zum Beispiel beim Brustkrebs gesagt, dass durch das Mammographie-Screening deutlich weniger Frauen an Brustkrebs sterben. Immer wieder liest man die Zahl 25%.

Aber 0,2% ist genauso richtig. Das hängt davon ab, wie man die Zahlen in der Öffentlichkeit verbreitet. Aus den Studien geht hervor, dass über einen Zeitraum von 10 Jahren von 2000 Frauen, die am Screening teilnehmen, eine bis höchstens vier Frauen weniger an Brustkrebs sterben.

Immerhin.

Ja, für Einzelne ist das ein großer Nutzen. Anderseits bedeutet es nicht, dass insgesamt weniger Frauen in diesem Zeitabschnitt sterben. Andere Todesursachen sind sehr viel häufiger.

Hat das mit den Risiken der Untersuchungsmethoden zu tun?

Das ist nur ein Grund. Die Belastung durch Röntgenstrahlen ist in den Mammographie-Screening-Zentren eher gering. Aber grundsätzlich spreche ich nicht von Risiken, sondern von Schaden. Wir müssen ja den möglichen Nutzen für Einzelne gegen den möglichen Schaden für Andere abwägen. Wenn die Mammographie einen Brustkrebsverdacht erzeugt hat, wird eventuell Gewebe entnommen. Aber solche Biopsien sind überflüssig, wenn sie auf der Grundlage von einem falsch positiven Befund3 zustande gekommen sind. Es handelte sich dann um einen Fehlalarm. Der größte Schaden entsteht Frauen, bei denen ein Krebs festgestellt und behandelt wird, der eigentlich nicht hätte behandelt werden müssen. Da führt die Früherkennung zu Überdiagnosen und Überbehandlungen (siehe auch S. 9 in diesem Heft).

Aber vielleicht nehme ich ja eine überflüssige Biopsie in Kauf, wenn dadurch eine tödlich verlaufende Krebserkrankung bei einem anderen Menschen verhindert wird.

Das mag sein. Nur, um diese Entscheidung zu treffen, sollten Sie auf der Grundlage des aktuellen medizinischen Wissens informiert sein. Bisher wurde in der Presse und in Flyern primär über den Nutzen informiert. Ganz extrem machen das die so genannten Prominenten, die für Darmspiegelung werben. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass während des Eingriffs Blutungen entstehen können und selten auch eine Darmperforation. Die Darmreinigung vor dem Eingriff, Sedierung und Schmerzlinderung während der Untersuchung können sehr belastend sein, insbesondere für ältere Personen mit Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen.4 Noch problematischer sind die Schäden zu bewerten, die das Prostata-PSA-Screening bei Männern erzeugt. Das haben kürzlich zwei Studien mit vielen tausend Männern ergeben.5

Was ist der Grund?

Es nützt fast nichts, diesen Wert zu messen. Er führt zu vielen Überdiagnosen oder falsch positiven Befunden. Selbst wenn der PSA-Wert wegen Zellveränderungen in der Prostatadrüse erhöht ist, besagt dies nicht, dass operiert werden muss. Viele Männer werden operiert, obwohl das Karzinom bei ihnen nie zu Beschwerden geführt hätte.

Aber der behandelte Mann ist doch nun auf der sicheren Seite.

Viele Männer mit Prostatakarzinom sterben nicht an diesem meist langsam wachsenden Tumor, sondern aus anderen Gründen. Chirurgische Eingriffe können zu belastenden Komplikationen führen wie Impotenz und unfreiwilligem Harnverlust.

Das klingt so als würden Sie vor Krebs-Screening Programmen warnen?

Nicht warnen, aber es ist notwendig, Bürgerinnen und Bürger über Nutzen und Schaden ausgewogen und verständlich zu informieren.

Was bemängeln Sie an den derzeitigen Untersuchungen auf Krebs?

Bisher fehlt eine systematische Dokumentation und Qualitätssicherung der meisten Früherkennungsmaßnahmen. Im übrigen geht es nicht darum, Krebs früh zu erkennen, sondern Lebensqualität zu erhalten und Leben zu verlängern. Wir brauchen Studien, die helfen, zwischen verschiedenen Krebsformen an einem Organ stärker zu differenzieren und überflüssige Operationen zu vermeiden. Das Wichtigste wäre mir, dass jede Frau und jeder Mann auf der Grundlage guter Informationen eine individuelle Entscheidung treffen kann. Dazu gehört auch zu wissen, dass Krebs übersehen werden oder im Intervall zwischen regelmäßigen Untersuchungstermi­nen entstehen kann. Neben dem möglichen Nutzen ist im Hinblick auf schädliche Folgen vor allem zu bedenken, dass ein zuvor gesunder Mensch eventuell zu Unrecht die ­Diagnose Krebs bekommt und von da an als krebskrank gilt und behandelt wird.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Wie häufig ist Gebärmutterhalskrebs
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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2009 / S.10