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© AlexLMX/ iStockphoto.com

Es geht ihnen um Abzocke

Wie Patientenforen mit versteckter Werbung umgehen

Internetseiten von Selbsthilfegruppen locken immer wieder unseriöse Geschäftemacher an. In den Foren versuchen sie, ihre Produkte loszuwerden oder Patienten in fragwürdige Online-Kongresse zu locken. Wir haben mit der Journalistin Claudia Liebram über ihre Erfahrungen gesprochen. Sie betreut eine große Plattform für Menschen mit Schuppenflechte (Psoriasis).

GPSP: Warum haben Sie das „Psoriasis-Netz“ gestartet?

Aus Neugierde. Ich wollte damals einfach wissen, was man im Netz so machen kann. Ich habe selbst Psoriasis. Es war ein Ausprobieren, auch journalistisch. Aber relativ schnell haben sich Interessierte gemeldet, wir haben uns ausgetauscht. Also habe ich ein Forum eingerichtet und das wuchs dann. Heute hat es 27.000 Mitglieder, über 50.000 Einträge sind eingegangen.

Das macht das Netzwerk für alle, die an der Behandlung von Schuppenflechte verdienen wollen, interessant.

Ja, allerdings. Wenn man meine Beiträge auf der Plattform liest, merkt man relativ schnell, dass ich nicht für alles zu haben bin. Aber im zugehörigen Forum versuchen viele, Produkte anzubieten, auch weil sie da mehr Leute erreichen. Zum Glück gibt es ja Moderatoren, die mit mir das Forum betreuen und filtern helfen. Wir erkennen relativ schnell, wer da eine Frage stellt, und wer da etwas verkaufen will.

Welche Produkte bestehen Ihren Check, und was wird als Unsinn entlarvt?

Es hilft, was auch ein Hautarzt verschreiben würde. Alles was in Richtung Vitamine oder andere Nahrungsergänzungsmittel geht, macht hingegen nur Sinn, wenn vorher Arzt oder Ärztin einen Check gemacht haben. Und wenn dann ein Mangel da ist, ist es gut, zum Beispiel Vitamine zu nehmen. Aber auf eigene Faust, und nur weil einer sagt, bei ihm habe es auch gut geholfen, sollte man es nicht machen. Da wird dann zum Beispiel zu unglaublich hohen Mengen an Vitamin D geraten, dem sollte man nicht aufsitzen.

Was wird im Forum denn alles angeboten und durch wen?

Es gibt naive Leute, die denken, sie haben eine Idee für eine Creme, rühren sie zusammen und wollen das dann verkaufen. Was natürlich nicht geht. Dann gibt es diese Nahrungsergänzungsmittel-Verkäufer, die Vitamin D in jeder Dosierung loswerden wollen. Seit einiger Zeit wird auch so ein Cannabis-Öl, CBD, verstärkt ins Spiel gebracht. Die Händler schreiben dann natürlich nicht: „Ich will dir jetzt CBD-Öl verkaufen.“ Sondern sie schreiben „CBD-Öl ist toll, wer kennt sich damit aus?“ Und hinterlassen dann einen Link zu ihrer Verkaufsseite. Dahinter stehen nie große oder halbgroße Pharmafirmen, die sich da irgendwie die Hände mit schmutzig machen würden. Es sind eher die gutgläubigen Menschen, oder eben die, die andere Leute abzocken wollen.

Die Anbieter werden dann durch Sie und Ihr Team enttarnt?

Ja, und auch durch andere Nutzer im Forum. Die melden uns dann, oder sagen uns, wo wir mal hinschauen sollen, weil ihnen etwas nicht geheuer vorkommt. Wir sollen es dann bewerten.

Warnen Sie Ihre Mitglieder?

Wir lehnen Angebote, die auch per E-Mail ankommen, schon im Vorfeld ab. Wenn jemand ins Forum geht und dort schreibt, dass dieses oder jenes Mittel doch toll wäre, dann reagieren wir schnell und schreiben, dass wir davon nicht viel halten.

Ändern sich die Methoden einzelner Anbieter?

Ja, da müssen wir immer auf der Höhe der Zeit bleiben. In letzter Zeit gab es zum Beispiel immer mal wieder Einladungen zu seltsamen, wissenschaftlich angehauchten Online-Kongressen. Hier kann sich jeder auf einer Internetseite anmelden und bekommt nach erfolgreicher Registrierung jeden Tag Interviews und Materialien von sogenannten Experten per Mail zugeschickt.

Was steckt hinter diesen Veranstaltungen?

Die Macher haben in diesen Online-Kongressen ein neues Geschäftsmodell gefunden, mit dem sie gezielt chronisch kranke Menschen ansprechen. Alles läuft online, und die Referenten sind Heilpraktiker, Coaches und Esoteriker aller Art. Die Themen dieser sogenannten Online-Kongresse sind weitverbreitete Volkskrankheiten: so etwa der Haut-Kongress, der Depressions-Kongress und der Entgiftungs-Kongress. Dazu noch „Gesünder leben“. Und demnächst soll es einen geben für Menschen mit Multipler Sklerose. Und weil das so allgemeine Themen sind, ist da auch die Zielgruppe groß.

Die Online-Kongress-Macher interessieren sich sicher für das Psoriasis-Netzwerk.

Ja, wir wurden angefragt, sozusagen als Patientenvertretung, ob wir unsere Leser und Leserinnen nicht auf die Online-Kongresse hinweisen wollen. Wenn die dann Kongress-Pakete abschließen, würden wir eine Provision bekommen. Diese Pakete enthalten Interviews, die man runterladen und immer nutzen kann. Irgendwelche Rabattmarken gibt es obendrauf. Und wir würden 50 Prozent aller Umsätze erhalten.

Klingt nicht seriös.

Auf der Internetseite zu den Online-Kongressen findet sich selten die Qualifikation der dozierenden Experten. Wir haben einmal genauer recherchiert, es agieren dort oft Ernährungsberater mit Berufsbezeichnungen, die nicht geschützt sind, die also jeder verwenden kann. Es gibt auch Heilpraktiker unter den Dozenten, und Ärzte, die nur in Privatpraxen behandeln. Die meisten sind abseits der etablierten Medizin unterwegs.

Wie funktioniert das Geschäftsmodell?

Die Veranstalter denken offenbar: Wenn einer erstmal auf einer Kongress-Website ein solches Paket runtergeladen und angehört hat, was die dann noch per Mail schicken – also den Experten bei den Vorträgen gefolgt ist, dann ist der auch empfänglich, Produkte online zu bestellen und zu kaufen oder auch in eine Privatpraxis zu gehen. Die Menschen werden dabei einseitig informiert, es werden Methoden, Therapien abseits der Medizin propagiert, alles aus einem alternativen, esoterischen Bereich, der kaum oder gar nicht kontrolliert wird. Den Teilnehmenden werden Bedürfnisse nach irgendwelchen Nahrungsergänzungsmitteln eingeredet oder Therapien vorgeschlagen, die reine Fantasieprodukte sind. Im Ernährungsbereich ist schnell eine ganze Menge Ideologie dabei. Die Konzepte, die vertreten werden, sind meist wissenschaftlich nicht belegt.

Was kann gegen solche Online-Kongresse unternommen werden?

Es sollten eigentlich die Gesundheitsämter aktiv werden, aber die sind total überfordert. Ich wünsche mir sehr, dass wir diese unseriösen Seiten melden könnten, und jemand anderes guckt mal drauf. Wir können uns die Finger wund schreiben – aber leider wird der Unfug eher mehr als weniger. Pseudoexperten gibt es mittlerweile ja auch auf Youtube und Instagram.

Was beobachten Sie hier?

Es ist eine wilde Mischung: Menschen ohne jeglichen medizinischen oder auch nur halbmedizinischen Hintergrund erzählen zum Beispiel, wie sie mit Ernährung oder anderen Strategien ihre Krankheit in den Griff bekommen haben. Da sehe ich auch noch Potenzial für Regulierung. Die Youtuber kommen stets leicht verständlich rüber, sie sind völlig überzeugt von ihrem „Nur mit Ernährung kannst du deine Krankheit heilen“. Das Publikum fragt dann gar nicht nach ihrer Qualifikation.

Wer ist hier die Zielgruppe?

Die Youtuber sprechen ein anderes Publikum an als diese Online-Kongress-Leute, diese zielen auf alle, die ein bisschen Geld haben und gebildet sind. Die Youtube-Evangelisten sprechen jeden an. Schlimm ist es auch auf Instagram. Hier halten die Leute gern Cremes in die Kamera, darunter steht der Spruch „Oh, guckt mal Leute, mir hat dieses Mittel hier geholfen.“ Und das, ohne den Nutzen oder die Wirkung belegen zu müssen. So etwas ärgert mich immer noch tierisch, auch nach 20 Jahren Netzwerk.

Wird es manchmal nicht zu viel?

Es gibt immer mal Zeiten, wo ich denke, das will doch alles keiner lesen, diese ganzen kritischen Psoriasis-Artikel bei uns auf der Seite. Aber es gibt immer wieder Menschen, die dann schreiben und sich bedanken, dass sie durch uns einen wichtigen Hinweis bekommen haben, oder dass sie nun endlich wüssten, was sie genau haben. Es sind die Nutzer der Community, die einen immer wieder bestärken, weiterzumachen.

Vielen Dank für dieses sehr ­erhellende Gespräch.

Vitamin D
GPSP 5/2016, S. 14, GPSP 2/2019, S. 12

Schuppen­flechte Werbung
GPSP 5/2018, S. 28

Schleichwerbung im Blog
GPSP 5/2016, S. 22

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2019 / S.19