Die gute Ärztin, der gute Arzt
Was macht eine gute hausärztliche Betreuung aus?
Nur einer von drei Deutschen bewertet seinen Arzt mit „sehr gut“ – in Neuseeland sind es zwei von Dreien. Aber woran sind gute Ärzte zu erkennen? Wir befragten dazu einen besonders erfahrenen Hausarzt.
GPSP: Was ist ein guter Arzt?
Niebling: Ein guter Arzt stößt bei seinen Patienten auf Zustimmung und ist mit sich und seiner Arbeit im Reinen.
Eine ungewöhnliche Antwort. Wie lässt sich diese beidseitige Zufriedenheit, die ihnen offenbar wichtig ist, erreichen?
Der gute Arzt ist kompetent, er hat Zeit und Geduld, und er erkennt die Bedürfnisse seiner Patienten. Was er weiß, vermittelt er verständlich und trifft Entscheidungen gemeinsam mit dem Kranken. Heutzutage ertrinken Patienten in der Menge ungefilterter Informationen.
Hat denn der Arzt dazu die nötige Zeit? In deutschen Arztpraxen steht er seinen Patienten nur wenige Minuten zur Verfügung.
Patienten bekommen bei mir möglichst so viel Zeit, wie sie momentan brauchen. Wir bestellen unsere Patienten im Viertelstundentakt, sonst würde ich gerade bei Notfällen zu sehr in Bedrängnis kommen. Aber es gibt Praxen, die mit einem Takt von 7,5 Minuten arbeiten.
Es bestehen also Unterschiede zwischen Ärzten?
Ja, vielfältige. Zuzuhören und sich zurückzuhalten, das müssen wir Ärzte lernen und trainieren. Studien haben gezeigt, dass der Arzt seinen Patienten im Gespräch schon nach durchschnittlich 20 Sekunden unterbricht. Dadurch gehen ihm wichtige Einsichten in das individuelle Krankheitsbild verloren.
Wozu braucht er die?
Ein guter Hausarzt ist eben der, der die Eigenbeobachtung des Kranken ernst nimmt, genau nachfragt und nicht sofort auf eine aufwändige apparative Diagnostik setzt. Wichtig ist eine abgestufte Diagnostik, bei der das Röntgen nicht am Anfang steht. Und unbedingt müssen Risiken, genau genommen sind das mögliche Schäden, vorher besprochen werden.
Worauf spielen Sie an?
Beim einem 80jährigen Mann, der einen erhöhten PSA-Wert hat, muss ich nicht gleich Gewebe aus der Prostata entnehmen lassen. Meine Aufgabe ist, über möglicherweise unangenehme Folgen dieses und weiterer Eingriffe aufzuklären. Und ich kann darauf hinweisen, dass in seinem Alter die Gefahr, an einem Prostatakarzinom zu versterben, nicht sehr hoch ist.
Und wenn der Patient eine bestimmte Therapie wünscht?
Jeder Arzt sollte auch NEIN sagen können, etwa wenn ein neues Medikament auf den Markt kommt,3 von dem der Patient gehört hat, und wo wir davon ausgehen, dass die Risiken noch nicht so gut untersucht sind. Ein anderes Beispiel: Hat eine 50-Jährige erhöhte Cholesterinwerte, braucht sie nicht unbedingt Statine, auch wenn ihr Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall etwas erhöht ist.4 Ich rate also zu Lebensstiländerungen wie körperliche Aktivität, denn das verringert das Risiko mehr – und ohne ungünstige Nebenwirkungen – als ein Medikament. Oft hilft ein Schaubild, um das tatsächliche Risiko zu vermitteln.4 Was ich empfehle, ist ja nicht subjektiv, sondern durch Studien erhärtet.
Kompetenz heißt also, informieren und nicht immer sofort eingreifende Diagnostik und Therapie anbieten. Was heißt es noch?
In allen Fragen den Patienten einbeziehen und sich auch die Blöße geben, dass man sich selbst erst schlau machen muss. Der Hausarzt sollte eine ozeanweite Kompetenz haben, das ist aber in heutigen Zeiten schwierig. Es ist gut, sich mit Kollegen auszutauschen oder gegebenenfalls an einen Spezialisten zu überweisen.
Gibt es denn handfeste Belege für Patienten, die auf ärztliche Kompetenz schließen lassen? Urkunden im Wartezimmer, die auf bestimmte Fortbildungen hinweisen?
Lebenslange Fortbildung ist für Ärzte auf jeden Fall ganz wichtig und Praxen sind verpflichtet, ein internes Qualitätsmanagement zu etablieren. Aber von gerahmten Urkunden im Wartezimmer halte ich nicht viel. Das sieht ein wenig nach Friseurladen aus. Wichtig ist, dass wir Zeit haben, neue Entwicklungen in der Medizin zu verfolgen und uns austauschen. Dabei helfen Netzwerke von Ärzten wie das südbadische Praxisnetz mit 140 Ärzten und Ärztinnen, zu dem wir auch gehören. Der Einzelkämpfer ist keine gute Option.
Davon erfährt der Patient natürlich in der Regel nichts. Also, woran kann er sich orientieren? Ist es gut oder schlecht, wenn Pharmavertreter in der Praxis auftauchen?
Ich persönlich empfange seit Jahren keine mehr. Wir hatten bis zu 12 Pharmareferenten am Tag. Das raubte mir mehr als eine Stunde. In dieser Zeit lese ich lieber aktuelle, von Firmen unbeeinflusste Fachliteratur.
Sagt denn das Informationsmaterial, das für Patienten in Praxen ausliegt, etwas über die Qualität der Betreuung aus?
Naja, ich würde mir schon wünschen, dass bei der Anmeldung und im Wartezimmer neutrale Information liegt, die nicht von Arzneimittelkonzernen oder den Herstellern von Labortests oder von Diagnostikanbietern bezahlt wird. Außerdem sollte nicht auf jedem Schreibblock oder Stift der Name eines Pharmakonzerns stehen.
Und was halten Sie von Angeboten, die man selbst zahlen muss, von den Individuellen Gesundheitsleistungen? 5
Es gibt sinnvolle Leistungen, die die gesetzlichen Kassen nicht bezahlen, zum Beispiel die reisemedizinische Beratung Viele IgeL-Angebote sind aber völlig überflüssig, untergraben sogar das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, etwa wenn zum Kauf unsinniger Nahrungsergänzungsmittel angeregt wird. Das ist für mich eher kein Zeichen für „Qualität“.
Ein volles Wartezimmer könnte ein gutes Zeichen sein, nach dem Motto: Hier behandelt ein vielgefragter Arzt. Oder ein schlechtes: Diese Praxis ist miserabel organisiert.
Lange Wartezeiten sind in jedem Fall ein Problem. Sie kommen eher in größeren Praxen vor, hat eine Befragung in unserem Praxisnetz ergeben. Wichtig ist, den Patienten gleich bei der Anmeldung zu informieren und zu erklären, warum es heute länger dauert. Manche Patienten können dann Erledigungen einschieben und später wieder kommen. Muss ein Arzt zu einem Notfall, kann in einer Gemeinschaftspraxis die Arbeit verteilt werden.
Oft möchte der Kranke aber doch zu seinem Arzt.
Das ist auch richtig so. Denn zwischen den beiden bildet sich ja mit der Zeit ein Vertrauensverhältnis. Wussten Sie, dass die Beziehung von Patient und Hausarzt im Schnitt doppelt so lange anhält wie eine deutsche Ehe? Nämlich 17 Jahre?
Ein interessanter Vergleich.
Jedenfalls ist es für einen Kranken manchmal nicht so wichtig, von seinem Arzt behandelt zu werden, und manchmal sehr. Das sollte das Praxisteam berücksichtigen. Eine Präsenz des eigenen Arztes rund um die Uhr, ist heute aber nicht mehr realistisch. Viele Ärzte und Ärztinnen haben Familie und müssen beides miteinander vereinbaren können.
Was wünscht sich ein guter Arzt von seinem Patienten?
Einerseits sollte er nicht ganz unvorbereitet 6 zum Arzt kommen, andererseits haben Kranke oft schon zu viele und oft auch falsche Informationen aus dem Internet im Kopf. Das verstellt leicht den Zugang zum Problem. Mir persönlich ist der autonome Patient wichtig, der möglicherweise nicht immer nimmt, was ihm verordnet wird, der mich aber darüber informiert und mit mir bespricht, warum er sich so oder so verhalten hat.
Herr Niebling, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Stand: 1. August 2010 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2010 / S.12