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Bildschirmvernarrte Jugend

GPSP: Es leuchtet ein, dass Kinder und Jugendliche, die jeden Tag stundenlang vor dem Fernseher hängen oder von Video- oder Computerspielen nicht loskommen, weniger Bewegung haben als andere. Aber längst nicht alle „Vielnutzer“ sind übergewichtig oder unbeweglich.

van Egmond-Fröhlich: Hoher Medienkonsum führt insbesondere auf der Grundlage einer ererbten Bereitschaft zu Übergewicht. Allerdings verbringen etwa zwei von drei fettleibigen Kindern täglich über vier Stunden vor dem Bildschirm. Leider ist es so, dass Kinder mit hohem Medienkonsum bis ins Erwachsenenalter öfter fettleibig und inaktiv sind als Vergleichsgruppen. Und das Schlimme ist, sie erkranken auch häufiger an Alterszucker, dem so genannten Diabetes mellitus Typ 2.

Sowohl in der Klinik als auch in unseren Langzeitstudien machen wir die Erfahrung, dass ihnen weniger Medienkonsum und körperliche Aktivierung hilft abzunehmen. Zugleich steigt ihre Lebenszufriedenheit. Eine Studie in den USA hat gezeigt, dass die Gewichtszunahme gebremst wird, wenn man in der Schule durch ein spezielles Training lernt, kompetent mit den Medien umzugehen und seine Freizeit vielfältig zu gestalten.

Was ist mit jungen „Bildschirmhockern“, die nicht übergewichtig sind, Freunde haben und in der Schule mitkommen? Soll man sie gewähren lassen?

Nein. Computervernarrte leiden auch an Nackenverspannungen, Schmerzen im Schulterbereich und im Rücken. Ursache ist die monotone und schlechte Sitzhaltung. Verstärkt wird das durch mangelnden Ausgleichssport. Speziell zur Schlafenszeit geschieht folgendes: Mit zunehmender Müdigkeit erschlafft die Muskulatur, die den Körper aufrecht hält, und die Kinder hängen dann nur noch in den „Muskelseilen“, die das mit Verspannungen und Schmerzen quittieren. Bei intensiver Mediennutzung haben Schulkinder auch vermehrt Kopfschmerzen, und gerade PC- und Videospiele verursachen Augenbeschwerden.

Was können Eltern tun?

Es ist gut, wenn sie selbst Fernseher und PC nicht in den Mittelpunkt ihrer Freizeit stellen, sondern interessante Angebote machen und Hobbys unterstützen. Und sie können darauf achten, dass Kinder nicht zu lange vor dem Bildschirm sitzen und Pausen einlegen. Ein Grundschulkind sollte nicht länger als eine Stunde am Tag vor dem Fernseher oder PC-Monitor verbringen, ein Jugendlicher durchschnittlich höchstens zwei Stunden. Starker Medienkonsum führt dazu, dass Kinder später einschlafen – in einer Studie betrug der Unterschied zwischen Vielnutzern und Wenignutzern 45 Minuten. Das reduziert den Schlaf und geht auf Kosten der REM-Schlafphasen, in denen beispielsweise in der Schule neu Gelerntes in das Langzeitgedächtnis geschrieben wird. Wer kurz vorm Ins-Bett-Gehen noch am PC hockt oder emotional aufgeladene Filme sieht, kommt nicht so rasch zur Ruhe.2 Unser Gedächtnis speichert dummerweise vorzugsweise emotional Beladenes und nicht die im Vergleich dazu oft blasse Wirklichkeit.

Früher wurden mit der Taschenlampe Horrorgeschichten unter der Bettdecke gelesen. Und Jugendliche spielen ja nicht nur in aufregenden virtuellen Welten, es wird ja in Chatrooms mächtig kommuniziert. Auch Hausaufgaben, die früher per Telefon oder morgens in der Schule erledigt wurden, lassen sich komfortabel via Internettelefon durchexerzieren.

Sicher. Fernsehen, Computer und Internet gehören zu unserem Leben und können bei sinn- und maßvoller Nutzung informieren und bilden. Ich denke da an KiKa, Wikipedia, Lernsoftware und eLearning. Auch gegen gute Unterhaltung ist nichts einzuwenden. Aber das eigene Basteln, Musizieren oder Theater spielen hat eine ganz andere Qualität. Im übrigen können Chat, SMS und Multiuser-Spiele den direkten menschlichen Kontakt nicht ersetzen. Nur er befriedigt wirklich unser stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Gemeinschaft. Computervernarrte versuchen – letztlich vergeblich – als Spieler eines Games jene Anerkennung zu finden, die sie eigentlich von Gleichaltrigen und Erwachsenen brauchen.

Aber im Internet zu dritt oder zu viert zu spielen, ist doch kommunikativ. Da können Mitspieler per Kopfhörer und Mikro eine gemeinsame Strategie entwickeln und das womöglich noch auf Englisch, weil der eine oder andere Akteur aus Australien oder Spanien „zugeschaltet“ ist.

Ich halte internationale Kontakte, bei denen man über das wirkliche Leben spricht, natürlich für besser. Junge Menschen müssen vor allem das richtige Maß für die Mediennutzung finden lernen. Dabei brauchen sie Anleitung, liebevolle, aber konsequente Grenzziehung und sinnvolle Alternativen. Oft sind Eltern damit überfordert. Zur Unterstützung gibt es aber Empfehlungen, wobei die einfachste oft durchschlagende Wirkung hat: Raus mit dem Fernseher, der Spielkonsole oder dem PC aus dem Kinderzimmer!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2007 / S.10