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Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass …

Gesundheitsthemen in der Tagespresse

Neue medizinische Therapien oder angeblich innovative Diagnoseverfahren finden leicht einen Platz in den Medien. Manches davon ist nicht mehr als Selbstdarstellung von Firmen oder Werbung für schlecht untersuchte Verfahren. Der Medien-Doktor (siehe Kasten S. 20) prüft die Qualität solcher Berichte in der gedruckten Presse und in Online-Angeboten, im Hörfunk und im Fernsehen. Wir fragten Marcus Anhäuser nicht, ob Schokolade wirklich schlank macht, sondern ob es Sinn macht, Beiträge aus der Tagespresse nachträglich einem Gutachterprozess zu unterziehen. – Und das mit der Schokodiät klären wir auch!

GPSP: Sie lassen von erfahrenen Medizinjournalisten und -journalistinnen die Beiträge in der Tagespresse etwa zum PSA-Test, zur Grippeimpfung, Ebola oder Adipositas-Chirurgie bewerten. Ist das nötig? Ist das, was das Publikum zu hören oder zu lesen bekommt dermaßen schlecht?

Marcus Anhäuser: Es könnte auf jeden Fall oft besser sein. Und manchmal ist es richtig schlecht. Das wollen wir nicht dem einzelnen Journalisten zum Vorwurf machen, denn es gibt viele Fallstricke, wenn es um medizinische Themen geht. Aber wir wollen schon den Finger in die Wunde legen. Gerade auch, damit sich die Qualität verbessert (siehe -Kasten S. 20).

GPSP: Sie sprachen von Fallstricken. Woran denken Sie dabei?

Marcus Anhäuser: Für Journalisten, die oft nicht gerade auf medizinische Themen spezialisiert sind, gibt es besonders viele: Wenn ein Medikament in einer Studie gut abschneidet, muss man natürlich wissen und vermitteln, ob es eine ordentliche Kontrollgruppe gab – die entweder mit einem Placebo oder einem bekanntermaßen wirksamen Medikament behandelt wurde. Wichtig ist auch, ob eine Krankheit wirklich ein großes Problem ist. Oft wird da im Sinne von „Disease Mongering“ übertrieben, um ein Medikament zu hypen. Oder ein Einzelschicksal wird erzählt, ohne zu klären, ob dieses typisch für den Erfolg einer Therapie  oder für bestimmte Risiken ist.

GPSP: Aber diese Erkenntnisse sind nicht so neu.

Marcus Anhäuser: Sicher. Doch vor der Gründung des Medien-Doktors wurde noch nie auf eine solche Weise erfasst, was im Wissenschaftsjournalismus gut und was schief läuft. Zu unseren Bewertungskriterien gehört zum Beispiel die simple Frage, ob der Nutzen eines Mittels richtig dargestellt wird.

GPSP: Das sollte man annehmen.

Marcus Anhäuser: Ja, zumal es im Bereich Gesundheit hauptsächlich um Erfolgsmeldungen geht, also um den Nutzen einer neuen Therapie oder Diagnose, die dies oder das besonders gut kann. Aber oft wird der Nutzen lückenhaft oder übertrieben dargestellt. Das weckt falsche Hoffnungen. Kürzlich haben wir den Bericht über eine Therapie begutachtet, die verhindern soll, dass Vorstufen von hellem Hautkrebs sich zu Krebs entwickeln. Da bekam die Leserschaft nur die Information einer tollen Heilungsrate 12 Wochen nach Therapieende. Unter den Tisch fiel, dass nach einem Jahr die Erfolgsrate viel geringer war.

GPSP: Wie zuverlässig erfahren Leser oder Hörer, wie hoch die Risiken und andere unerwünschte Auswirkungen einer Therapie oder einer Untersuchung sind?

Marcus Anhäuser: Im angesprochenen Zeitungsartikel aus der Regionalpresse steht dazu beispielsweise kein Wort. Und das ist eher typisch. Wenn unsere Gutachter und Gutachterinnen entscheiden, ob Risiken ausreichend angesprochen werden, lautet das Ergebnis in mehr als 70 Prozent: „Kriterium nicht erfüllt“. Das heißt, sehr häufig werden Risiken nicht ausreichend kommuniziert.

GPSP: Es gibt unter den 10 wissenschaftsjournalistischen Kriterien auch das Kriterium „Evidenz“. Worum geht es?

Marcus Anhäuser: Zum einen sollen Laien verstehen, welchen konkreten Nutzen und welche Risiken eine Therapie oder eine Diagnose hat – gerade auch im Vergleich mit Alternativen. Die Frage ist dabei aber immer, wie gut die Belege sind. Es gibt wertvolle Studien und Studien, die nur schwache Evidenz haben – also nicht so aussagekräftig sind.

© Bild.de
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GPSP: Trotzdem sind sie vielleicht ganz interessant.

Marcus Anhäuser: Sicher, aber wie gut etwas belegt ist, muss aus dem Beitrag hervorgehen. Viele Journalisten bemühen sich nicht, zu erklären, wie gut ein Resultat abgesichert ist. Eine beliebte und total nichtssagende Floskel ist „Wie amerikanische Forscher herausgefunden haben, …“ Und ganz häufig wird aus einer Korrelation ein ursächlicher Zusammenhang abgeleitet: Die Beobachtung, dass Patienten mit Multipler Sklerose oft Vitamin D Mangel haben, heißt eben nicht, dass Vitamin D an der Erkrankung schuld ist. Und auch nicht, dass Vitamin D Präparate helfen.

GPSP: Warum machen es sich Journalisten und Journalistinnen so leicht?

Marcus Anhäuser: Das hat viele Gründe. Manchen fehlen die handwerklichen Fertigkeiten, anderen ist es ganz einfach egal, sie lesen nicht mal die Studie, über die sie berichten. Ein Grund ist sicher auch zunehmende Belastung. Journalisten müssen in extrem kurzer Zeit viele Infos zusammenbekommen und ihre Ressourcen gut einsetzen. Die Honorare werden geringer, die Redaktionen kleiner, die Arbeit nimmt zu. Und darum greifen sie vielleicht auch häufiger auf Pressemitteilungen von Firmen, Hochschulen, Verbänden oder der Politik zurück als früher.

GPSP: Aber die Gutachter vom Medien-Doktor mögen es gar nicht, wenn ein Beitrag nicht viel mehr als die Pressemitteilung bietet.

Marcus Anhäuser: Unser Kriterium „Geht über eine Pressemitteilung hinaus“ ist dann „nicht erfüllt“. Es gehört zum journalistischen Grundverständnis, dass man Informationen selbst recherchiert und durch unabhängige Quellen überprüft.

Problematisch ist es ja auch, wenn ein Journalist genau den Mediziner als Experten zu Wort kommen lässt, der bereits in der Pressemitteilung die neue Radiotherapie gelobt hat, die er selbst in der Klinik anwendet. Mit anderen Worten, zitierte Experten sollten unabhängig sein und sollten ihre Position gut begründen. Sonst gilt auch hier: Kriterium nicht erfüllt.

GPSP: Wie wichtig eigene Recherche ist, hat sich gerade wieder gezeigt.

Marcus Anhäuser: Ja, ein tolles Ding. Bild, Focus Online, Huffington Post und diverse internationale Publikationen meldeten Ende März, Anfang April, dass man mit einer Schokoladendiät schlank wird. Die Medien waren auf eine fingierte Pressemitteilung hereingefallen, weil sich die Zuständigen offenbar nicht für die zugrundeliegende Studie interessiert hatten. Sonst wäre Ihnen wohl aufgefallen, dass es diese Wissenschaftler nicht gibt und auch nicht das Institut, das herausgefunden haben soll, dass Schokolade schlank macht. Dahinter stecken drei freche Journalisten.

GPSP: In der ZDF-Dokumentation „Schlank durch Schokolade“ 4 kann man sehen, mit welchen Tricks hier Journalisten andere Journalisten an der Nase herumgeführt haben. Aber auch für die Fachzeitschrift, die eine derart zusammengeschusterte Studie veröffentlicht hat, ist das Ganze ein Armutszeugnis.5

Marcus Anhäuser: Auch Journalisten hätten leicht herausfinden können, wie wertlos die Informationen in dem veröffentlichten Fachartikel waren. Aber es sieht so aus, als ob die Medien, die berichtet haben, sich die frei zugängliche Studie gar nicht angesehen, sondern sich auf die Pressemitteilung verlassen haben.

GPSP: Woran konnte man die miese Qualität des Fachartikels erkennen?

Marcus Anhäuser: Es gab zum Beispiel die Tabelle Nr. 3. Aber Tabelle 1 und 2 fehlten einfach. Und nur unter der Tabelle Nr. 3 stand im Kleingedruckten, wie viele Studienteilnehmende es gab oder berücksichtigt wurden. Exakt 9 verteilt auf zwei Gruppen mit 5 beziehungsweise 4 Personen.

GPSP: Hier war also fast alles ein Schwindel: Die Studie,6 der Fachartikel und die Pressemitteilung. Es gab sogar eine Facebook-Seite mit gekauften Testimonials, das heißt Menschen wurden dafür bezahlt, dass sie von der Schokodiät schwärmen. Aber kommen wir abschließend nochmals auf die Rolle von Pressemitteilungen zurück. Denn da tut sich was.

Marcus Anhäuser: Früher waren sie praktisch eine exklusive Informationsquelle für Journalisten. Um sie zu erhalten, ließ man sich bei der Presseabteilung von Arzneimittelfirmen wie Bayer oder Pfizer, von Universitäten oder Behörden registrieren. Durch das Internet kann heute jeder auf fast alle Pressemitteilungen zugreifen. Und darum bewerten wir diese neuerdings mit demselben Kriteriensatz 7 wie Beiträge aus der Tagespresse.

GPSP: Macht das denn Sinn? Pressemitteilungen sind doch per se einseitig – aus der Sicht desjenigen geschrieben, der sich davon etwas verspricht.

Marcus Anhäuser: Richtig, sie sollen Aufmerksamkeit für ein Produkt erzeugen. Aber viele betrachten sie wahrscheinlich als eine sachliche Info unter anderen. Da steht zum Beispiel ein Text auf der Webseite einer Uniklinik, und man registriert gar nicht, dass es sich um einen werbenden PR-Text handelt, der nicht so neutral informiert wie es eine Patientenformation sollte. Und darum begutachten wir Pressemitteilungen neuerdings genauso wie etwa einen Text von dpa, eine Sendung im Deutschlandfunk, einen Artikel in der FAZ oder auf Spiegel online.8 Wer möchte, kann unsere Bewertung eines journalistischen Beitrags und die zugehörige Pressemitteilung auf einer Seite anschauen und vergleichen. So lernt man nicht nur wie Medien funktionieren, sondern mit unseren Kriterien im Hinterkopf kann man besser gute von schlechter Gesundheitsinformation unterscheiden.

GPSP: Herr Anhäuser, vielen Dank für das Gespräch. Und wir empfehlen gleich mal die Webseite vom Medien-Doktor – damit nicht nur journalistisch Tätige erfahren, was einen guten Beitrag über Pillen oder medizinische Interventionen ausmacht.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2015 / S.19