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Mit der Extraportion Zucker

Marketing für Kinderlebensmittel

Lebensmittelfirmen beeinflussen durch Werbung massiv die Ernährung von Kindern weltweit. Eine Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2007 hat sich als heiße Luft entpuppt. Ungestraft werden Produkte direkt bei Kindern beworben, die zu Adipositas und Diabetes führen.

Kinder lassen sich gerne von attraktiven Verpackungen und lustigen Werbeslogans verführen, besonders wenn diese mit niedlichen Comicfiguren locken. Deshalb brummt das Geschäft mit ungesunden Kinderlebensmitteln, auf denen Biene Maja oder Wicki, der Wikinger werben. Und Firmen wie Nestlé, Danone und Ferrero geben eine Menge Geld aus, damit sich ihre Produkte gut verkaufen: 712,8 Millionen Euro betrugen 2014 die Ausgaben für Süßwarenwerbung allein in Deutschland.1

© Thomas Kunz

Zwischenmahlzeit?

Damit Kinder diese ungesunden Snacks konsumieren, spielt für die Industrie die Sprache eine wichtige Rolle: Begriffe wie „Zwischenmahlzeit“ suggerieren Eltern, ihre Kinder bräuchten mehrmals am Tag Snacks. Viele Anbieter werben mit besonders wertvollen Inhaltsstoffen, die zum Teil aber gar nicht enthalten sind. Zum Beispiel wurde der Kinderriegel von Ferrero jahrelang mit der „extra Portion Milch“ beworben, die der Riegel aber gar nicht hergab. Auf den Protest von zahlreichen Verbrauchern hin änderte der Konzern seinen Werbeslogan.2

Und Kinder werden nicht nur mit Comicfiguren geködert. Mit Onlinespielen laden Werbeprofis Heranwachsende in Markenwelten ein. So ruft zum Beispiel der Hersteller „Capri Sun“ (bis Frühjahr 2017 „Capri Sonne“) Kinder nicht nur dazu auf, Fotos von sich mit dem Produkt hochzuladen und macht sie so zu kostenlosen Werbeträgern. „Capri Sun“ lädt Kinder auf seiner Homepage auch zum „Froodokoo“-Spiel ein. Dort müssen sie statt Zahlen wie bei Sudoku nun Früchte in Kästchen ergänzen. Ist ein Aufgaben-Level geschafft, sind auf der Firmen-Homepage Texte über die verschiedenen Früchte zu lesen, die in Capri Sun vorkommen.

Kinder gewinnen damit das Gefühl, sie nähmen ein gesundes Getränk zu sich. Dass die Fruchtlimonade vor allem Zucker enthält, kommt nicht zur Sprache, sondern ist nur unter „Inhaltsstoffe“ diverser Getränkesorten nachzulesen.

Selbst für Schulen werden Unterrichtsmaterialien mit Ernährungstipps mit dem Markenlogo verziert angeboten und so zum Werbeträger.1

Zuckerrohr © J. Schaaber

Was Hänschen nicht lernt

Für Kinder sind Snacks riskant. Wenn sich nämlich im Kindes- und Jugendalter ungesunde Ernährungsmuster einschleifen, ist es sehr schwierig, sie später zu verändern. Deshalb werden aus übergewichtigen Kindern oft adipöse Erwachsene.

Werbung für ungesunde Snacks zu verbieten, ist eine Möglichkeit, kindliche Fettleibigkeit zu bekämpfen. Dazu müssen Werberestriktionen staatlich verordnet werden. Denn selbst auferlegte Verpflichtungen fruchten bisher nicht. Eine Kontrolle der Werbung ist sicher nur ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Selbstverpflichtung: Eine Farce

Im Jahr 2007 einigten sich elf große Lebensmittelfirmen – darunter Coca-Cola, Ferrero und Danone – auf eine Vereinbarung, in der sie sich verpflichten, Lebensmittel künftig verantwortungsvoll an Kinder zu vermarkten. In diesem so genannten EU-Pledge (engl. pledge = Gelöbnis)3 versprachen die Unternehmen unter anderem, keine TV-, Print- oder Onlinewerbung zu schalten, die sich an Kinder unter zwölf Jahren richtet. Ausgenommen wurden Produkte, die spezifische Nährwertanforderungen aus internationalen Empfehlungen und auf wissenschaftlichen Grundlagen erfüllen.

Zudem soll kein Produktmarketing in Grundschulen stattfinden, außer, wenn dies ausdrücklich nachgefragt und mit der Schulleitung abgesprochen ist oder erzieherischen Zwecken dient. Die Selbstverpflichtung gilt nicht für die Gestaltung der Verpackungen und Marketing-Aktivitäten am Verkaufsort.

Eigene Regeln missachtet

Um die magere Selbstverpflichtung der Firmen zu prüfen, untersuchte die Organisation Foodwatch 2015 insgesamt 281 Produkte der Pledge-Unterzeichner. Grundlage der Beurteilung war das Nährwertprofilmodell der Weltgesundheitsorganisation WHO. Von den Produkten entsprachen lediglich 29 (10%) den Ansprüchen der WHO an ausgewogene Lebensmittel für Kinder.4 Klar ist aber, dass in der Fernsehwerbung nach wie vor fast ausschließlich ungesunde Produkte für Kinder beworben werden.5

Eigentlich verwundert es nicht, dass die Pledge-Unterzeichner eigene Nährwertgrenzen festgelegt haben, die viel lascher sind als die Nährwertgrenzen des WHO-Regionalbüros Europa. Das ermöglicht Firmen ihre Werbung auf ungesunde Produkte auszudehnen – laut der selbst verordneten Nährwertangaben sind sie ja gesund.

Gesetzliche Regelungen nötig

In Deutschland möchte die deutsche Initiative „SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht“ Eltern darin unterstützen, Kindern beizubringen, wie sie mit Werbung umgehen.6 Das ist wichtig, ändert aber nichts daran, dass die Produkte nach wie vor internationalen Anforderungen und Vorgaben der WHO für gesunde Nahrungsmittel nicht entsprechen.

Eine effektive gesetzliche Regulierung des Kindermarketings für Lebensmittel ist nötig. Mehrere Fachgesellschaften setzen sich außerdem für eine Besteuerung unausgewogener Lebensmittel ein. Eltern können selbst eine Menge tun, indem sie nicht regelmäßig Snacks essen, diese nicht bei Hunger, sondern nur als Genussmittel verzehren und auf deren jeweiligen Zucker- und Fettgehalt achten. Damit Kinder sich gesünder ernähren und vor Übergewicht bewahrt werden, müssen Politik, Wissenschaft und Eltern an einem Strang ziehen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2017 / S.06