Zum Inhalt springen
©Byrke Lou Brüser

Medikamente gegen seltene Krankheiten

Wenn im Schnitt höchstens 5 von 10.000 Menschen von einer Krankheit betroffen sind, spricht man von einer „seltenen Erkrankung“ (engl. orphan disease, weil solche Krankheiten „Waisenkinder“ der medizinischen Forschung sind). Da es für diese oft keine speziellen Arzneimittel gibt und deren Entwicklung für Pharmafirmen weniger profitabel ist, hat der Gesetzgeber entschieden, die Firmen zu locken: Die Zulassung von Wirkstoffen für seltene Erkrankungen – so genannte Waisenmedikamente (engl. orphan drugs) – wurde beschleunigt, Zulassungsgebühren ermäßigt, und vor allem haben Unternehmen zehn Jahre lang keine Konkurrenz zu fürchten. Ein exklusives Vermarktungsrecht ist ihnen garantiert.

Solche Anreize beflügelten den Einfallsreichtum der Industrie: Plötzlich entstanden neue „seltene“ Krankheiten, indem man bei eigentlich häufiger vorkommenden Krankheiten, etwa bestimmten Krebsarten, eigene Tumorerkrankungen konstruierte, je nachdem, ob bei den betroffenen Patienten bestimmte Biomarker zu finden waren. Haben nur sehr wenige Patienten diese Marker, handelt es sich um eine seltene Erkrankung – egal, wie gut die Betroffenen mit bereits zugelassenen Krebsmedikamenten behandelt werden können.

Auf dieser Schiene können Unternehmen unter erleichterten Bedingungen ein neues Medikament in der Tumorbehandlung platzieren. Noch dazu ein profitables: In Deutschland gilt für Orphan Drugs als belegt, dass sie besser wirken als Medikamente, die man schon hat. Ohne Überprüfung! Die macht normalerweise der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Und nur, wenn ein solcher Zusatznutzen erkennbar ist, darf ein neuer Wirkstoff teurer sein als vorhandene Alternativen. (GPSP 6/2013, S. 10) Die Konsequenz dann: Der Hersteller kann als Preis verlangen, was er will.5

Firmen müssen nicht einmal einen neuen Wirkstoff erfinden, sondern nur belegen, dass ihr Mittel gegen ein seltenes Leiden eingesetzt werden kann. Die Studien sind aber oft unzureichend, bemängelten italienische Pharmakologen schon 2008. Aktuell kritisieren sie bei drei Medikamenten gegen Krebserkrankungen, die per Biomarker als selten definiert wurden, dass zehn Jahre nach der Zulassung noch immer wichtige Erkenntnisse zu ihrer Wirksamkeit und Sicherheit fehlen.6

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2016 / S.15