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Kritik an Gesundheitsprodukten unerwünscht

Wie Anbieter Aufklärer unter Druck setzen

Anwaltliche Schreiben, Abmahnungen oder gar Klagen: Bei unliebsamer Kritik ziehen die Anbieter von Nahrungsergänzung und Co. gerne die rechtliche Keule. Vor Gericht sind sie dann aber nicht unbedingt erfolgreich, wie der Fall „Medizin transparent“ zeigt.

Wer in der Werbung für seine Gesundheitsprodukte zu dick aufträgt, kann vor allem eins nicht gebrauchen: kritische Berichterstattung in den Medien durch Fachleute, die genauer hinschauen. In den letzten Jahren häufen sich die Beispiele, bei denen Anbieter versuchen, kritische Stimmen mit rechtlichen Mitteln einzuschüchtern. Darüber hatten wir beim Thema Homöopathie und auch bei dem Reizdarm-Präparat Kijimea® berichtet. Der Kijimea-Fall betraf unsere Mutterzeitschrift, das arznei-telegramm®.

Auch in Österreich

Ende 2020 wurde ein weiteres Beispiel bekannt: Das österreichische Online-Portal „Medizin transparent“ wurde in den letzten Jahren von zwei Anbietern wegen vermeintlich „zu schlechter Bewertungen“ verklagt.1 „Medizin transparent“ ist ein Angebot von Cochrane Österreich, das zu dem weltweit angesehenen unabhängigen internationalen Wissenschafts-Netzwerk gehört. Leser:innen können Fragen zu Werbung oder Medienbeiträgen zu Gesundheitsprodukten einschicken, das Team recherchiert die Studienlage und erstellt auf dieser Basis Bewertungen.

In den Beiträgen, die Anbietern aufstießen, ging es zum einen um das Nahrungsergänzungsmittel LaVita, zum anderen um eine Zahnpasta, die statt Fluorid Hydroxylapatit enthält. In beiden Fällen kam das Team von „Medizin transparent“ zu dem Ergebnis, dass angesichts der Studienlage die Werbung den Nutzen überzogen darstellt – denn die von den Anbietern angeführten Studien waren nicht aussagekräftig. Dass LaVita Gesundheit und Leistungsfähigkeit stärkt oder die Zahnpasta ohne Fluorid vor Karies schützt, ist also nicht ausreichend belegt. Bei GPSP hatten wir uns übrigens auch mit diesen Produkten beschäftigt und kamen dabei zu ähnlichen Einschätzungen wie unsere österreichischen Kolleg:innen.

Rechtliches Arsenal

Statt ordentliche Studien zu machen, die den Nutzen ihrer Produkte möglicherweise belegen könnten, ist es für Anbieter offenbar einfacher, missliebige Bewertungen einem Anwalt zu übergeben. In manchen Fällen bleibt es, wie bei Kijimea®, zunächst bei gereizten anwaltlichen Briefen mit Drohungen, in anderen dagegen müssen sich Kritiker zusätzlich mit Abmahnungen, Unterlassungserklärungen, einstweiligen Verfügungen oder sogar Gerichtsverfahren auseinandersetzen.

Bei diesen Drohkulissen geht es den Anbietern offenbar nicht nur darum, in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Es geht wohl taktisch auch darum, die Arbeitsbelastung für die oft kleinen Teams so ansteigen zu lassen, dass sie es sich vielleicht in Zukunft zweimal überlegen, ob sie kritisch über den Anbieter berichten. Bei „Medizin transparent“ liefen die juristischen Verfahren über Jahre und teils mehrere Instanzen – glücklicherweise ist Cochrane Österreich an einer Universität angesiedelt und wurde von deren Rechtsabteilung unterstützt.

Das Pulver verschossen

Letztlich blieben die Anbieter erfolglos: Ihre Klagen wurden allesamt abgewiesen, und die Bewertungen konnten alle online bleiben. Da „Medizin transparent“ – wie auch das arznei-telegramm® – die Vorgänge öffentlich gemacht hat, ging der Schuss der Anbieter vor den Bug der Kritiker wohl eher nach hinten los.

  1. medizin-transparent (2020) In eigener Sache: Klagen erfolgreich abgewiesen. www.medizin-transparent.at/klagen-erfolgreich-abgewiesen (Abruf 26.1.2021)

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2021 / S.11