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Heilpraktiker Gross und Neurasan®

Mit 90% Erfolgsquote zum Nichtraucher?

Wer im Internet Tipps und Angebote sucht, um sich das Rauchen abzugewöhnen, findet dort Mittel und Methoden, für die viel versprochen wird. So verspricht beispielsweise die Neurasan®-Methode des Heilpraktikers Markus Gross, Nichtraucher zu werden, „ohne zu leiden“.1 Und das mit „über 90 Prozent Erfolgsquote“. Sogar Entzugserscheinungen sollen „nicht erlebt oder lediglich sehr schwach empfunden“ werden.

Das ist eine im wahrsten Sinne des Wortes unglaubliche Versprechung, denn die Erfolge von oft zur Raucherentwöhnung verwendeten Arzneimitteln sind bekanntermaßen unbefriedigend: So liegen in einer Studie, die die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA gefordert hatte, die kontinuierlichen Abstinenzraten unter verschiedenen zugelassenen Medikamenten lediglich bei maximal 22% – unter Scheinmedikament bei 9%.2

© Thomas Kunz

Angesichts dieser dürftigen Erfolgsraten haben wir beim Neurasan®-Anbieter Gross angefragt, worauf sich denn diese behauptete erstaunlich hohe Erfolgsrate von über 90% stützt. Dass wir trotz wiederholter Nachfragen keine Antwort erhalten haben, verwundert uns allerdings nicht, denn bereits 2007 ließ Gross unsere Anfragen unbeantwortet. Dem damaligen GPSP-Artikel,3 in dem wir vor der unseriösen Anpreisung gewarnt hatten, wollte Gross Jahre später mit juristischer Hilfe aus unseren Internetseiten löschen lassen.4 Da wir Neurasan® und seine Vermarktung korrekt bewertet hatten, sahen wir dafür keine Veranlassung. Und noch immer stehen auf den Neurasan®-Internetseiten Behauptungen, die wir als typisch für Methoden erachten, Verbraucher zu bewegen, auf ein zweifelhaftes Präparat zu setzen. Wir bewerten und kommentieren daher in dieser Ausgabe exemplarisch neun Aussagen und Methoden der Neurasan®-Werbung:

„Ausschließlich homöopathische Wirkstoffe“

Homöopathische Mittel gelten allgemein als harmlos. Welche Bestandteile Neurasan® enthält, lassen jedoch weder die Internetseiten erkennen, noch gibt uns der Heilpraktiker auf Anfragen dazu Auskunft. Grundsätzlich raten wir von der Anwendung von Präparaten ab, deren Zusammensetzung und Dosierung verschwiegen wird. Eine solche Geheimniskrämerei entspricht schon lange nicht mehr den heutigen Ansprüchen an transparente Information. Den wichtigen Sachverhalt, dass Neurasan® weder als Arzneimittel zugelassen noch registriert ist,5 verschweigt Gross ebenfalls.

Das Arzneimittelgesetz ermöglicht es zwar auch Heilpraktikern, Arzneimittel ohne Herstellererlaubnis zu produzieren, soweit das Präparat unter deren unmittelbaren fachlichen Verantwortung „zum Zweck der persönlichen Anwendung bei einem bestimmten Patienten“6 hergestellt wird. Ob dies auch für die große Zahl Entwöhnungswilliger gilt, die in den Praxisräumen des Heilpraktikers durchgeschleust werden, erscheint allerdings hinterfragenswert.7 Die für die Überwachung der Tätigkeit des Heilpraktikers zuständige Landesbehörde hat sich dazu – trotz wiederholter Anfragen – wegen des „sehr komplexen Sachverhaltes“8 bislang noch nicht konkret geäußert.

„Sechs Jahre Forschungsarbeit“

„Die Raucherentwöhnungstherapie beruht auf sechs Jahren Forschungsarbeit“: Diese Angabe suggeriert eine wissenschaftliche Basis für die Methode. Wie soll man sich jedoch diese Forschungsarbeit vorstellen? Hat der Heilpraktiker klinische Studien gemacht? Falls ja, wo sind diese veröffentlicht und warum zitiert er sie dann nicht konkret? In Datenbanken, in denen wissenschaftliche Publikationen üblicherweise zu finden sind, haben wir keine klinischen Studien zu Neurasan® entdecken können. Anfragen zu Nutzenbelegen hat Gross nicht beantwortet. Ein Foto auf den Neurasan®-Internetseiten, das drei in einem Labor arbeitende bekittelte Personen abbildet, vermittelt auch bildlich den Eindruck von wissenschaftlicher Arbeit, für die wir jedoch keine Indizien finden.

„Spezialisierter Natur­heil­praktiker“ und „Fumarloge“

Unbestritten hat sich Markus Gross auf Behandlungen zur Raucherentwöhnung speziali­siert. Der Begriff Fumarloge – der jemanden bezeichnen soll, der sich mit der Lehre vom Rauchen (lat. fumare) und dessen Folgen beschäftigt – scheint dies zu bekräftigen. Allerdings ist „Fumarloge“ keine allgemein gültige Berufsbezeichnung wie etwa Gynäkologin oder Gynäkologe, sondern offensichtlich eine eigene Wortschöpfung, die sich Gross markenrechtlich schützen ließ und die nur Markus Gross tragen darf. Die Begründung: Sie soll laut Angabe im Internet nur für die „besondere naturheilpraktische Fachrichtung gelten“, „die sich mit der Behandlung von Entzugssymptomen am rauchenden Patienten nach der von Markus Gross entwickelten Neurasan®-Therapie“ beschäftigt. Die Fachrichtung ist also so „besonders“, dass sie nur für eine Person und eine von dieser erfundenen Therapie gilt. Ein solcher Fantasie-Begriff mag für die Vermarktung der Tätigkeit des Heilpraktikers geeignet sein, erscheint uns ansonsten jedoch nichtssagend.

„Erfolgsrate sehr groß“

„Auch wenn man gar nicht aufhören möchte …, ist unsere Erfolgsrate sehr groß“: Viele Patienten sollen sich nach der Behandlung „sofort wie RESETTET“ fühlen (Hervorhebung in der Werbung, – Red.), „etwa so als hätte man zuvor nie geraucht“. Das wünschen sich gewiss viele Entwöhnungswillige. Mit der Realität können wir eine derart wundersame Entwöhnungsbehandlung, die sogar gegen den eigenen Willen funktionieren soll, nicht in Einklang bringen.

Für Entstehen und Aufrechterhalten der Abhängigkeit ist vor allem das in den Blättern der Tabakpflanze enthaltene Nikotin verantwortlich. Es gelangt beim Rauchen sekundenschnell in das Gehirn und sorgt für subjektiv angenehme Empfindungen. Bleibt der Nikotinnachschub aus, machen sich Entzugserscheinungen wie Verstimmung, Unruhe, Schlafstörungen und das typische dringende Verlangen („craving“) nach Nikotin bemerkbar. Sofortige Abhilfe schafft eine weitere Zigarette.9 Wenn sich dieser Teufelskreis tatsächlich so einfach und fast zuverlässig durch lediglich eine Injektion des homöopathischen Mittels durchbrechen ließe, wäre dies in der Tat eine Weltsensation mit Nobelpreis-Potenzial. Das sehen wir allerdings nicht.

„Erfolgsgeschichten“

In Kurzvideos auf den Neurasan®-Internetseiten beschreiben Menschen, wie gut sie mit der Methode zu Nichtrauchern geworden sind. Man tut jedoch gut daran, solche Statements auf Anbieter-Seiten grundsätzlich nicht für bare Münze zu nehmen. Die Stiftung Warentest hat erst kürzlich am Beispiel von Bewertungen, die sich auf Internetseiten von Amazon, Google u.a. finden, darauf hingewiesen, wie häufig als Kunden-Bewertung verbreitete Lobhudeleien gekauft werden und wie leicht sie manipulierbar sind.10 Bewertungen, die von Kunden stammen sollen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, können fehlende wissenschaftliche Belege für behauptete Eigenschaften nicht ersetzen.

„Die einzige weltweit patentierte Nicht­raucher­spritze“

Hier wird eine Sonderstellung suggeriert. Die „Patente“ für Neurasan® gewähren jedoch lediglich markenrechtlichen Schutz – also den Schutz des Namens Neurasan®. Keineswegs handelt es sich um einen Beleg für eine patentierte Erfindung mit besonderem Nutzen.7

„Ohrinjekt®-Methode“

Der Begriff Ohrinjekt® ist ebenfalls als eingetragene Marke gekennzeichnet. Durch Injektionen verschiedener Mittel in die angeblichen Suchtpunkte am Ohrmuschelrand versuchen auch andere Therapeuten, darunter auch Ärzte, die Nikotinsucht zu behandeln – ebenfalls ohne nachvollziehbare Belege für Erfolgsraten zu geben. Die Injektion von Präparaten in die Ohrmuschel ist eher ungewöhnlich, hebt die Methode somit von anderen ab (Marketing). Eine allgemein anerkannte Methode, für die ein Nutzen zur Raucherentwöhnung durch geeignete Studien nachgewiesen ist, ist diese jedoch nicht.

„Wir haben bereits mehrere 10.000 Raucher zu Nichtrauchern gemacht“

Mehrere 10.000 bedeutet mindestens 20.000. Bei den angegebenen Kosten von derzeit 150 Euro pro Anwendung entspricht dies einem Umsatz von insgesamt mindestens 3 Millionen Euro.

„Hüten Sie sich vor (…) Scharlatanen“

„Hüten Sie sich vor Betrügern und Scharlatanen in Deutschland. Es gibt keine autorisierten Partner“: Soll das bedeuten, die Methode ist so gut, dass sie von „Scharlatanen“ kopiert wird? Aber warum sind andere, die eine solche Methode anwenden, Scharlatane, während Gross mit dem nichtssagenden Begriff „Fumarloge“ um Renommee heischt? Markus Gross hat expandiert. Neben einer Praxis in Uchtelfangen bietet er die Methode inzwischen auch in Berlin an und betont, dass Nikotinentwöhnungswillige „aus der ganzen Welt“ zu ihm kommen. Zumindest der finanzielle Erfolg von Neurasan® könnte Nachahmer stimulieren.

Fazit

Unsere 2007 veröffentlichte Bewertung3 des zur Raucherentwöhnung propagierten Neurasan® als Quacksalberei trifft auch heute noch zu. Nach wie vor fehlen für die behaupteten Erfolgsraten nachvollziehbare Nutzenbelege.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2021 / S.25